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Kultur

Hitlerjugend scheiße finden

Die Wanderausstellung »Sächsische Jugendgruppen in Opposition zum NS« zeigt »überspannte Frechheit«

  Hitlerjugend scheiße finden | Die Wanderausstellung »Sächsische Jugendgruppen in Opposition zum NS« zeigt »überspannte Frechheit«

»Sachsen hat an vielen Stellen Bildungsdefizite«, sagt Sascha Lange. »Da ist es mal gut, anderes zu zeigen.« Damit meint Historiker Lange die Ausstellung »Freiheit kontra Hitlerjugend«, die am Mittwoch im Schulmuseum eröffnet wurde. Sie dokumentiert das weite Spektrum von Widerstand, Opposition und Renitenz sächsischer Jugendlicher im Nationalsozialismus. Bis Mai ist sie hier zu sehen, dann geht die Schau auf Wanderschaft durch den Freistaat.

Lange hat für sein Forschungsthema »Jugendlicher Widerstand/Opposition im Dritten Reich« die Bandbreite und den Fokus etwas ausgeweitet. Er zeigt nicht nur Gruppen, die dezidiert etwas gegen die Nazis hatten. Neben der kommunistisch und sozialistisch ausgerichteten Arbeiterjugend oder den jüdischen Pfadfindern, den auf individuelle Selbstbestimmung pochenden Meuten und Mobs listet Lange auch die bündische Jugend auf. Allerdings erklärt die Ausstellung: »Viele dieser Gruppen hatten erhebliche Vorbehalte gegen die Weimarer Republik und sahen die ›Machtergreifung‹ der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 zunächst positiv. Allerdings bestanden viele bündische Gruppen auf ihre Autonomie und wollten mit ihrem Eigensinn und elitären Anspruch nicht in einer neuen Massenorganisation wie der Hitlerjugend aufgehen.« Nichts inhaltlich gegen den NS hatte ein Großteil der evangelischen Jugend. Aber durch Gleichschaltung sahen sie sich in ihrer Eigenständigkeit gestört. Jeder, der die Hitlerjugend (HJ) als feindlich erkannte, findet in der Schau Betrachtung.

Um als oppositionell vom NS-Staat wahrgenommen zu werden, war damals nicht viel nötig. Ein Aufruf des Sächsischen Ministers für Volksbildung an Lehrer, auffällige Schüler zu melden, zählt auf: »Gemeinsames Feiern von Festen, überspannte Frechheit gegenüber Erwachsenen, Mitführen falscher Ausweise, Herumtreiben in den Abendstunden, Verteilung unzüchtiger Schriften, Arbeitsdrückerei, Wanderung in der Umgebung, Diebstähle, herausfordernde Grußform.« Einfach mal auf die Fresse hat die HJ auch bekommen – von Jugendlichen, die sie scheiße fanden.

Die Ausstellung fördert auch hinsichtlich des gezeigten Foto- und Aktenmaterials Unbekanntes zutage. Sie ermutigt darin, dass schon Nichtanpassung ein wichtiger Akt sein kann – wer die aktuelle kreuzer-Titelgeschichte über Nazidominanz in Colditz liest, wird merken, wie wichtig und schwer das ist. Dieser breite Fokus auf viele verschiedene Jugendgruppen hat einen guten Grund. Historiker Lange will auch der Mythisierung der NS-Zeit entgegenwirken, die den klaren Blick trübt. So war die HJ nie die omnipräsente Massenorganisation, die sie sein wollte und als welche sie die Guido Knopps über die Bildschirme flimmern lassen. Es wirkt ja geradezu lächerlich, durch was sich die Verantwortlichen herausgefordert fühlten – freilich waren die Strafen nicht läppisch. »Man nutzte alle Mittel wie die Einweisung in Arbeits- und Konzentrationslager«, erklärte Sascha Lange einmal im kreuzer-Interview. »Es wurden Prozesse gegen zwei Leipziger Meuten vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat abgehalten. Nach dem NS-Verständnis helfen ja einzig harte Strafen, was natürlich Schwachsinn war. Keiner dieser Jugendlichen ist überzeugter Nazi geworden. Man hat sie vielleicht für eine Zeit eingeschüchtert, aber nicht ihre Einstellung geändert. Das machen Nazis ja bis heute. Ihnen geht es nicht ums bessere Argument, sondern um Einschüchterung.«


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