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Konzertkritik

Volksfest, Eitelkeiten und Rekordjahr

Impressionen vom Bachfest 2017

  Volksfest, Eitelkeiten und Rekordjahr | Impressionen vom Bachfest 2017

Beim diesjährigen Bachfest war zwischen einer im pompösen Stil der 50er Jahre »neu« instrumentierten Chaconne für großes Sinfonieorchester und schlanken Kantaten in historischer Aufführungspraxis fast alles zu erleben. Für den Besucher ausgewählter Konzerte musste das eher akademisch daherkommende Motto »Ein schoen new Lied – Musik und Reformation« nicht weiter ins Gewicht fallen.

Nach zehn Tagen voller Musik endete das Bachfest mit einer Aufführung der h-Moll Messe in der Thomaskirche. Der Dresdner Kammerchor und das Gewandhausorchester versetzten unter der Leitung des fast 90-jährigen Herbert Blomstedt, so schien es, die gesamte Zuhörerschaft in einen Zustand tiefen Einvernehmens mit dem Erlebten. Solche Momente waren auf diesem Musikfest häufig, aber nicht selbstverständlich. Gleich zu Beginn, im Zuge der Eröffnungsfeierlichkeiten, kam es zu einer Demonstration von Machtansprüchen und Eitelkeiten. Festivalstar und Präsident des Bacharchivs Sir John Eliot Gardiner provozierte mit seinem egozentrischen Auftritt einen polemischen, nicht weniger befremdlichen offenen Brief des ehemaligen Pfarrers der Thomaskirche, Christian Wolff. Unangetastet davon bleibt Gardiners künstlerische Ausnahmestellung, die er unter anderem in einem herausragenden Konzert mit Reformationskantaten von Schütz und Bach demonstrierte.

Viel wohlhabendes Publikum verwandelte das Stadtbild während des Bachfestes in Richtung Metropole – offiziell ein Rekordjahr mit Besuchern aus 41 Ländern. Das Bachfest ist allerdings kein Volksfest, trotz kostenloser Veranstaltungen auf dem Marktplatz für die Einheimischen, moderiert vom Fußballstadionsprecher und andernorts glattgequirlten Bach-Aufgüssen für die Jugend, die es vermeintlich grooviger mag. Man besucht die Stars, gibt dafür richtig viel Geld aus und klopft sich selbst auf die Schulter. Sir András Schiff hielt es vor seinem Klavierabend trotzdem für nötig, das Publikum vom hohen Ross herunter über die Erziehung zum »guten Geschmack« zu unterrichten. Dass der Pianist hier weit an der Realität der Möglichkeiten gegenwärtiger Musikerziehung vorbeischlittert, weiß er natürlich nicht. Seine Welt ist die der zehnjährigen Wunderkinder, die sich an den Goldbergvariationen überhoben haben.

Der vermeintlichen Einfachheit der Bach'schen Inventionen konnte er mit seiner gespreizten und didaktisch anmutenden Spielart nicht beikommen. Die hier fehlende Natürlichkeit brachte umso mehr Jordi Savalls »Orfeo« ins Festival ein. Noch zwei Tage zuvor bei Gardiners Kantatenaufführungen konnte man das Gewandhaus als zu nüchtern und atmosphärisch für geistliche Werke eher ungeeigneten Konzertort erleben. An diesem Abend gab es mit raffinierter Bühnen- und Saalbeleuchtung einen idealen Platz für Monteverdis konzertant aufgeführte Oper ab. Die Capella Reial de Catalunya, sowie das Concert des Nations musizierten in der seltenen Qualität frei miteinander spielender Individuen. Das durch Jordi Savall historisch nachempfundene und interpretatorisch angereicherte Klangbild mit verdoppeltem Continuo, Schlagwerk und Gitarre ließ das Konzert zu einem herb-frischen und mitreißend lebendigen Fest für die Sinne werden.

In zwei kleinformatigeren Konzerten »Fantasien und Madrigale« zeigte Steffen Schleiermacher mit dem Leipziger Ensemble Avantgarde mit witzig-intelligentem Understatement einmal mehr, wie man mit Musik von Schönberg bis Rihm auch ganz unprätentiös musikalisch überzeugen kann.

Das Überleben etablierter Musikpflege ist nicht selbstverständlich, wie bereits im Vorfeld die Einverleibung der Leipziger Mendelssohnfesttage ins diesjährige Bachfest zeigte. Inhaltlich war der Schritt in dieser Saison zwar durchaus nachvollziehbar, Mendelssohn passte mit Reformationssinfonie und dem »Paulus« thematisch perfekt in die Konzeption. Dennoch ist ein Einschnitt dieser Größenordnung für die Zukunft auch besorgniserregend. Vielleicht wartet das Bachfest in der kommenden Saison auch deshalb muskelspielend mit einem »Kantatenring« auf. An einem Wochenende sind das 18 Stunden lang 30 geistliche Kantaten mit Starinterpreten in Bachs »Festspielhäusern«.


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