In den »Balkan Film Weeks« bündelt das UT Connewitz aktuelle Produktionen, klassische aber auch experimentelle Formen des Dokumentarfilms, die die konfliktreiche und ideologiegesättigte Geschichte und Gegenwart der unterschiedlichen Balkanstaaten reflektieren. Dabei gibt es unter anderem einen brandaktuellen Blick auf die Flüchtlingskrise, die sich nach dem Einreisestopp in der Region konzentriert. Hochaktuell und sehenswert!
1.–15.3. Balkan Film Weeks, UT Connewitz
Film der Woche: Brooklyn – kaum ein Viertel prägt so sehr unser Bild von New York. Gewachsen durch Filme wie »Smoke« oder Scorseses »Good Fellas« ist die von Bahnbrücken durchsetze Nachbarschaft mit den gedrungenen Häusern Sinnbild für die ethnische Vielfalt der Stadt. Das Brooklyn in »Little Men« atmet diesen Geist der Generationen, die hier aufwuchsen und setzt die Vergangenheit in Kontrast zu der Gentrifizierung der Gegenwart. Brooklyn boomt, das wird auch Leonor (Paulina García) und ihrem 13jährigen Sohn Tony schmerzhaft bewusst, als Brian Jardin (Greg Kinnear) und seine Familie einziehen. Brians Vater Max ist gestorben und hinterließ das Haus, in dem Leonor seit vielen Jahren ihre kleine Schneiderei führt, ihm und seiner Schwester Audrey. Das alles geht seinen Sohn Jake und Tony zunächst wenig an. Die beiden werden Freunde und genießen es, jung zu sein. Doch die Probleme der Eltern werden bald auch die der Jungs. Regisseur Ira Sachs erzählt seine moderne Großstadtgeschichte aus der Sicht der zwei Kinder. Die tollen Jungdarsteller stehen den einfühlsamen Darstellungen der Erwachsenen gegenüber. Ihre Figuren sind greifbar, die Motive verständlich. Sachs Erzählung ergreift keine Partei. Vielmehr erzählt sie vom Fluss des Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen, wunderbar leichtfüßig und trotzdem tiefgründig.
»Little Men«: ab 2.3., Schaubühne Lindenfels
Ein Film über Neo Rauch mit Neo Rauch. So einfach war das nicht für Regisseurin Nicola Graef. Die Fernseh-Journalistin, die auch als Galeristin arbeitete, begleitete mit ihrem Dokumentarfilm »Ich.Immendorff« den schwerkranken Maler Jörg Immendorff in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod. Ihr Wunsch, einen Film mit Neo Rauch zu drehen, erschien dennoch zunächst unmöglich, ist der Leipziger Maler doch äußerst medienscheu. Doch über lange Gespräche jenseits der Kamera entstand Vertrauen und über drei Jahre hinweg dieser Film. Er zeigt einen uneitlen Künstler bei seiner Arbeit. Graef beobachtet, stellt offene, direkte Frage, auch nach seiner Kindheit und dem frühen Unfalltod seiner Eltern – und sie erhält offene, direkte Antworten. Ergänzt werden die Aufnahmen im Atelier von denen, jener Kunstsammler, die Millionen für Rauchs großformatige, komplexe Werke ausgeben, um sie über den Tisch im Speisezimmer oder einen Schrank im Lager zu hängen. Skurrile Figuren, ebenso seltsam wie jene, die Rauch immer wieder in seine Bilderwelten stellt. Ein faszinierender Einblick in die Arbeit eines Künstlers, seine Gedankenwelt und den Markt, der Reichen und adrett Gekleideten, die sich auf Vernissagen rund um die Welt tummeln.
»Neo Rauch – Gefährten und Begleiter«: ab 2.3. Passage Kinos
Am 12.3., 13/13.30 Uhr in Anwesenheit von Neo Rauch und der Regisseurin Nicola Graef mit anschließendem Filmgespräch. Moderation: Dr. Doris Apell-Kölmel.
Ein Ordensbruder soll abtrünnig geworden sein. Dem Glauben abgeschworen haben und mit neuer Frau und Kind nun in Japan leben. Doch diese Gerüchte können Rodrigues und Garupe nicht glauben. Als letzte Priester, die auf diese Mission geschickt werden, reisen sie 1638 ihrem Mentor Ferreira hinterher und versuchen nicht nur ihn aufzuspüren, sondern sind auch bald spirituelle Heilsbringer für eine Handvoll im Untergrund lebende japanische Christen. Diese werden von der großen Inquisition verfolgt, namentlich von Inoue, dem brutalen und rücksichtslosen Inquisitor. Folter ist seine Spezialität, und wer nicht vor aller Augen einen Fuß auf ein Heiligenbild setzen kann, wer seine Religion sprichwörtlich nicht mit Füßen tritt, den erwarten Kreuzigung oder Verbrennung bei lebendigem Leib. Auch Rodrigues und Garupe werden Zeugen dieser Grausamkeiten und müssen entscheiden, ob sie ihre Religion verraten dürfen, wenn sie dadurch hunderte Menschenleben retten können. Eine Antwort Gottes auf diese Frage bleibt leider zunächst aus, und so zweifeln die jungen Padres bald immer mehr an der Sinnhaftigkeit ihrer Aufgabe.
Wenn auch viele Zweifel bei den Filmfiguren zu finden sind, findet man umso mehr Entschlossenheit bei ihrem Regisseur: Martin Scorsese plante nach eigenen Aussagen bereits in den 80er Jahren nach der Lektüre des zugrunde liegenden Buches „Silence“ von Shusaku Endo die Verfilmung des Stoffes. Doch die Drehbuchfassungen stellten ihn nie zufrieden, und so verschob sich das Projekt immer weiter. Nun bringt er es mit Andrew Garfield, Adam Driver und Liam Neeson in den Hauptrollen endlich auf die Leinwand. Die Bilder des rauen Japans sind beeindruckend, und die einzige Oscar-Nominierung für »Silence« für die beste Kamera ist durchaus verdient. Nur durch die Dialoge erfährt man von der sengenden Hitze vor Ort, die Bilder bleiben kühl und in gedeckten Farben. Doch so ganz wollen Garfield und Driver mit ihren stets perfekt sitzenden Haaren nicht in diese Kulisse passen. Sie wirken zu allem distanziert: Zu sich, zum Glauben, zu den Menschen und letztendlich auch zum Publikum. Und gerade das hinterlässt die Zuschauer mehr ratlos als gebannt. HANNE BIERMANN
»Silence«: ab 2.3., Passage Kinos
Paris in den frühen 1840ern: Karl Marx ist 26, ein ungestümer Jüngling, der sich mit seinen Publikationen viele Feinde macht. Er trifft auf Friedrich Engels, den Sohn eines Großindustriellen. Die beiden verbindet zunächst die Ideologie und bald eine innige Freundschaft. Gemeinsam schlagen sie sich die Nächte um die Ohren, saufen, reden und entwickeln das kommunistische Manifest. Der aus Haiti stammende Regisseur Raoul Peck hat daraus einen durchaus mitreißenden Historienfilm gemacht. Für Raoul Peck, der in diesem Jahr mit seinem Dokumentarfilm »I am not your negro« auch für den Oscar nominiert war, ist »Der junge Karl Marx« ein lang gehegtes Wunschprojekt. Er baut den Film anhand der Theorien von Marx auf, viele Sätze sind dem Briefwechsel zwischen ihm und Engels entnommen. Das fordert den Zuschauer zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Stoff. »Der junge Karl Marx« ist eben nicht der nächste Historienfilm aus deutscher Produktion mit internationaler Besetzung. Peck hebt einen der größten Denker vom Sockel und macht ihn lebendig. Zu verdanken ist dies auch August Diehl. Die Philosophie, die sie in jener Zeit entwickelten, ihre scharfen Analysen des kapitalistischen Systems, sind auch heute noch aktuell, ja vielleicht aktueller denn je.
»Der junge Karl Marx«: ab 2.3., Passage Kinos, Regina Palast, CineStar, Schauburg
Da ist der Sheriff der kleinen Gemeinde Juneau in Wisconsin (0 Morde in 2014): Wenn seine Polizei einen schwer gepanzerten Mannschaftstransporter bekommen kann, warum nicht? Schließlich könnte man auch in Juneau einmal in die Situation kommen, einen bewaffneten Aufstand bekämpfen zu müssen, oder? Da ist der Gemeinderat der Kleinstadt Concord in New Hampshire (2 Morde seit 2004): Wenn das US-Verteidigungsministerium nicht mehr benötigte Panzerfahrzeuge aus dem Irakkrieg an Polizeibehörden abgibt, warum sollte man da nicht zugreifen? Selbst FBI-Chef James Comey vertritt doch öffentlich die Meinung, es gebe Monster und der Staat müsse dringend aufrüsten, um die Bevölkerung noch schützen zu können. Doch die Polizisten sind inzwischen nicht nur mit Kriegsgerät, Maschinengewehren und Stahlhelmen auf den Straßen der USA unterwegs. Auch beim Thema Hightech gibt es keine Grenzen mehr. Der Streifenwagen von Sergeant Paola Davidson in Los Angeles verfüg über Kameras hinter der Windschutzscheibe, die automatisch und ohne Unterlass sämtliche Nummernschilder aller vorausfahrender und entgegenkommender Fahrzeuge scannen. Ist der Wagen vielleicht als gestohlen gemeldet? Bald soll das System auch mit Gesichtserkennung arbeiten – um Straftäter schneller zu entdecken. Privatssphäre? Gibt es laut Polizistin Davidson im öffentlichen Raum sowieso nicht. Das Recht auf den Besitz von Schusswaffen in den USA wird unter anderem damit begründet, Bürger hätten ein Recht auf Selbstschutz, wenn der Staat einmal wahnsinnig werde. Inzwischen gibt es nicht mehr wenige, das sei bereits passiert. Seit 9/11, Irakkrieg und Internet jedenfalls scheinen einstmals in Stein gemeißelte Grundrechte und Einschränkungen staatlicher Macht nur noch Makulatur zu sein. Craig Atkinsons Recherche beginnt in Ferguson, Missouri, wo nach der Erschießung des 18-jährigen Mike Brown tausende Menschen im Sommer 2014 gegen Polizeigewalt auf die Straße gehen (»Black Lives Matter«) und später am Abend Polizeieinheiten den Demonstranten mit schwerem Kriegsgerät begegnen. Mit seinem Team begleitet der Regisseur Sondereinsatzkommandos in Kleinstädten, die wegen ein paar Gramm Gras mit Panzerwagen vorfahren und Häuser stürmen. Ex-Soldaten sind heute Unternehmer die glauben, Methoden, die das irakische Falludscha sicherer machten, funktionieren auch zuhause. Wir lernen den Polizeitrainer Dave Grossmann kennen. Dessen Bücher gehören zur Pflichtlektüre bei der Ausbildung beim FBI. Er glaubt, die Polizei befinde sich in einem Krieg von Gut gegen Böse. Seinen Zuhörern schärft er ein: »Kontrollierte Gewalt ist eurer Mittel, ihr lebt in einer Welt der Gewalt. Am Ende des Tags könnt ihr stolz auch euch sein, dass ihr das Leben der Menschen besser gemacht habt, selbst wenn die das nicht so sehen.« »Do not resist« zeigt die USA im Griff von staatlicher Paranoia und der Kehrseite neuer technologischer Möglichkeiten. Ein Land auf dem Weg in den Polizeistaat – der Zuschauer geht nicht unbedingt mit einem guten Gefühl aus dem Kinosaal. Trotzdem ist die Dokumentation unbedingt sehenswert. CLEMENS HAUG
»Do Not Resist«: 7./8., 11./12.3., Cinémathèque in der Nato
Flimmerzeit_Februar_2017
Weitere Filmtermine der Woche
Underground
Romantisches Drama um die Londoner U-Bahn und ihre Fahrgäste. - Stummfilm mit
Live-Begleitung durch Duo Spur der Töne
4.3., 18 Uhr, Schumann-Haus Leipzig
20 Jahre Kinobar: Trainspotting – Neue Helden
Danny Boyles eklektische Adaption des Kultromans von Irvine Welsh ist einer der prägendsten Filme der Neunziger.
9.3., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Concerning Violence
Doku-Essay über die Befreiungsbewegungen in Afrika in den Sechziger- und Siebzigerjahren unterlegt mit dem von Lauryn Hill gelesenen Text von Frantz Fanon »Die Verdammten dieser Erde«. Mit einem einführenden Vortrag von Thorsten Mense zu nationalen Befreiungsbewegungen.
9.3., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Kult-Triple - Mittelerde-Marathon
Alle drei Teile der »Herr der Ringe«-Adaptionen von Peter Jackson: »Die
Gefährten«, »Die zwei Türme« und »Die Rückkehr des Königs« im Extended Cut. Wirwünschen gute Reise.