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Kultur

»Da hilft nur eine Bombe«

Egotronic über Volksentscheide, Landjugend und das erste Konzert in Leipzig

  »Da hilft nur eine Bombe« | Egotronic über Volksentscheide, Landjugend und das erste Konzert in Leipzig

Letzte Woche spielten Egotronic im Täubchenthal. Vorher redeten wir mit Sänger Torsun darüber, wieso er gegen die Wiedervereinigung war, was man gegen Nazis machen kann und was gegen seine unheilbare Krankheit hilft. Und kaum über Musik.

Bei Egotronic ist backstage einiges los. Leute kommen, Leute gehen. Gleich gibts Soundcheck, gleich gibts Essen, gleich ist noch ein Interview. Torsun und seine Bandkollegen lassen sich davon kaum beeindrucken. Wir überlegen, Trinkspiele zu spielen, aber jemand hat das Ganze durchschaut: Je besoffener man wird, umso härter wirds. Also trinken wir Astra. Torsun trägt eine Egotronic-Jacke. Weil alles andere in der Wäsche war, wie er erklärt. Auch ich erzähle von meinem Tag.

kreuzer: Ich war gerade auf der Buchmesse. Da meinte ein Autor, die Schweizer hätten so ein tolles Demokratieverständnis. Dabei ist doch die Schweiz nicht erst seit der letzten Volksabstimmung ein gutes Beispiel dafür, dass direkte Demokratie nicht bedingungslos gut ist.

TORSUN: Absolut nicht. Ich bin total dagegen. Das Schlimme ist, dass so ein Volksentscheid in Deutschland nicht anders ausgefallen wäre. Du könntest wahrscheinlich einen Volksentscheid machen, ob wir Flüchtlinge umlegen sollten, und viele würden noch dafür stimmen.

kreuzer: Dennoch ist direkte Demokratie ja erstmal nichts Schlechtes.

TORSUN: Die setzt aber ein Mindestmaß an Aufgeklärtheit voraus.

kreuzer: Wie kann man die Menschen aufklären?

TORSUN: Das frage ich mich auch. Die Leute sind sehr aufklärungsresistent. Zurzeit habe ich lauter Déjà-vu-Erlebnisse aus den Neunzigern, in denen die Flüchtlingsheime gebrannt haben, in denen es immer gleich Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime gab. Genau das Gleiche passiert jetzt wieder. Die Leute haben absolut nichts gelernt. Ich frage mich wirklich, was oder ob man überhaupt was machen kann. Manchmal glaube ich, da hilft nur eine Bombe drauf.

kreuzer: Sonst hilft nichts?

TORSUN: Es ist total frustrierend. Man muss die Leute daran hindern, das zu tun, was sie tun würden, wenn man sie nicht daran hindern würde. Und das mit allen Mitteln. Von mir aus mit brutalster Repression. Ist mir scheißegal, Hauptsache, die werden daran gehindert, den Flüchtlingen was anzutun.

kreuzer: Mit allen Mitteln? Dann herrschen hier bald bürgerkriegsähnliche Zustände.

TORSUN: Na und? Man darf den Leuten nicht weichen.

kreuzer: Friedlicher Protest reicht nicht?

TORSUN: Wenn friedlicher Protest reicht, ist das eine super Sache. Keine Frage! Ich meinte ja mit ALLEN Mitteln, da gehört friedlicher Protest definitiv dazu. Ich glaube nur, gegen einen wütenden Mob kommst du mit friedlichem Protest nicht sehr weit – wie zum Beispiel damals in Rostock.

kreuzer: Ähnlich wie damals bekommt man derzeit das Gefühl, dass es wieder brodelt.

TORSUN: Ja. 1993 wurde das Recht auf Asyl ja quasi abgeschafft – mit den Ja-Stimmen der SPD. Daher kamen weniger Flüchtlinge. Aber jetzt gibts wieder Kriege und Krisengebiete und die Flüchtlingszahlen, zum Beispiel aus Syrien, steigen. Und prompt kommen die Gegner wieder. Aber auch wenn es vorher vielleicht ruhiger schien, sind Faschos und Terroristen durchs Land gezogen und haben Leute niedergeschossen. Und rechtsradikale Übergriffe gab es immer wieder. Das ist auch ein Grund, warum ich damals gegen die Wiedervereinigung war. Dagegen, dass die Amerikaner abziehen. Das ist kacke, dass die Deutschen wieder so mächtig sind.

kreuzer: Deswegen warst du gegen die Wiedervereinigung?

TORSUN: Vorher war klar: Im Westsektor haben die Amis ein Auge drauf, im Ostsektor die Russen. Die Deutschen konnten also nicht einfach so, wie sie wollten. Und wenn es in Deutschland ein nationales Erweckungserlebnis gibt – was die Wiedervereinigung ja definitiv war –, geht es sofort wieder rund. Man hat gleich gesehen, wie es sich äußert, wenn die Deutschen wieder zu neuem Selbstbewusstsein kommen. Ich traue denen nicht zwei Millimeter über den Weg.

kreuzer: Aber den Russen und Amis traust du über den Weg?

TORSUN: Definitiv. Ich war ganz klar aus der Fraktion: Ami, stay here! Die Deutschen haben in einem Jahrhundert zwei Weltkriege über den Zaun gebrochen.

kreuzer: Die Russen sind aber nun auch nicht gerade Helden.

TORSUN: Aber schau doch mal: Schon war Deutschland wieder sich selbst überlassen, wurde es schwuppdiwupp stärkste Kraft in Europa. Diesmal haben sie es ohne Militär, sondern wirtschaftlich geschafft, Europa unter die Fuchtel zu nehmen. Das Großmachtstreben ist immer noch da. Das war durch die Russen und Amis gebremst. Und mir war alles recht, was das bremste.

kreuzer: Auch die Russen haben ein Großmachtsstreben, das sehr fragwürdig ist.

TORSUN: Absolut. Das haben Staaten so an sich, dass in ihnen Rassismus herrscht. Der Hauptfeind steht aber immer noch im eigenen Land. Das heißt nicht, dass ich das, was in anderen Ländern passiert, goutiere oder cool finde.

kreuzer: Der Spruch »Wir sind das Volk« wird inzwischen auch von den Nazis gebrüllt.

TORSUN: Der Spruch war schon immer scheiße. Oder die Perversion, daraus »Wir sind ein Volk« zu machen. Das deutsche Volk, was soll das sein? Das ist doch Zufall, wo du geboren bist. Was verbindet dich mit dem, der hier nebenan wohnt? Überhaupt nichts. Ich fühle mich zu manchem, der im Ausland wohnt, weitaus mehr hingezogen. Deutschland ist ja eines der wenigen Länder, wo noch in Blut gemessen wird. Es reicht nicht, dass du hier geboren bist, nein, du musst deutschen Blutes sein. What the fuck! Wie alt ist denn das, bitte schön?

kreuzer: Aber wahrscheinlich horcht man auch gerade in Leipzig erst mal auf, wenn jemand sagt, die Wiedervereinigung war keine gute Idee.

TORSUN: Jeder, der kritisch auf Deutschland schaut, muss doch feststellen, dass die Wiedervereinigung ein Erstärken des Nationalstolzes hervorgebracht hat. Das hat nichts damit zu tun, ob ich die Leute in Leipzig mag. Die mag ich sogar besonders gerne. Egotronic haben ihr erstes Konzert in Leipzig gespielt.

kreuzer: Wie kam es dazu?

TORSUN: Das war 2001. Ich habe damals noch in Darmstadt oder Kassel gewohnt. Wir hatten vom Gießerstraßenfest gehört und haben gefragt, ob wir da spielen können. Und dann waren wir die einzige Electro-Band zwischen lauter Punkbands.

kreuzer: Wie kam das an?

TORSUN: Super. Ich hatte auch ein bisschen Schiss. Wir zwei Hanseln sind dann auf die Bühne mit unserem Mini-Disc-Player und einem Bass. Mehr hatten wir nicht dabei. Die Leute sind total ausgerastet und haben getanzt. Total abgefahren. Seitdem haben wir sehr oft in Leipzig gespielt. Die Fußballleute vom Roten Stern fanden uns dann auch gut. Wir haben auch unser erstes Konzert in der jetzigen Bandbesetzung hier gespielt – beim Sterni-Fest. Es gibt also eine sehr innige Verbindung zwischen Egotronic und Leipzig.

kreuzer: Bevor du nach Darmstadt gezogen bist, bist du auf dem Land aufgewachsen.

TORSUN: Ja, in einem Dorf im Westen. Das war die Hölle. Dort sind die Leute auch durch und durch rassistisch. Alles Fremde ist schlimm. Das habe ich schon in der Grundschule mitbekommen. Keiner wollte sich in der Schule neben die Iraner setzen.

kreuzer: Umso beeindruckender, wenn Leute auf dem Land sich gegen Nazis einsetzen.

TORSUN: Ja, wir fahren oft hin. In Mügeln haben wir zum Beispiel für die jungen Antifas gespielt. Die erzählen dir dann Geschichten. Deswegen habe ich einen Heidenrespekt davor, dass die da bleiben und praktisch nur bewaffnet durch die Straßen laufen, weil es sonst zu gefährlich wäre. Ich bin ja ein Schisser, der nach Berlin gezogen ist, in ein Viertel, wo ich so was nicht erleben muss. Da bin ich den Weg des geringeren Widerstands gegangen. In meinem Kaff, als ich Punker wurde, mit gefärbten Harren, da wurde man richtig gehasst. Ich bin dann in einer größeren Stadt in die Schule gegangen, da gab es zumindest ein paar linke Subkulturen.

kreuzer: Die gibts heute auch kaum noch

TORSUN: Nee, der Kapitalismus hat es prächtig verstanden, die alle »markttauglich« zu machen.

kreuzer: Reden wir zum Schluss noch über das Album »Die Natur ist dein Feind«. Ist sie das?

TORSUN: Der Titel lässt viel Interpretationsspielraum. Ganz plakativ: Ein Tsunami zum Beispiel ist ein feindlicher, kriegerischer Akt. Ganz privat: Ich habe eine Autoimmunerkrankung gekriegt, rheumatische Arthritis. Da führt mein Körper Krieg gegen mich, das nehme ich auch als feindliche Aktion wahr.

kreuzer: Da ist man machtlos, oder?

TORSUN: Ja, total, jeder Tag ist ein Selbstverteidigungskampf. Ohne Medikamente geht gar nichts mehr. Das Nervtötende daran ist, dass ich noch nicht mal selbst schuld bin. Also nicht, weil ich zu viel Drogen genommen habe oder gesoffen habe oder so. Und die kriegst du nie wieder weg, auch nicht durch einen gesunden Lebenswandel. Du kannst nur mit Medikamenten ein halbwegs normales Leben führen. Ich wurde zum Albumtitel aber auch schon gefragt, ob ich die erste oder die zweite Natur nach Marx meine: Dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, außerhalb des Waren produzierenden Systems zu denken oder uns eine Alternative dazu auszudenken. Das ist uns eine zweite Natur geworden, die uns genauso feindlich gegenübersteht. Ich entdecke da ganz viel Negatives, deswegen ist die Natur mein Feind. Mit ist aber durchaus bewusst, dass wir die Natur auch brauchen.

kreuzer: Gerade Kapitalismuskritiker sind oft Naturfreunde.

TORSUN: Echt? Bin ich nicht.

kreuzer: Zum Beispiel die Idee, als Selbstverpfleger zu leben.

TORSUN: Dahin will ich aber nicht wieder zurück. Ich halte es auch nicht für eine linke Utopie, wieder Agrarstaat zu werden. Ich weiß nicht, ob die Reagrarisierung wirklich der Gegenentwurf ist. Auch in einer befreiten Gesellschaft hätte ich gerne das Internet, Clubs wie diesen hier und elektronische Musik. Dafür, dass Zivilisation entstehen konnte, musste man die Natur erst mal in den Griff kriegen.


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