Laut der bundesweiten Frauenhaus-Statistik haben letztes Jahr in den 400 Frauenhäusern rund 14.000 Frauen und 16.000 Kinder Schutz gefunden. Weil aber im ganzen Land Plätze fehlen, werden Frauen und Kinder immer wieder abgewiesen. Auch in Leipzig, wo Maren Bauer Sozialarbeiterin für Kinder und Jugendliche in einem der fünf Frauenhäuser ist. Wir haben mit ihr über die aktuelle Lage in der Stadt und das Schutzkonzept für Kinder in Frauenhäusern gesprochen. Zum Schutz aller Beteiligten haben wir ihren Namen geändert und sie nur von hinten fotografiert.
Macht sich der Mangel an Frauenhausplätzen auch in Ihrer Einrichtung bemerkbar?
Ja, sehr deutlich. Pro Frauenhaus gibt es in Leipzig 12 bis 18 Familienplätze – also ein Zimmer, in dem eine Erwachsene mit mehreren Kindern leben kann. Damit sind wir bundesweit zwar gut aufgestellt, aber die Häuser sind trotzdem meistens alle voll belegt. Als Krisennotfalleinrichtung müssten wir aber eigentlich immer zwei, drei Plätze freihalten, um im Notfall Personen aufnehmen zu können. In der Praxis ist es aber so, dass morgens eine Frau oder eine Familie auszieht und direkt wieder jemand einzieht. Dadurch entstehen für ganz Leipzig hohe Abweisungszahlen. Und ich finde, die Gefahr ist auch groß, dass wir Helfenden durch die Hilflosigkeit und Desillusionierung an eine Grenze kommen und ausbrennen.
Wie geht es für jene Familien weiter, die abgewiesen werden?
In Leipzig besteht seit 2021 die zentrale Sofortaufnahme der Frauen- und Kinderschutzhäuser. Das ist eine Art Clearingstelle, die theoretisch immer Aufnahmekapazitäten hat, also alle Betroffenen dort Schutz finden können. Praktisch ist es aber so, dass wenn die Aufnahmekapazitäten ausgeschöpft sind, es dort auch keinen Platz
mehr gibt. Dann muss man Frauenhäuser außerhalb von Leipzig finden. Im Jahr 2023 wurden allein in unserem Haus 36 Frauen und 47 Kinder abgewiesen – 31 Frauen aufgrund von Vollbelegung. Das klingt für ein Jahr erst mal nicht super erschreckend, bedeutet aber, dass wir 36 Frauen in einer akuten Gewaltsituation abweisen mussten. Und es ist ja nicht klar, ob die Betroffenen noch mal den Mut aufbringen und anrufen.
Melden sich bei Ihnen mehr Familien als alleinstehende Frauen?
Es sind nicht mehr Familien als Frauen. Aber wir hatten dieses Jahr deutlich mehr Kinder als Erwachsene im Haus. Im ersten Halbjahr 2024 wurden bei uns insgesamt 32 Frauen und 26 Kinder aufgenommen. Wir hatten nie weniger als 13 Kinder im Haus, seit Juli sogar durchweg 20 Kinder im Alter von 3 bis 16 Jahren. Das ist super belastend für alle.
Warum?
Es ist eng, es ist laut, die Familien sind krisenbelastet und es kommt zu Konflikten auf so engem Raum, mit unterschiedlichen individuellen Belastungen. Außerdem ist das komplette Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem so dermaßen am Limit, dass wir häufig nicht das Angebot für die Kinder haben, das sie bräuchten. Auch alle stationären oder ambulanten Kinder- und Jugendhilfe-Angebote sind so voll, dass es bundesweit keine Plätze gibt.
Wie sieht das sozialpädagogische Angebot für Kinder bei Ihnen aus?
Wir bieten individuelle Beratungen mit den Kindern und Jugendlichen an, je nach Entwicklungsstand. Sie können zum Beispiel erzählen, was sie erlebt haben, und begegnen dabei Erwachsenen, die diese Schilderung von teils schlimmer Gewalt aushalten können. Wir ordnen aber auch mit ihnen ein, wer die Verantwortung für die Gewalt trägt – nämlich nicht die Kinder, auch nicht die Mütter, sondern nur die Täter. Wir besprechen und entwerfen außerdem Sicherheitspläne für die Kinder. Vor allem versuchen wir aber, neben all den schweren Themen, schöne Dinge zu etablieren. Wir beraten auch die Mütter und kümmern uns mit ihnen um die Belange ihrer Kinder. Unser Konzept ist: Sicherheit schaffen oder wiederherstellen, Ressourcen in den Kindern und Jugendlichen (re-)aktivieren und dafür sorgen, dass sie in ein eigenständiges Leben, ohne Gewalt, mit ihren Müttern starten können.
Welche Sicherheitsmaßnahmen gibt es für die Kinder?
Wir nehmen die Kinder meistens aus den Kitas oder Schulen raus, weil die Täter dort Zugriff auf die Kinder und Mütter haben können. Dadurch müssen die Kinder aber wochenlang ohne Betreuung, Beschulung und ihre Freunde und Freundinnen auskommen. Wir versuchen auch, über das Familiengericht eine Sorgerechtsklärung zwischen den Eltern herzustellen und je nach Gefährdungslage einen Umgangsausschluss zum Täter zu erwirken.
Darf der Täter das Kind in der Regel weitersehen?
Ja, denn selbst wenn es ein alleiniges Sorgerecht für die Mutter gibt, bedeutet das nicht, dass der Vater das Kind nicht sehen darf. Er hat trotzdem ein Anrecht auf den Umgang mit seinem Kind und das Kind andersrum auch.
Was passiert, wenn der Täter das Kind weiterhin sehen darf?
Wir versuchen, einen »begleiteten Umgang« zu erwirken – Vater und Kind treffen sich dann in der Beratungsstelle, gemeinsam mit ausgebildetem Personal. Dadurch wird die Sicherheit für das Kind hergestellt. Es gibt aber auch ein Konzept um den Umgangstermin herum. Es geht zum Beispiel nicht, dass die Mutter das Kind zur Beratungsstelle bringt oder abholt. Dann könnte der Vater der Mutter einfach folgen – das wäre zu gefährlich.
Gibt es etwas, das gerade besonders fehlt?
Wir brauchen dringend das Gewalthilfegesetz. Denn das Bereitstellen von Frauenhausplätzen ist eine freiwillige Aufgabe der Kommunen und die Landesregierungen haben bisher die Möglichkeit, die Finanzierung der Plätze zu streichen. Das könnte durch das Gesetz geregelt werden und würde uns sehr helfen, denn was wir brauchen, sind sichere Räume und ausreichend gut ausgebildetes Personal.