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Filmkritik

Ballet mécanique

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Ballet mécanique | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Von »Metropolis« bis »City Lights«: Die moderne Großstadt in den späten zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts inspirierte die Pioniere des damals immer noch jungen Mediums Film zum Träumen. Ihrer Fantasie widmet das Luru-Kino auf dem Spinnereigelände den ersten Teil eines künftig allmonatlich stattfindenden Stummfilm-Doppels. Die beiden Filme, die unter dem Titel »Ballet mécanique« gepaart werden, stehen entweder in einem motivisch-inhaltlichen, ästhetischen oder kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Zusammenhang, wie Tilman Schumacher erklärt. Gemeinsam mit Christoph Ruckhäberle kuratiert er die Reihe im Luru, um neben dem allmonatlichen Horror-Doppel mit Donis einen weiteren Filmabend zu etablieren, bei dem es um die analoge Vorführung historischer Filmkopien geht. »Zu diesem Zwecke leihen wir sämtliche Filme der Reihe auf 35-mm-Material aus Filmarchiven wie dem Arsenal, der Deutschen Kinemathek oder dem Deutschen Filminstitut in Frankfurt.«

Beim ersten Doppel stehen sich thematisch verwandte, aber dennoch grundverschiedene Filme gegenüber, was auch das erklärte Ziel der Kuratoren ist. »Wir stellen die wichtige sowjetische Experimental-Dokumentation ›Der Mann mit der Kamera‹ von Dsiga Wertow, die mit einer rhythmischen Montagetechnik den Verlauf eines Tages in einer sowjetischen Metropole darstellt, mit einem recht unbekannten Vertreter des deutsch-expressionistischen ›Straßenfilms‹ zusammen.« Der in einem düsteren Berlin spielende »Asphalt« von Joe May stammt ebenso wie Wertows Klassiker aus dem Jahr 1929. »Zwei Filme mit völlig unterschiedlichen künstlerischen Verfahren, Stilen und Stimmungen, denen das Großstadt-Setting gemein ist«, beschreibt es Schumacher. Gerade der Vergleich dieser gegensätzlichen Werke reizt die Macher. »Wie unterschiedlich und vielschichtig das Thema der modernen Großstadt dargestellt wurde, soll sich als ein roter Faden auch in den zwei bis drei darauf folgenden Doppeln weiterspinnen.«

Aber noch eine weitere Entscheidung hebt die Reihe »Ballet mécanique« von den anderen Stummfilmprojektionen der Stadt ab: der völlige Verzicht auf Musik. Die Entscheidung, die Filme vorrangig stumm zu zeigen, erlaube eine ganz andere Rezeption der Werke, unterstreicht Schumacher: »So kann die Visualität des Films – gewissermaßen das ›ballet mécanique‹ – besonders intensiv erfahren werden.«

Beginn der Reihe: 16.3., 1. Film: 19 Uhr, 2. Film: 21 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei (danach im monatlichen Intervall immer mittwochs) www.luru-kino.de

Film der Woche: Um von dem beispiellosen Grauen zu erzählen, führt uns der ungarische Jungregisseur László Nemes an den Ort, der wie kein anderer zum Sinnbild nationalsozialistischer Menschenverachtung wurde: Auschwitz-Birkenau. Der dort internierte, dem SS-Sonderkommando unterstellte Ungar Saul Ausländer entdeckt unter den Todesopfern einen Jungen, den er für seinen Sohn hält. Fortan gibt es für ihn nur noch einen Gedanken: Er will einen Rabbi finden und dem Jungen ein ordentliches Begräbnis zukommen lassen. Mehr als diese minimalistische, zurückhaltend poetisierte Handlung braucht es nicht, um uns den Ort des Schreckens in allen Winkeln vor Augen zu führen. Teils verschwommen (dadurch aber nicht weniger schockierend) sehen wir die Leichenberge, die Krematorien und den Protagonisten, der zusammen mit anderen Häftlingen zum Reinigen der Gaskammern abkommandiert wird. Die unruhig geführte Kamera ist dabei mittendrin im grausamen Geschehen und lässt uns so die (fiktive) Geschichte aus der Perspektive eines KZ-Insassen erleben. Eine radikale künstlerische Entscheidung, die einen quälend unmittelbaren Blick auf das Unvorstellbare eröffnet. In diesem Sinne ist dieser mit dem Großen Preis von Cannes ausgezeichnete, Oscar-nominierte Beitrag eine Filmerfahrung, die Grenzen des Erträglichen bewusst überschreitet und zu einer Konfrontation zwingt, die ebenso wichtig wie schwer auszuhalten ist. Ausführliche Kritik von Karin Jirsak im aktuellen kreuzer.

»Son Of Saul«: 10.3., Kinobar Prager Frühling, Luru-Kino in der Spinnerei

Der russisch-ukrainische Regisseur Vitaly Mansky reiste 2014 mit seinem Filmteam mehrere Male in die Hauptstadt Pjöngjang. Der Plan war zunächst, einen offiziell abgesegneten Film über das Leben in Nordkorea zu drehen. Sie bekamen Unterstützung von Regierung und Funktionären und konnten mehrere Wochen lang drehen, bis das Projekt irgendwann im Sande verlief. Glücklicherweise hatten sie da bereits genügend Material, um einen Film daraus zu machen. Das Ergebnis ist ziemlich sensationell. Die gefakte, aufwendig inszenierte Geschichte über die kleine wohlhabende Familie aus Pjöngjang sollte ursprünglich wohl eine Art nordkoreanische Reality-Soap werden. Man hatte in Pjöngjang ein genaues Drehbuch für alle geplanten Szenen erstellt. Keine Szene konnte ohne Vorgaben gedreht und keine Person in ihrem authentischen Umfeld porträtiert werden, was Mansky dazu veranlasste, genau dieses »Drumherum« in den Film mit aufzunehmen und so einen Einblick in das dortige Leben zu geben. »Im Strahl der Sonne« ist ein Film darüber, wie es ist, einen Film über ein Land zu drehen, von dem es kaum inoffizielle Bilder gibt. Gerade die »Dreharbeiten«, die einen weichgespülten Vorzeigefilm produzieren sollten, zeigen die grotesken bis gruseligen Fäden der Manipulation. Ausführliche Kritik von Magdalena Kotzurek im aktuellen kreuzer.

»Im Strahl der Sonne«: ab 10.3., Passage Kinos, Cinémathèque in der naTo

Vor dreißig Jahren reiste Doris Dörrie erstmals nach Japan und war auf Anhieb fasziniert von dem Land und seinen Menschen. Zweimal lebte sie diese Faszination bereits auf der Leinwand aus: 2000 mit »Erleuchtung garantiert« und zuletzt 2008 mit »Kirschblüten – Hanami«. Immer wieder erzählte sie ihre Geschichte von außen, blickte auf das fremde, ferne Land mit den Augen eines Gaijin – eines »Menschen von draußen«. Auch in »Grüße aus Fukushima« ist dies ihr Ausgangspunkt, Dörrie filmte aber zum ersten Mal komplett in Japan. Dorthin flüchtet die junge deutsche Marie (Rosalie Thomass). Genauer gesagt in die Sperrzone um Fukushima. Nach der Dreifachkatastrophe von 2011 möchte sie helfen – aber vorrangig sich selbst. Ihr Freund hat sie vor dem Altar versetzt und nun geht sie in die Ferne, um zu vergessen. Mit der Organisation Clowns4Help will sie den Menschen in den Katastrophengebieten ein Lächeln schenken. Aber wie kann sie das, wenn ihr selbst nicht zum Lachen zumute ist? Unbeholfen stolpert sie durch das triste Camp, bis sie die störrische Alte Satomi (Kaori Momoi) trifft. Diese will zurück in ihr Haus, das innerhalb der Sperrzone liegt, und sie überredet Marie, sie dorthin zu bringen. Doch als sie nicht mehr weg will, beschließt Marie kurzerhand, bei ihr zu bleiben. Langsam nähern sich die beiden unterschiedlichen Frauen einander an, denn beide haben eine Schuld auf sich geladen, die schwer auf ihrer Seele liegt. In kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern, vermischt mit grobkörnigem Originalbildmaterial von den Überflutungen, erzählt Dörrie ihre Geschichte. Sie drehte an den Originalschauplätzen der Katastrophe, in Minamisoma, in der Präfektur Fukushima. Dorthin reiste sie ähnlich ihrer Hauptfigur im November 2011 zum ersten Mal, um zu helfen. Ihre Eindrücke haben das Drehbuch geprägt, das exemplarisch vom Verlust eines ganzen Lebens erzählt – wie ist das, wenn man nach Hause kommt und da ist nichts mehr? Dörrie konzentriert sich mit ihrem Film vollends auf die beiden Frauen, und Kaori Momoi (»Die Geisha«) und die für ihre Rolle mit dem Bayrischen Filmpreis geehrte Rosalie Thomass (»Taxi«) nehmen die Möglichkeit eines freien, intensiven Wechselspiels dankbar auf. Auf der Berlinale wurde »Grüße aus Fukushima« soeben mit dem Panorama Publikums-Preis in Silber sowie dem C.I.C.A.E. Art Cinema Award ausgezeichnet, der auf den großen Festivals von einer Jury aus internationalen Kinobetreibern vergeben wird.

»Grüße aus Fukushima«: ab 10.3., Passage Kinos

Flimmerzeit_Februar 2016

 

Weitere Filmtermine der Woche

Menschen am Sonntag Chronik eines Sonntags im Berlin der späten Weimarer Republik. Stilbildender, semidokumentarischer Stummfilm-Klassiker, praktisch ohne Budget gedreht von einer Gruppe junger Filmemacher, die wenig später sämtlich in die USA emigrierten und dort Karriere machten. – Live-Vertonung mit Múm 11.3., 21 Uhr, UT Connewitz

Bikes vs. Cars Der Dokumentarfilm zeigt eine globale Krise, deren wir uns längst bewusst sind und über die wir sprechen sollten: Klima, Ressourcenvergeudung sowie ganze Städte, die von Autos vereinnahmt und verschlungen werden. In Zusammenarbeit mit dem Ökolöwen 13.3., 17 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Status: frei Russisches Kino im Original: Nikita wurde von seiner Freundin verlassen und hat damit ein echtes Problem, über das er in einem Blog schreibt. Zusätzlich tritt er in einer TV-Show auf, was ihn berühmt macht. Russisches Kino. 13.3., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)

Bach in Brazil Ein ehemaliger Musiklehrer reist nach Brasilien, um einen Freund zu besuchen. Dort wird er ausgeraubt und strandet in einer Jugendstrafanstalt, wo er den Kindern die Musik näher bringt und beginnt, sich in der kleinen brasilianischen Stadt wohlzufühlen. Premiere in Anwesenheit des Regisseurs Ansgar Ahlers und der brasilianischen Darsteller Aldri Anunciação, Dhonata Augusto und Julia de Mattos Barbosa 16.3., 19.30 Uhr, Passage Kinos


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