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Kultur

»Alle besitzen alles«

Halle 14 zeigt Ausstellung über Ideen des Sozialutopisten Christian Gottlieb Priber

  »Alle besitzen alles« | Halle 14 zeigt Ausstellung über Ideen des Sozialutopisten Christian Gottlieb Priber

Der Leiter der ACC-Galerie in Weimar, langjähriger Künstlerischer Leiter der Halle 14 und laut Selbstauskunft »Priber-Guru« – Frank Motz –, organisiert auf der Spinnerei eine zeitgenössische Ausstellung zum Radikalaufklärer Priber, der 1697 in Zittau geboren wurde, nach Nordamerika reiste, dort zusammen mit Cherokee einen utopischen Staat gründen wollte und 1745 in britischer Gefangenschaft auf der Insel St. Simons, Georgia starb. Der kreuzer fragte nach dem Wieso, Weshalb und Warum.

kreuzer: Wie kam es zur Entdeckung Pribers?

FRANK MOTZ: Ohne die Autorin Ursula Naumann hätte eine öffentliche Beschäftigung mit Pribers Geschichte sicher noch lange Zeit auf sich warten lassen. Anfang der neunziger Jahre stieß sie im Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte auf einen Priber-Eintrag, der sie faszinierte. In dem Augenblick wusste sie, dass sie über ihn ein Buch schreiben würde. Und genau das tat sie. Das Buch machte mich zum Priberianer.

kreuzer: Was faszinierte Sie so sehr?

MOTZ: Priber verließ in den 1730er-Jahren seine sächsische Familie und floh über London nach Amerika, wo er von den Cherokee-Indianern aufgenommen wurde. Erst dort fand er Gleichgesinnte, die ein Sozialexperiment nach seinen Maximen leben wollten: Gleichheit aller Menschen, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gemeinbesitz, Zuflucht für entlaufene Sklaven, Vereinigung aller indianischen Völker. Bereits nach wenigen Jahren bereiteten die britischen Kolonisatoren dem Paradies ein Ende.

Sein Verdienst ist, dass er die einzige säkulare, naturrechtliche Kommune des 18. Jahrhunderts gegründet hat und damit zum Vorbild späterer libertinärer Lebensprojekte wurde. Stets bewahrt die Geschichtsschreibung die herrschenden Gedanken einer Epoche, jedoch immer nur die der Herrscher. Zu denen gehörte Priber weder unter den Zittauern noch unter den Indianern, und genau deswegen sind Formen der Erinnerung, ja des Gedenkens an seine Lebensleistung so wichtig.

kreuzer: Wer war dieser Priber?

MOTZ: Folgt man verschiedensten Quellen, war er vom Abenteurer über Advokat, Doktor, Ehebrecher, Flüchtling, Frühaufklärer, Idealist, Kapitalismuskritiker, Ketzer, Naturmensch, Radikalo, Träumer, Urfeminist, Vordenker der freien Liebe und Vorläufer Rousseaus fast alles. Den einen war er ein urbaner, höflicher, gebildeter, gesprächiger, scharfsinniger Mann, den anderen ein hässlicher, kleiner, alerter, notorischer Schurke mit äußerst durchdringendem Blick, ein betriebsamer, listiger Bursche mit einschmeichelndem Benehmen und einer tief dringenden Beurteilungskraft, kurzum: ein sehr außergewöhnliches Wesen.

kreuzer: Was macht ihn für uns aktuell?

MOTZ: Ich glaube, dass Pribers Aktualität weniger in einzelnen Aussagen seiner Utopie zu finden ist als in seiner Persönlichkeit. Er gehörte zu den Menschen, die sich durch Mitgefühl und einen Sinn für Gerechtigkeit hervorgetan haben. Priber folgerte in seiner Dissertation, dass diejenigen, die die Gesetze verstanden, strenger bestraft werden müssten als jene, die dies nicht taten. Auch sollte niemand aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe oder früher begangener Verbrechen vorverurteilt oder diskriminiert werden – in seinem Kingdom Paradise sollten alle, die aus ihren bisherigen Verhältnissen flüchten mussten, Unterschlupf finden. Gedanken, die zwar mittlerweile verfassungsrechtlich verbrieft, aber immer wieder marginalisiert oder verächtlich beiseite gedrängt werden. Pribers Verständnis für andere und sein Mut, eigene Werte und Ideen auch umzusetzen und zu verteidigen, würde ich mir für unsere Gesellschaft wünschen.

kreuzer: Was verbindet Sozialutopien und bildende Künstler?

MOTZ: Sozialutopisten und Künstler müssen keine verschworene Gemeinschaft, aber können durchaus Weggefährten sein. Die Welt auf den Kopf stellen, den Spieß umdrehen, nicht nur den Blick über den Tellerrand wagen, sondern neuen Boden betreten, in unerforschte Gefilde vordringen, das ist es ja, wozu der Rest der Gesellschaft die Künstlerprofession legitimiert, was sie nachgerade von ihr erwartet.

kreuzer: Welche Sozialutopien sind für Sie in der Gegenwart relevant?

MOTZ: Von Zeit zu Zeit träumte ich davon, ins indische Auroville auszuwandern, mir gefiel der kollektive Versuch der Realisierung einer internationalen, universellen, experimentellen Stadtutopie. Aber dem göttlichen Bewusstsein zu dienen, ist meine Sache nicht. Es gibt in unserer Gegenwart kleinere Ansätze, mit denen der Versuch unternommen wird, den Menschen eine bessere Welt zu bieten. Das alles sind nur Beruhigungstabletten. Priber wollte den Menschen befreien. Nicht das Teilen, sondern »alle besitzen alles« war sein Grundsatz, und statt eines Grundeinkommens eine Gesellschaft, in der Besitz keinen Rang erhält. Eine richtige Sozialutopie vermisst man dieser Tage kläglich.

kreuzer: Was kann die bildende Kunst uns heute von Priber erzählen?

MOTZ: Alles, was die Historiker über Priber herausgefunden haben, stammt aus wenigen Quellen von Zeitgenossen, die ihn direkt oder indirekt kannten. Naturgemäß ist die Biografie einer Person, je länger ihr Leben zurückliegt, mit umso größeren Leerstellen ausgestattet. Priber scheint hiervon ganz besonders betroffen. Sein Manuskript, in dem er seine Utopie darstellte, ist verschollen, es gibt nur ein vages Inhaltsverzeichnis, dann einen handschriftlichen Brief an Gottsched und seine Dissertation an der Universität Erfurt. Bei einer solchen Quellenlage und der daraus folgenden löchrigen Biografie, die den Grund für ein ungeheures Spekulationskapital liefert, spielt die Kunst eine wesentliche Vermittlungsrolle. Sie vermag auch kleinste Dinge – Ereignisse, Anekdoten, Notizen – aufzunehmen und einen Sinnzusammenhang zwischen damals und heute, zwischen Personen und Ideen unterschiedlichster Epochen herzustellen.


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