Der Fall Jahnallee 14 ist das jüngste Beispiel einer Reihe von Fällen in Leipzig, in denen Vermieter mit brutalen Methoden ihre Mieter vertreiben, um anschließend luxuriös zu sanieren. Für Samstag haben die betroffenen Bewohner daher zu einer Demonstration gegen Entmietungen in der Innenstadt aufgerufen. Alix, Doro und Anni sprachen vorab mit dem kreuzer über ihren Protest und ihre Gerichtsverhandlung gegen die Praktiken der Vermieter.
kreuzer: Vor anderthalb Jahren wurde das Haus in der Jahnallee, in dem ihr lebt, an neue Eigentümer verkauft. Was ist seitdem passiert?
Alix: Mit dem alten Eigentümer war es ein friedliches Auskommen. Ich habe gerne in dem Haus in der Jahnallee gewohnt. Ich mag den Stadtteil und die Leute hier. Aber seit dem Verkauf des Hauses an die neuen Eigentümer war der Frieden vorbei: Die neuen Vermieter wollen das Haus komplett sanieren und dann wahrscheinlich teurer weitervermieten oder mit viel Gewinn weiterverkaufen. Dabei stehen wir, die alten Mieter, im Weg. Doch durch unsere alten Mietverträge ist es nicht möglich, uns grundlos zu kündigen. Daher versuchen sie alles, es uns hier möglichst ungemütlich zu machen.
kreuzer: Was heißt »ungemütlich machen«?
Doro: Es fing an mit Bedrohungen. Im Dezember fiel bei uns die Heizung und das warme Wasser aus und wir haben sechs Wochen lang bei sechs Grad Celsius in den Wohnräumen ausgeharrt. In eine Wohnung mit Einzelmietverträgen, das heißt in denen Zimmer einzeln vermietet werden, wurden Bauarbeiter ohne die Zustimmung der Bewohner in noch bewohnte Wohnungen einquartiert. Diese haben die Wohnungen verwüstet, Lebensmittel auf den Boden zertreten, Fäkalien in den Toiletten verschmiert, Möbel umgeschmissen und sogar entwendet. Als unsere Nachbarin dann die Polizei gerufen hat, soll einer der Bauarbeiter, wohl unter dem Druck der Polizei, gesagt haben, dass es Prämien vom Vermieter gäbe, wenn sie durch solches Vorgehen die alten Mieterinnen zum Gehen zwingen würden.
kreuzer: Wie habt ihr das ausgehalten?
Anni: Es war zermürbend. Wir waren ständig angespannt und schliefen nicht mehr so gut. Die Wohnung war nicht mehr unser Rückzugsraum, in dem wir uns wohlgefühlt haben. Es ist schlimm, wenn das eigene Zuhause nicht mehr sicher ist.
Doro: Ich bin bei jedem Klingeln zusammengezuckt. Wir fragten uns immer: »Wer steht jetzt dort, was haben sich die Vermieter jetzt wieder einfallen lassen? Wer soll heute bei uns einziehen und uns das Leben schwer machen?«
kreuzer: Wer sind die neuen Eigentümer?
Anni: Das ist die erste BSL Projektentwicklung mit Sitz in Berlin. Bekannt war nur einer der beiden Eigentümer durch einen ähnlichen Fall in Sylt. Dort hatte er bereits die Mieter eines Hauses vor die Tür gesetzt. Mit diesem Fall brüstet er sich auch heute noch und sagt: »Sie können mich googeln, ich bin professioneller Entmieter, mehr als ein Jahr hält es keiner bei mir aus.« Dadurch wussten wir natürlich schon, was auf uns zukommt.
kreuzer: Am 29. April gab es eine Gerichtsverhandlung zwischen euch und dem Vermieter. Was trug sich dort zu?
Anni: Es ging um eine von mir und Doro beantragte einstweilige Verfügung, mit der den Vermietern untersagt werden sollte, ohne Vorankündigung die Wohnung zu betreten und Dritte ohne Einwilligung der Mieter in die Wohnung zu lassen. Bislang hatten die Vermieter mehrfach ohne Ankündigung die Wohnung betreten und Mietverträge an unbekannte Dritte ausgestellt. Der Richter stellte aber gleich zu Beginn der Verhandlung klar, dass es ihm hier um einen Vergleich gehen wird. Am Ende erklärte sich die Vermieter dazu bereit, 8.500 Euro pro Kopf zu zahlen. Dafür müssen wir bis spätestens zum 31. Juli ausgezogen sein.
kreuzer: Warum habt ihr euch, nachdem ihr so lange gegen die Praktiken der Eigentümer vorgegangen seid, am Ende doch auf einen Vergleich eingelassen?
Doro: Wer den Terror nicht anderthalb Jahre erlebt hat, kann unsere Entscheidung vielleicht nicht nachvollziehen. Um uns zu verstehen: Uns ist bewusst gewesen, dass wir den weiteren Psychoterror der Vermieter nicht weiter hätten ertragen können. Ein normales Leben war für uns nicht mehr möglich und wäre auch in Zukunft unmöglich gewesen. Aufgrund der Einzelmietverträge hatte der Vermieter eine starke Angriffsfläche. Der Vergleich ist für uns eine Erleichterung, weil wir bald wieder normal leben und wohnen können. Gleichzeitig wissen wir, dass die Vermieter ihrem Ziel, das Haus zu entmieten, wieder ein Stück näher gekommen sind.
kreuzer: Doro und Annie ziehen also bald aus, wie geht es für den Rest des Hauses weiter?
Alix: Alle verbleibenden Mieter kämpfen weiter gegen diese Entmietung. Wir respektieren die Entscheidung von Doro und Annie, sie waren von uns allen dem stärksten Druck ausgesetzt. Doch wir anderen machen weiter, so lange es eben sein muss und geht. Ich kann nur für mich sprechen, für mich ist das was Politisches. Zu viele meiner Freunde wurden schon entmietet und das geht nicht. Die Mieten steigen ins Unermessliche, dabei rücken dann die Mindestlöhne nicht nach. Das ist Wahnsinn. Unser Haus wurde in den Neunzigern kernsaniert, warum muss das jetzt noch mal sein? Damit sich das bald hier keiner mehr leisten kann? Das führt nur zu einer sozialen Entmischung der Stadt. Das ist total schade. Fast in jedem Stadtteil sind Immobilien betroffen von Entmietung, deshalb wollen wir ein Zeichen setzen. Wenn alles zu teuer wird, muss man bald außerhalb der Stadt wohnen. Das ist ein klarer Prozess von Gentrifizierung, den wir hier sehen. Aber dem kann man ja auch entgegenwirken. Das wollen wir hier tun. Deshalb wollen wir uns mit anderen Häusern vernetzen, denen es genauso geht, und ein Zeichen setzen.