Das TdJW-Sommertheater führt in fantastischen Traumbildern durch die Geschichte jüdischen Lebens in Europa. Das Ariowitsch-Haus wandelt sich dafür in »Das glickliche Haus«.
Der Golem ist aus Lehm geformt und zu Leben erweckt: durch Zauberei, den Atem Gottes, durch Worte. Die Legende sagt, dass der Prager Rabbi Judah Löw im 16. Jahrhundert einen Golem geschaffen hat, der die jüdische Gemeinde der Stadt vor Anschuldigungen schützen sollte, dass die Juden kleine Christenkinder ermorden, um deren Blut für finstere Rituale zu verwenden. Selber sprechen kann er nicht. In der Inszenierung des Theaters der Jungen Welt (TdJW) stapft er (Elisabeth Fues) grobmotorisch und nur scheinbar stoisch durch das Traumhaus, hat Kräfte, die er eigenwillig einsetzt, und singt sogar. Die Kulisse für das Haus der Träume bildet das Ariowitsch-Haus im Waldstraßenviertel. Die Zuschauer werden in zwei Gruppen geteilt (die Leviathane die einen, die Käfer die anderen) und erhalten im Stil einer kleinen Stadtführung einen Abriss der jüdischen Geschichte Leipzigs. Stummfilmszenen lassen währenddessen den Verkehr langsamer werden.
Sodann entfalten sich die Träume an verschiedenen Stationen des Hauses, die – wie die Geschichte des Gebäudes – nicht nur schön und glücklich sind: 1931 als Altersheim für orthodoxe Juden eingeweiht, wurde es bald zum Judenhaus und nach der Deportation seiner Bewohner zur Dienststelle für die Gestapo. Nach dem Krieg konnte die kleine jüdische Gemeinde das große Gebäude nicht halten und verpachtete es an die Stadt, die ebenfalls ein Altersheim darin betrieb. Erst in diesem Jahrhundert wurde das Kultur- und Begegnungszentrum eingerichtet.
200 Jahre nach Rabbi Löw lebt Franz Kafka als assimilierter Jude in Prag. Sein Werk dreht sich auch um Außenseiter, um Verfolgte, um die, die draußen vorm Tor stehen und nicht hineingelassen werden. Für diese kann sich der Ordnung verlangende Staat zum Ungeheuer, zum Leviathan verwandeln. Junikäfer Gregor Samsa tritt auf, der von Schwester wie Mutter als kurioses Monster vorgeführt und ansonsten nicht weiter beachtet wird. Zum Käferkenner wird Kafka im Stück durch die Begegnung mit Roman Vishniac, einem Fotografen, der die Mikrofotografie von lebenden Insekten entwickelt und Fotoserien von osteuropäischen Schteteln gemacht hat. Somit hat er eine Welt eingefangen, die es nicht mehr gibt, und das nicht, weil die Dinge sich geändert haben, sondern weil sie in antisemitischer Tradition zerstört wurde. Heinrich Heine, der nicht weiß, was es bedeuten soll, spricht von der Unmöglichkeit der Heimat Deutschland, die zu verlassen eine Tochter ihre Mutter mahnt, im Angesicht der Lebensgefahr. Hier werden die Träume nicht nur zu Albträumen, hier werden auch Nächte traumlos, weil schlaflos. Puppenspieler Dirk Baum wehrt sich verzweifelt gegen die Aufforderungen seiner Handpuppe, sich dem Morden zu stellen. In einer eindringlichen Szene darf Shakespeares Shylock unter anderem fragen, was es für einen Grund gibt, Menschen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Religion wegen schlechter zu behandeln, die Klezmer-Kapelle Rozhinkes begleitet Bilder Verstorbener. Das ist ernst und schwer. Ernst Lubitschs Film »Sein oder Nichtsein« von 1942, eine Nazi-Parodie, soll schließlich als Bühnenstück gebracht werden, was das Gedankenspiel beinhaltet, als Hitler verkleidet auf die Straße zu gehen und zu schauen, was passiert. Dabei sollte freilich der obligate Schnurrbart nicht vergessen werden.
Das TdJW hat sein Sommertheater wieder an einen Leipziger Ort außerhalb des Stammhauses verlegt und eröffnet so die Möglichkeit, die Stadt mit einem eigenen Zugang kennenzulernen. Der Spaziergang durch das Haus auf der Textgrundlage von Steffen Georgi wird zum Gang durch die Geschichte in fantastischen Bildern, der mal lustig, mal eindringlich ausfällt. Da tönt ein Grammofon metallisch alte Melodien oder Sängerin Margarita Tsoukarelas haucht als Stella Goldstein glamourös »I wanna be loved by you« und melancholisch »Wenn ich mir was wünschen dürfte«, an anderer Stelle verfolgt Breakdancer David Senf das Motto, traumgleich zusammenzubringen, was zeitlich oder logisch gar nicht zusammenpasst. Dem Stationentheater gemäß richtet sich das Tempo auch nach dem Tempo der jeweiligen Gruppe und es gibt nicht einen, sondern viele Höhepunkte.