Zu Beginn dieser neuen Kolumne steht der Fußball. Allerdings interessiert nicht das Spiel auf dem Platz, sondern die Inszenierung um ihn herum. Tragischerweise fällt sie oftmals völlig zu unrecht aus der Berichterstattung heraus.
Ein Verein, der die allumfassende Inszenierung erstklassig beherrscht, ist RB. Dabei führt die Selbstdarstellung von Vereins- und Fanseite dazu, dass die Traditionsfalle übersprungen werden soll. Letztlich setzt sich die Marketingidee hinter der Mannschaft sogar bei erklärten Gegnern durch.
Das erste Titelblatt des RB-Vereinsmagazins verkündete im vergangenen Sommer ganz selbstbewusst mit einem bunten Wimmelbild: »Wir sind Leipzig«. Darauf sind im Leipziger Stadion das Völkerschlachtdenkmal, die Thomaskirche von Bach, Napoleon über Fischer-Art zu Neo Rauch das weltweite Red Bull-Universum samt politischen Akteuren zu sehen. Unter dem Spielfeldrasen verbannt sind nicht nur Alkohol und Faust mit Mephisto auf dem Fass, sondern auch die Wiege des Deutschen Fußball-Bundes. Ein besonderer Seitenhieb geht in Richtung Probstheida, denn zentral im Bild landet eine Schwalbe im blau-gelben Trikot direkt auf dem Bauch. Alle Puzzleteile zusammen führen dann zur Unterzeile: »Eine Stadt spielt Fußball.«
Diesen Anspruch setzten in der letzten Saison auch die vom Fanblock inszenierten Choreografien um. Vor dem Pokalspiel gegen Aue beispielsweise zeigte ein überdimensionales Bild das ehemalige Zentralstadion mit seiner charakteristischen Flutlichtanlage vor dem Umbau als WM-Spielort. Dieser visuelle Verweis setzte die Kurzchronik der RB-Homepage großformatig um. Denn sie beginnt nicht etwa mit der RB-Gründung am 19. Mai 2009, sondern mit dem Stadionumbau neun Jahre zuvor.
Beim letzten Heimspiel 2014/15 gegen Greuther Fürth legten die Fans sogar noch eine Schippe drauf. Sie ließen sich nicht lumpen und organisierten Bilder zu 1000 Jahre Leipziger Ersterwähnung. Dafür wurde im Stadionrund ein rot-weißes Fahnenmeer mit dem Stadtwappen kombiniert und Meilensteine der lokalen Chronik zu Wagnerklängen angereichert, um die klare Botschaft auszusenden: »RB ist Leipzig« und im Umkehrschluss »Leipzig ist RB«. Aber ausgerechnet beim Motiv zum ersten deutschen Fußballmeistertitel patzten die Bildermacher ganz gewaltig. Denn der VfB Leipzig erhielt dafür 1903 keinen schnöden Henkelpott wie die Inszenierung nahe legte. Nein, es war die beflügelte Siegesgöttin Victoria mit Lorbeerkranz in der Hand, die der Skulptur »Kranzwerfende Victoria« des klassizistischen Bildhauers Christian Daniel Rauch nachempfunden war. Sie wurde als Wanderpokal von 1903 bis 1944 dem Sieger der Deutschen Meisterschaft überreicht.
Bei den selbstdefinierten Geschichtsbildern verwunderte es sehr, dass beim ersten Heimspiel der aktuellen Saison nichts zu sehen war. Aber dann beim Spiel gegen St. Pauli sollten die Fans »FaRBe bekennen« und in roten und weißen Obertrikotagen im Stadionrund auftauchen. So zeigte sich vor allem der Fanblock und holte dann noch glitzernde rote und weiße Schwenkelemente hervor, die eine Dosenoberfläche suggerierte. Auf eine lokale Bebilderung wurde verzichtet. Nun gab es Meister Yoda aus »Star Wars«. So weit so großflächig inszeniert. Bis dann plötzlich in der 18. Spielminute in einem kleinen Ausmaß grün auf weiß eine ganz andere Aussage zu lesen war: »Scheiß Heidenau Scheiß Sachsen Scheiß Nazis«. Das waren nun wirklich mal neue Töne, die sich vom Firmenmarketing erheblich unterscheiden: Keine lokale Glitzerwelle und keine gern so dahin gesäuselte Politikferne.
Dass dann ausgerechnet noch die Videowand einen bizarren Querverweis lieferte als die Zuschauerzahl mit »auserkauft« beworben wurde, erinnerte den einen oder die andere möglicherweise an das erste Testspiel von RB gegen Schalke 04 vor fünf Jahren im neu umbenannten Stadion. Damals bejubelte die Videowand das erste Tor nicht für RB, sondern für FC Sachsen.
Die Botschaft »RB ist Leipzig« wird auch außerhalb vernommen. Das Plakat des VfL Osnabrück zum Pokalspiel war mit den Worten überschrieben: »Wir im DFB-Pokal. Gemeinsam gegen Leipzig«. Bebildert wurde die Aussage mit einem Fußball samt VfL-Logo im Vordergrund und einem unscharf gehaltenen Turm aus Getränkedosen. Weiterer Namen oder Logos bedurfte es nicht – Leipzig ist die Dose! So setzt sich die RB gestrickte Marketingstrategie konsequent fort.
Das Löschen des RB-Logos auf der St. Pauli-Homepage geht sogar noch einen Schritt weiter. Denn nun taucht nur noch Leipzig auf, weil ja eh alle wissen, dass es sich nicht um einen anderen Leipziger Verein handeln kann. Das RB-Branding sitzt perfekt. Da hilft es leider auch nicht, wenn St. Pauli vor Spielbeginn auf seiner Facebookseite die Kabine im Stadion mit zugedeckter Getränkekühleinrichtung zeigt. Die St. Pauli-Flagge lenkt vielmehr erst den Blick darauf.
Die jüngst veröffentlichte Fußballstudie 2015. Die Markenlandschaft der Fußball-Bundesliga der TU Braunschweig gibt der TSG 1899 Hoffenheim und RB Leipzig mit auf den Weg, dass sie sich zur »Neutralisierung negativer Assoziationen aufgrund mangelnder Vereinstradition« als innovative, fortschrittliche Vereinsmarken präsentieren sollen. RB wiegt die Tradition mit neuen tradierten Bildern auf, was der Studie leider entging. Ob die Strategie, dass RB-Spieler für ein Bild-Abo werben, da eine innovative Wirkung hervorruft, nun ja.
Und um die anderen Vereine nicht zu vergessen: Im Anblick der Ereignisse von Heidenau hatten St. Pauli-Fans vor Spielbeginn am Oberrang das Banner »Kein 2. Lichtenhagen« befestigt. Bereits am Samstag positionierten sich die Fans der BSG Chemie Leipzig im Alfred-Kunze-Sportpark auf dem Norddamm klar: »23 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Schon vergeben? Schon vergessen? Pogrome verhindern!«
Etwas anders teilte sich der Rote Stern beim Landesklasse-Auswärtsspiel mit. Beim Auswärtsspiel gegen den SC Hartenfels Torgau 04 war am Samstag »Heidenau abschieben!« zu lesen.
Also, jenseits der Ergebnistafel beim Sport immer die Augen und Ohren offen halten!