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Politik

»Es ist einfacher, rechts als links zu sein«

Schriftsteller Raul Zelik über Kapitalismus, Populismus und den Alltag damit

  »Es ist einfacher, rechts als links zu sein« | Schriftsteller Raul Zelik über Kapitalismus, Populismus und den Alltag damit

Im Rahmen von »Leipzig liest« hat der Berliner Schriftsteller Raul Zelik seinen Essayband »Im Multiversum des Kapitals« vorgestellt. Im Gespräch mit dem kreuzer spricht er über fehlende kritische Lehrinhalte an Universitäten, (Links)Populismus und die Möglichkeiten einer solidarischen Alltagspolitik gegenüber rechtspopulistischer Mobilmachung seitens Pegida und der AfD.

kreuzer: Ihr neues Buch nennt sich »Im Multiversum des Kapitals«. Was verbirgt sich hinter diesem kryptischen Titel?

RAUL ZELIK: Das Buch besteht aus mehreren Essays, die bereits in verschiedenen Zeitungen erschienen sind. Darin versuche ich mit der Hilfe von politischer Theorie aktuelle Situationen und Konflikte besser zu verstehen, beispielsweise die islamistischen Terroranschläge und die Reaktion des Westens darauf, die Rückkehr imperialistischer Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten oder warum psychische und stressbedingte Krankheiten im Kapitalismus zunehmen. Der Titel des Buches soll darauf verweisen, dass es viele Dimensionen des Leidens und des Angst-Habens innerhalb kapitalistischer Gesellschaftsformationen gibt.

kreuzer: Sie bezeichnen sich selber als politischen Schriftsteller. Was wollen Sie mit Ihren Büchern und Artikeln gesellschaftspolitisch erreichen?

ZELIK: Bei der Belletristik habe ich jetzt nicht primär die Erwartung, etwas erreichen zu wollen. Mir geht es beim Literaturschreiben eher darum, den eigenen persönlichen Leidensdruck abzubauen. Bücher sind auch immer ein Ausdruck der eigenen Verarbeitung von Erlebnissen. Bei den politischen Essays ist das aber anders. Dort geht es mir darum, auch politisch einzugreifen. In dem Essayband möchte ich vor allem die Lücke zwischen radikaler Kritik und Gesellschaftstheorie schließen. Adorno oder Foucault werden zwar nach wie vor im wissenschaftlichen Betrieb wahrgenommen und rezipiert, jedoch ist das vermittelte Wissen schon eher kanonisch und wird nicht für eine fundamentale Gesellschaftskritik aufbereitet. Theorien alleine geben zwar keine Handlungsanweisungen, aber sie können ein Problembewusstsein schaffen, mit dessen Hilfe wir aktuelle Problemlagen wie den grassierenden Rassismus oder die Islamfeindlichkeit deutlicher einordnen können.

kreuzer: Warum kommt es im wissenschaftlichen Betrieb zu einer Entradikalisierung von politischer kritischer Theorie?

ZELIK: Das ist kein neues Phänomen. Wenn der Kapitalismus etwas in die Hand nimmt, verwandelt er es in eine Ware. Zudem ist die Uni selbst ein ideologischer Staatsapparat. Es wird daher eher die reine Theorie abgefragt, anstatt dieses Wissen zu transferieren und zu fragen, was diese Theorie für konkreten politischen Widerstand bedeuten könnte. Eine Entwicklung von kritischem Bewusstsein wird von vielen Unidozenten nicht mehr angestrebt. Das war früher durchaus anders und glücklicherweise gibt es auch noch ein paar Professoren, die nach wie vor dahingehend politisch aktiv sind und ihren Studierenden kritisches Denken mit auf den Weg geben.

kreuzer: Sie schreiben auch über linkspopulistische Bewegungen vor allem im spanisch- und portugiesischsprachigen Raum. Innerhalb der deutschen politischen Debatten ist der Begriff Linkspopulismus nicht gut angesehen und wird weniger analytisch, sondern mehr moralisch verwendet. Alles, was nicht der politischen Mitte entspricht, wird mit diesem Begriff quasi diffamiert. Was zeichnet Ihrer Meinung nach linkspopulistische Bewegungen aus?

ZELIK: Das ist ein weites Feld, da es verschiedene Definitionen von Populismus gibt. Die weit verbreitetste und banalste Version ist die, die auch oft in den Zeitungen steht: Ein Populist ist, wer eine Politik mithilfe von Stammtischparolen betreibt, die bei seinen Wählern gut ankommen. Es gibt aber auch viel differenziertere Definitionen von Populismus, die in ihm den Versuch sehen, politische Bewegungen durch einen starken gemeinsamen Konsens zu schaffen. In der politischen Praxis gab es unabhängig von diesen Definitionen eine Wiederkehr des Phänomens, vor allem in Lateinamerika, aber auch in jüngster Zeit in Spanien mit Podemos oder in Griechenland mit Syriza. Dort ist eine neue Linke entstanden, die sich nicht mehr über die klassische Massenorganisation, beispielsweise in Form der Arbeiterklasse, definiert, sondern eine größere Bandbreite von gesellschaftlichen Gruppierungen einschließt. Das mündete zum Teil in einer offenen Programmatik ohne klare inhaltliche Positionierung, die dann auch zur schnellen Auflösung dieser Bündnisse führte. Zudem zeichnen sich diese Bewegungen durch starke Führungspersönlichkeiten aus, siehe Hugo Chavez in Venezuela oder den Vorsitzenden von Syriza, Alexis Tsipras.

Ich persönlich habe zu diesen Bewegungen ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits finde ich es sehr gut, dass diese Parteien und Bewegungen die Frage gestellt haben, wie man große Teile der Bevölkerung für den Kampf für ihre eigenen Belange erreichen kann. Letztendlich ist es ja traurig, dass ein Großteil der Menschen nach wie vor Gruppierungen unterstützt oder Parteien wählt, die ihre Lebenslage verschlechtern. Man denke nur an die Bankenrettung. Am absurdesten ist in diesem Zusammenhang das gute Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen. Die Arbeitslosen stimmen dafür, dass es keinen Mindestlohn mehr geben soll und die Steuern von den Reichen gesenkt werden sollen. Was ich aber problematisch finde, ist die starke Orientierung an Führungspersonen und die zum Teil vorhandene flache Rhetorik, mit der die Menschen aktiviert werden sollen. Wenn man immer nur über »die da oben« redet und nicht mehr über Eigentumsverhältnisse, verwendet man eine politische Rhetorik, an die die politische Rechte anknüpfen kann. Es sollte darum gehen, so zu reden, dass man von vielen verstanden wird, aber man muss nicht immer die Antworten geben, die gewöhnlich als populistisch verstanden werden.

kreuzer: Welche Erfolg versprechenden Alternativen existieren zum Linkspopulismus, die sich trotzdem noch innerhalb linker Programmatiken befinden?

ZELIK: Ich denke hier an Bernie Sanders, der auch versucht, die Dinge möglichst einfach und barrierefrei auszudrücken, ohne dabei auf Gesellschaftsanalyse und die klare Nennung von Problemen zu verzichten: die ungerechten Eigentumsverhältnisse und Umverteilung. Zudem ist er auch deutlich antirassistisch und setzt somit auch inhaltlich Grenzen. Er steht für gewisse Prinzipien ein und verrät diese nicht aus politischem Kalkül.

kreuzer: Warum konnte die AfD so erfolgreich bei den letzten Landtagswahlen abschneiden, während Die Linke deutliche Stimmverluste einfuhr?

ZELIK: Es ist immer einfacher, rechts als links zu sein. Rechte Strukturen wurden in der jüngsten Vergangenheit sogar mithilfe des Verfassungsschutzes aufgebaut, während linke Strukturen staatliche Repression erfahren. Dazu kommt außerdem, dass es vor allem in der öffentlichen Debatte und in den Medien viel leichter zu sagen ist, dass die »Fremden« oder Geflüchteten das Problem sind und nicht die globale Reichtumsverteilung oder dass der Kapitalismus mit seinem strukturellen Konkurrenzprinzip jede Gesellschaft kaputt macht. Beispielsweise waren letztes Jahr 250.000 Menschen gegen TTIP auf der Straße und kein Organisator wurde in eine Talk-Show eingeladen. Aber die Pegida-Organisatoren waren bei fast allen Talk-Shows vertreten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Rechte Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft hat, die für Linke schwer vorhanden sind. Imperialistische Außenpolitik oder das Schließen von Grenzen ist auch ein politisches Angebot an die Unterschicht, die sich von diesen politischen Entscheidungen einen materiellen Vorteil verspricht. Das ist purer Wohlstandschauvinismus. Eine linke solidarische Politik für alle Menschen verlangt von den Leuten dagegen viel mehr ab.

kreuzer: Viele linke Gruppen thematisieren in der letzten Zeit immer mehr Alltagskämpfe, etwa die Kämpfe der Geflüchteten für bessere Lebens- und Unterbringungsbedingungen, Kämpfe gegen Luxussanierungen oder Lohn- und Arbeitskämpfe. Könnte dies ein wirksames Mittel gegen den immer stärker werdenden Rechtspopulismus darstellen?

ZELIK: Hoffentlich. Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung haben sich historisch als Selbsthilfegruppen gegründet, die ihre eigenen Lebensrealitäten verbessern wollten. Dieses Konzept war lange Zeit sehr erfolgreich, auch wenn es große Opfer abverlangte. Sich aber einfach nur selbstbezüglich aus identitären Gründen zu organisieren, wird nicht viel bringen. Die Lebensverhältnisse heutzutage sind sehr individualisiert und fragmentiert, so dass es schwerfällt, Projekte zu entwickeln, bei denen man das Gefühl hat, kollektiv etwas auf politischer Ebene erreichen zu können. Die Bewegung gegen Zwangsräumungen in Spanien kann hier als gutes und funktionierendes Beispiel genannt werden. Da haben sich Leute zusammengefunden, die von akuter Zwangsräumung betroffen waren und Straßen blockiert haben, wenn andere Menschen dieses Schicksal ereilte, oder die kollektiv zur Bank gegangen sind, damit den Leuten ihre Schulden erlassen werden, oder die einfach Wohnungen für Betroffene von Zwangsräumungen gesucht haben. Das war so ein Ansatz von alltäglicher Hilfe, bei dem sich Zehntausende beteiligten und engagierten. Diese Bewegung wurde auch landesweit wahrgenommen. In Griechenland kennen wir diese Prozesse vor allem aus den selbst verwalteten Kliniken, die nach dem Zusammenbruch des staatlichen Gesundheitssystems durch die Troika entstanden sind. In der jüngsten Vergangenheit ist hier natürlich auch die Bewegung der Geflüchteten zu nennen, wo Menschen Solidarität im Alltag praktizieren. Ich glaube, dass man sich in Alltagssituation solidarisch zusammenschließen muss, weil man dort die Probleme direkt erlebt, was letztendlich viel eindrucksvoller und bleibender ist als jedes Theoriebuch.


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