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Stadtleben

Freiraum mit Fragezeichen

Die OSTLichter zeigen die Entwicklung des Leipziger Osten auf

  Freiraum mit Fragezeichen | Die OSTLichter zeigen die Entwicklung des Leipziger Osten auf

Noch bis zum 19. Oktober finden in den Stadtteilen Neustadt-Neuschönefeld, Volkmarsdorf, Reudnitz und Anger-Crottendorf wieder die OSTLichter statt – einer der Akteure des Stadtteilkulturfestivals ist die Zündkerzenwerkstatt in der Dresdner Straße.

»Vorsicht – steile Treppe!« warnt ein Schild gleich hinter der Eingangstür der Zündkerzenwerkstatt, und steil ist sie wirklich! Die Zündkerzenwerkstatt, das ist eine Ateliergemeinschaft bestehend aus insgesamt acht Künstlerinnen und Künstlern. Hier in der Dresdner Straße haben sie Freiräume gefunden, die ihnen die Möglichkeit bieten, sich jenseits der eigenen vier Wände künstlerisch auszutoben. Über Facebook und das Quartiersmanagement Leipziger Osten sind die Kreativen auf das Mietangebot gestoßen. Bildende Kunst, Literatur, Musik, Schmuck- und Textilherstellung, Biokosmetika, Kinderbuchillustrationen – das künstlerische Spektrum kennt hier keine Grenzen. Auch eine Geigenbauerwerkstatt findet sich in dem Reudnitzer Atelier. Die Ateliergemeinschaft ist in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Zündkerzenwerkstatt zu Hause, einem etwa 120 Jahre alten Gebäude. Es wurde nur sporadisch renoviert und hat somit diesen unfertigen Charme, den man aus vielen Leipziger Ateliers und Einrichtungen kennt. Hat man die steile Treppe einmal hinter sich gebracht, steht man in einem gemütlichem Wohn- und Esszimmer, das mit einer kleinen Küche verbunden ist. Die vier folgenden Räume, die zum Teil winzig sind, gehen nahtlos ineinander über – die Spuren der früheren Werkstatt sind deutlich zu erkennen. Alles ist offen. »Zum Glück verstehen wir uns ziemlich gut, das hätte ja auch anders sein können«, lacht Katharina, eine der Untermieterinnen. In ihrer Freizeit produziert sie hier unter anderem Musik, hauptberuflich ist sie Kardiologin. Gemeinsam mit Vladi, die sich neben ihrem Beruf als Informatikerin der Schriftstellerei widmet, teilt sie sich einen der Räume, den die beiden nutzen, wann immer sie Zeit und Lust haben. Die anderen Künstler aus 
der Ateliergemeinschaft investieren ebenso den Hauptanteil ihrer 
Freizeit in künstlerische Tätigkeiten. Wie auch 2013 beteiligt sich Zündkerzenwerkstatt dieses Jahr wieder an den OSTLichtern.

»Jedes Viertel hat irgendwann das Bedürfnis, sich zu präsentieren«

Die OSTLichter, das ist das Stadtteilkulturfestival des Leipziger Ostens. Dieses Jahr findet es zum 13. Mal statt und erstreckt sich über fast fünf Wochen. Bis zum19. Oktober finden in Neustadt-Neuschönefeld, Volkmarsdorf, Reudnitz und Anger-Crottendorf mehr als 50 Veranstaltungen verschiedenster Kulturinstitutionen und Vereine des Leipziger Ostens statt. Neben der Zündkerzenwerkstatt zählen unter anderem auch die Initiative Querbeet, die Buchkinderwerkstatt Leipzig Ost und das Japanische Haus zu den Akteuren. Sie alle schließen sich jährlich zusammen, um die kulturelle Entwicklung des Viertels zu unterstützen, die vielen Möglichkeiten im Leipziger Osten aufzuzeigen und die Sozialität unter den Anwohnern zu fördern. »Jedes Viertel hat irgendwann das Bedürfnis, sich zu präsentieren und zu zeigen, was es gibt, wie es sich entwickelt und dass es ein großes Potenzial hat«, sagt Katharina.

Eine Fahrradexkursion durch die Gärten des Ostens, eine Kurzführung über afrikanische Musik im Grassi Museum, ein deutsch-russisches Familienfest in der Stadtteilbibliothek Reudnitz – die Events im Rahmen der OSTLichter demonstrieren die Vielfalt an Kultureinrichtungen im Stadtteil. Vladi sieht in dem Kulturfestival außerdem die Chance, sich gegenseitig besser kennenzulernen. »Bei jeder Veranstaltung beginnt man, sich auszutauschen und oft bilden sich interessante Gruppierungen. Man guckt, was es noch so gibt – das schafft oft auch neue Anregungen«. Diese soziale Vernetzung hat zum Beispiel dazu geführt, dass der vegane Späti »zu Spät« beim Sommerfest der Zündkerzenwerkstatt letztes Jahr für das Catering zuständig war. Auch mit dem Kaffeefahrrad »Lieblingskaffee«, das normalerweise durch den Lene-Voigt-Park rollt, hat die Ateliergemeinschaft schon öfter zusammengearbeitet. Das Teehaus »Konfuzius Tee Kultur Garten«, ein Nachbar der Zündkerzenwerkstatt, hat bei einem Flohmarkt der Werkstatt Tee und Speisen angeboten. »Es entsteht halt so eine Art Spinnennetz, das ist total spannend. Zu diesen Veranstaltungen kommen natürlich auch viele unserer Freunde, von denen viele nicht hier wohnen und die auf diesem Weg auch andere Institutionen im Leipziger Osten kennenlernen«, sagt Katharina. »Aktiv bei diesen Veränderungen im Viertel dabei zu sein, ist super. Eben weil sich alles so schnell verändert, hat man manchmal das Gefühl, dass das Ganze an einem vorbeirennt, obwohl man selbst mitgestaltet. Teilhaben und miterleben zu können ist für uns alle ganz wichtig.«

Viele der Räume sind vermietet oder verkauft worden

Den großen Auftakt der OSTLichter bildet seit 2013 der »Freiraum« – eine Großveranstaltung in leeren Räumen entlang der Eisenbahnstraße, die zum Teil vom Quartiersmanagement und der Stadt Leipzig finanziert wird. Dieses Jahr erwarteten den Besucher am 13. September von 10 bis 22 Uhr Filmvorführungen, Ausstellungen, Installationen und Workshops, an denen sich ein Großteil der OSTLichter-Akteure beteiligte. Doch schon ein Jahr nach Einführung des »Freiraums« machen Skepsis und Zweifel um die Zukunft des Projekts die Runde – schon ist es gar nicht mehr so leicht, leere und ungenutzte Räume in und um die Eisenbahnstraße zu finden. Hieß die Veranstaltung letztes Jahr noch »Freiraum!«, haben sich die Organisatoren dieses Jahr für die treffendere Bezeichnung »Freiraum?« entschieden. Viele der Räume, die vergangenes Jahr noch bespielt werden konnten, sind mittlerweile vermietet oder verkauft worden. »Dieses Jahr war die Veranstaltung mit Fragezeichen versehen, mal sehen, wie es nächstes Jahr sein wird«, rätselt Vladi. Auch die Zündkerzenwerkstatt nahm an der großen Eröffnungsveranstaltung teil und präsentierte sich mit einem »Interaktiven Ausstellungsexperiment« in einem der freien Räume.

Zweifellos ist mit dem Stadtteilkulturfestival im Leipziger Osten eine wichtige und traditionsreiche Initiative gewachsen, die den Kiez mal von einer anderen Seite beleuchtet und die verschiedenen Einrichtungen, Vereine und Anwohner zusammenführt. Doch steht die langfristige Entwicklung des Stadtteils in unmittelbarem Zusammenhang mit den OSTLichtern? Nein, glaubt Katharina. »Denn viele Akteure im Leipziger Osten erscheinen gar nicht im Programm. Es gibt wesentlich mehr als das, was beim Festival gezeigt wird. Es soll natürlich exemplarisch und stellvertretend für das Viertel sein, aber es kommt immer wieder sehr viel nach.«


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