Jugendliche, die durch Amerika tanzen, eine furzende Leiche, die als Lebensretter fungiert, Flüchtlinge, die in Norwegen gegen ein Ekelpaket protestieren, und eine durchgeknallte Familie, vor der man in einen Casting-Show fliehen muss: die Kinostarts der Woche.
Film der Woche: »We found love in a hopeless place« scheppert es aus den Boxen eines Supermarkts. Dazu tanzt Jake (Shia LaBeauf) auf dem Kassenband, um Star (Sasha Lane) zu beeindrucken. Der Move funktioniert und setzt ein faszinierendes Roadmovie quer durch die Vereinigten Staaten in Gang. Andrea Arnold (»Fish Tank«) erzählt in ihrem zweieinhalbstündigen Road-Trip nicht wirklich viel. Mit der Faszination einer Außenstehenden beobachtet sie. Die improvisierten Dialoge der Laiendarsteller wirken authentisch und fangen mit der exzellenten Musikauswahl das Lebensgefühl der »Young Americans« ein. Bebildert wird die Reise mit der berauschenden Kameraarbeit, die immer ganz nah dran ist an den Charakteren und ein präzises Auge für poetische Details hat. »American Honey«, der den Jurypreis in Cannes erhielt, ist ein hypnotischer Trip durch das Herz Amerikas mit dem Pulsschlag der Jugend. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»American Honey«: ab 13.10., Passage Kinos
Nein, aus humanitären Gründen nimmt Primus die Busladung Flüchtlinge nun wirklich nicht in sein stillgelegtes Hotel in den Norwegischen Bergen auf. Er ist vielmehr chronisch pleite und will die Subventionen abgreifen. Seine Frau bewegt sich kaum aus dem kleinen Haus nebenan und nörgelt tagein tagaus an ihm herum. Nicht ganz unverdient, hat Primus doch schon einige Ideen in den Schnee gesetzt. Doch nun sieht er seine Chance gekommen, was aber nicht bedeutet, dass er nett sein muss, zu den Einwanderern aus aller Herren Länder. Er pfercht sie in den Rohbau, dem es an Strom und Türen mangelt und überlässt sie sich selbst. Doch schon bald fordern sie ihre Rechte ein und die Beamten der Ausländerbehörde drohen. Also muss Primus aktiv werden und lernt allmählich die Menschen in seinem Domizil kennen. Einen ungewöhnlichen Beitrag zur aktuellen Flüchtlingssituation liefert Regisseur Rune Denstad Langlo mit dieser bissigen Realsatire. Anders Baasmo Christiansen, der auch schon den Einsiedler in seinem Publikumshit »Nord« spielte, gibt das anfangs unsympathische, aber allzu menschliche Ekelpaket. Nachdenkliche Töne paaren sich mit schwarzem Humor zu einer intelligenten Schlitterpartie durch den norwegischen Schnee. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Welcome to Norway«: ab 13.10., Passage Kinos
Hank (Paul Dano) ist gestrandet auf einer einsamen Insel, mitten im Nirgendwo. Als er keinen Ausweg sieht, will er seinem Leben ein Ende setzen. Doch gerade als er die Schlinge um seinen Hals legt, wird Manny (Daniel Radcliffe) angespült. Manny ist tot, erweist sich jedoch als äußerst nützlich. Nicht nur als Gesprächspartner, die Wasserleiche hat auch ganz praktische Eigenschaften: die postmortale Flatulenz ermöglicht Hank einen Ausweg aus dem unfreiwilligen Exil. Auf dem furzenden Leichnam reitet er ans rettende Ufer. Doch der Weg nach Hause ist weit und so beginnt für die beiden ein irrwitziger Trip durch die Wälder. Ein bizarres Werk legen die beiden Videoregisseure Dan Kwan und Daniel Scheinert da mit ihrem Spielfilmdebüt vor. Viele visuelle Ideen und ein stets überraschendes Drehbuch trösten über den pubertären Fäkal- und Sexhumor hinweg und machen »Swiss Army Man« zu einem aberwitzigen Ritt, den es in dieser Form wohl wirklich noch nicht im Kino zu sehen gab. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Swiss Army Man«: ab 13.10., Luru Kino in der Spinnerei, Schauburg
Die seelische Verfassung seiner Figuren beschäftigt Dani Levy (»Alles auf Zucker«) immer wieder. Zuletzt lotete er in der autobiographisch gefärbten Komödie »Das Leben ist zu lang« das Seelenleben seines Protagonisten aus und wandelte dabei auf den Spuren Woody Allens. »Die Welt der Wunderlichs« gibt uns nun die tiefenpsychologische Breitseite. Mimi Wunderlich (Katharina Schüttler) steckt mitten in der Krise. Ihr Ex und Vater ihres gemeinsamen Sohnes ist ein unzuverlässiger, abgehalfterter Rocksänger. Sie selbst träumte einst von einer Karriere, musste aber ihre Träume an den Nagel hängen, denn Sprössling Felix hat ADHS und fordert ihre volle Aufmerksamkeit. Gerade hat mal wieder die Schule angerufen, weil er eine Lehrerin in den Schrank gesperrt hat. Mimis Vater (Peter Simonischek) ist derweil mal wieder auf unerlaubtem Freigang aus der Psychiatrischen und verjubelt die Ersparnisse der Tochter auf der Pferderennbahn. Mimis Mutter (Hannelore Elsner) vergräbt sich zuhause in ihrer Depression und ihre Schwester Manuela (Christiane Paul) will von der ganzen Familie am liebsten nichts wissen. Als Mimi einen Anruf einer Castingshow bekommt, beschließt sie, all das hinter sich zu lassen und zur Aufzeichnung nach Zürich zu reisen. Doch da hat sie die Rechnung ohne ihre durchgeknallte Familie gemacht. Die Wunderlichs sind ein chaotischer Haufen und stets passiert irgendwas in Dani Levys glänzend besetzter Psycho-Komödie. Depressiv, Hyperaktiv, Borderline und Burn-Out – die Diagnosen sind zahlreich in der manischen Mischpoke. Eines kann man als Kenner seiner Filmographie aber auf jeden Fall attestieren: »Die Welt der Wunderlichs« ist ein waschechter Dani Levy – schräg, eigen und mitunter sehr, sehr anstrengend. Dafür hat er sich wieder ein illustres Ensemble zusammengeschart: in der Hauptrolle wächst Katharina Schüttler (»Zeit der Kannibalen«) der Clan über den Kopf, Peter Simonischek, der gerade in »Toni Erdmann« glänzte, und die »Grande Dame« Hannelore Elsner geben ihre Eltern und Christiane Paul die abgeklärte Schwester. In den Nebenrollen sind Levys langjähriger Wegbegleiter Steffen Groth (»Ein Freund von mir«) und Martin Feifel (»Buddenbrocks«) zu sehen.
»Die Welt der Wunderlichs«: ab 13.10., Passage Kinos