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Kultur

Attacke aufs Gehirn

Sächsische Regiehandschriften beim hiesigen Theatertreffen

  Attacke aufs Gehirn | Sächsische Regiehandschriften beim hiesigen Theatertreffen

2.500 Gäste bei 15 Theateraufführungen an fünf Tagen, elf Inszenierungen im Wettbewerb, drei Preisträger. Das war das Sächsische Theatertreffen 2014 in Leipzig. Doch was sagt das über die Qualität eines Festivals? Wie viel bleibt hängen, nachdem man 52 Stunden lang im Zuschauerraum saß? Man denke an starke Bilder, charismatische Darsteller und überraschende Bühnenräume. Aber auch an Speerspitzen, die das Gehirn attackieren und zum Arbeiten zwingen, wenn der letzte Vorhang längst gefallen ist.

Einen Querschnitt sächsischer Theaterkunst versprachen die Veranstalter (Landesverband Sachsen im Deutschen Bühnenverein, Theater der Jungen Welt und Schauspiel Leipzig). Die sächsischen Theater im Bühnenverein schickten – erstmals ohne einschränkendes Motto – die Inszenierungen, welche sie als repräsentativ für ihre Arbeit ansahen. Um Qualität ging es allemal, wurde doch der erste Sächsische Theaterpreis ausgelobt. Was bewegt einen Intendanten diesen oder jenen Teil des Repertoires zu einem Wettbewerb zu schicken? Ensembleleistung, Regiehandschrift, Thema?

Fachpublikum unter sich

Die Ensemblepräsentation mag bei einigen eine Rolle gespielt haben. Bis auf das Teeniestück »Märchenherz« (Regie: Andreas Ingenhaag) aus Annaberg und »Gabriel« aus Zittau waren alle Beiträge vergleichsweise groß besetzt. Das 14-köpfige Mittelsächsische Schauspielensemble reiste für Henrik Ibsens »Die Stützen der Gesellschaft« gar komplett an. Neben den Schauspielern sind die Regiehandschriften Aushängeschilder des Theaters und in Sachsen wie deutschlandweit vielfach Chefsache. Jedoch nur ein Stück des Theatertreffens entstand aus Intendantenhand: »Adams Äpfel«. Regisseur Manuel Schöbel (Jg. 1960) leitet erst seit Sommer 2011 die Landesbühnen Radebeul. Aber er hat sich sogleich eine Förderung vom Bund für die Zusammenarbeit mit der freien Tanz- und Performancegruppe »bodytalk« (ausgezeichnet mit dem Leipziger Bewegungskunstpreis 2012) gesichert. Das Publikum sah geduldig über den holprigen Versuch, Schauspiel und Tanz zu verbinden, hinweg und schien allein beglückt, dass dialoggetreu der Film auf die Bühne kam.

Womit wir bei der Themenauswahl wären. Wirklich gewagt war nur der Beitrag vom Gerhard-Hauptmann-Theater Görlitz/Zittau, alles andere publikumsfreundliche Kost. Jedoch nur die verfilmten (»Dr. Jekyll«), klassischen (»Hamlet«) und ostalgischen (»Der geteilte Himmel«) Stoffe füllten die Leipziger Säle bis zum letzten Platz. Bei allen anderen – selbst beim großen Ibsen aus Freiberg – blieb das Fachpublikum mitunter allein. Schade. Es hätte einmalige Chancen gegeben, z.B. den auf Leipziger Spielplänen lange nicht gesehenen Marius von Mayenburg mit seinen apokalyptischen Gesellschaftsstudien kennenzulernen – ein Theatertext, der alle Generationen aufwühlt. Der Regisseur des Abends, Michael Funke (Jg. 1959), ist zugleich Oberspielleiter am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen und vertraut absolut auf sein Ensemble. Regie bedeutet hier ein überdimensionales Treppengeflecht, das sich zwischen den Auf- und Abtritten der Schauspieler bedeutungsschwanger im Kreise dreht. Requisiten behaupten einen Naturalismus, den der Raum nicht herstellt und den das starke Ensemble kein bisschen braucht, versteht es doch, die psychologische Dialogregie zu beklemmender Glaubwürdigkeit zu führen. Auch Regisseurin Annett Wöhlert (Jg. 1965), Schauspielleiterin am Mittelsächsischen Theater, hat ihren Raum selbst konzipiert. Nackte Podesterie ragt, einem Schiffsbug gleich, in die von einer Videoleinwand begrenzte Bühne. An der Rampe eine lange Tafel. Sie vermag die zwei Orte jedoch nicht zu charakterisieren, vielmehr irrt ihr besagt großes Ensemble meist in emotionaler Haltlosigkeit mit reichlich Requisiten unterm Arm und viel Ibsen im Mund auf der Freifläche umher. Brisant ist der Stoff, mutig die Spielplanentscheidung, doch Wöhlert erstickt beides in operettenhafter Leichtigkeit. Ähnlich unentschieden gerät auch der Chemnitzer »Hamlet« in der Regie von Bogdan Koca. Im Konglomerat aus Video, Live-Musik und Szenenwechsel erstrahlt nur Hauptdarsteller Stefan Migge, der für diese Leuchtkraft auch gleich mit dem Sächsischen Theaterpreis geehrt wurde.

Zwei Regisseurinnen

Neben Wöhlert war Ania Michaelis (Jg. 1965) die einzige weibliche Regisseurin, die sich auf dem Theatertreffen vorstellte. Die Oberspielleiterin am »tjg.theater junge generation dresden« zeigt sich für die Uraufführung von Jakob Arjounis Jugendroman »Cherryman jagt Mr. White« verantwortlich. Der wohltuend formale Bühnenraum von Martina Schulle und Katja Renau, Comic via Projektion als zweite assoziative Erzählebene und eine zum Publikum offene vierte Wand schaffen den Rahmen für eine Adaption ganz nah am Roman. Eine Stop-and-Go-Dramaturgie mit Szenenwechseln im Black entschleunigt leider gewaltig den so dramatischen Plot, um die Verstrickung eines Jugendlichen in einen Neonaziring. Die Zeit vergessen hingegen machte Tilmann Köhlers »Der geteilte Himmel«. Stichwort Ostalgie: Mag sein, dass diese den Theatersaal füllte. Aber was Köhler aus Christa Wolfs Roman zu destillieren vermag, ist der Rückblick auf eine entscheidende Kreuzung auf dem Lebensweg. Köhler, 1979 in Weimar geboren, war 2007 bereits beim »großen« Theatertreffen in Berlin mit »Krankheit der Jugend« zu Gast. Er blickt mit einem biografisch bedingten Abstand auf den politischen Konflikt und bannt so auch die Zuschauer, die jenes Land nur aus dem Geschichtsbuch kennen. Hätte die hiesige Jury einen Regiepreis vergeben wollen, sie wäre nicht um diesen jungen Mann herumgekommen: Die Protagonistin Rita wurde von drei Schauspielerinnen in drei Lebensaltern verkörpert – Reibungsfläche für jeden Zuschauer. Krankenhausweiß bestimmte den Raum über dem ein wallender Himmelsplafond waberte, einengte und (ganz sacht!) einstürzte. Gewitzt assoziative Einheits-Requisiten (Luftpumpen und -ballons) und ein rhythmisch geführtes Ensemble bildeten den schützenden Rahmen für eine herausragende schauspielerische Leistung von Lea Ruckpaul als Mädchen Rita Seidel.

Junge Regie: Jahrgang `79

Tilmann Köhler gehörte zur jungen Regiegarde auf dem diesjährigen Theatertreffen. Neben ihm stellte sich Ronny Jakubaschk, studierter Dramaturg und ebenfalls Mitte dreißig, mit »2 Uhr14« (deutschsprachige Erstaufführung) vom Theater der Jungen Welt vor. Das sprachlich und inhaltlich zeittypische Jugendstück in Short-Cuts-Struktur nutzt eine Raumbühne, wie auch der zweite Beitrag aus Leipzig: Philipp Preuss` Schnitzler-Godard-Collage »Der Reigen oder Vivre sa vie« auf der Hinterbühne des Schauspiels (Bühne: Ramallah Aubrecht). Köhler und Preuss verfügen über national gefragte Regiehandschriften. Preuss` (Jg. 1974) Gedankenreise rund um die Reigenthematik spiegelt sich im durchkomponierten, sich sacht wandelnden Bühnenraumkonzept und weist ebenso wie Köhlers Bearbeitung über den Ausgangstext hinaus. Das hätte man sich auch für Catherine Grosvenors Deutschsprachige Erstaufführung von »Gabriel« gewünscht. Der mit Anfang 40 ebenfalls noch zu den »Jungregisseuren« zählende Łukasz Witt-Michałowski studierte in Krakau und Frankfurt Regie. Zu der schwarzhumorigen Tragikomödie über postpartale Wochenbettdepression gewinnt er jedoch keinerlei Zugang und vermag es nicht, die drei Schauspieler durch die, zugegeben fragwürdige, Konstruktion des Stücks zu manövrieren: Blut, viel Maske(rade) und Geschrei. Aber es sind glücklicherweise die nachdenklichen Theaterabende mit differenzierter Ästhetik, die weniger klare Haltungen vorgeben und gerade daher von diesem Theatertreffen im Gedächtnis bleiben werden.


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