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Filmkritik

Analoges Kontrastprogramm

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Analoges Kontrastprogramm | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Das Rattern des Projektors, das Flimmern des Films ist selten geworden in Leipzigs Kinos. Analoge Kinotechnik kommt kaum mehr zum Einsatz. Das Luru in der Spinnerei ist die letzte Institution für Filmnerds, die es echt haben wollen. Dafür gab es in diesem Jahr den großen Gildepreis der Deutschen Filmkunsttheater. Die Reihe »Ballet Mécanique« bringt nun schon in der fünften Saison Stummfilmklassiker auf die Leinwand, konzentriert auf die bildästhetische Betrachtung. Nach der großen Reihe zur Oktoberrevolution geht es weiter mit sowjetischen Filmen, die in dokumentarischer und fiktionaler Form ein Bild der UdSSR in den Zwanziger Jahren wiederauferstehen lassen. Los geht es im Januar mit »Die Frauen von Rjasan«, einem Frühwerk feministischer Filmkunst von 1927. Olga Preobrashenskaja lässt darin die Konflikte des ländlich-bäuerlichen Lebens im zaristischen Russland authentisch und für damalige Agitation-Verhältnisse auf ungewöhnlich sachliche wie ruhige Weise wieder auferstehen.Stummfilm Ballett Mecanique #19 – Das alte und das neue Russland, 24.1., 20h, Luru Kino in der Spinnerei

Film der Woche: Dass die Filme von Alexander Payne immer etwas Besonderes sind, erkennt man vor allem an der bedingungslosen Hingabe seiner Darsteller. Sei es Paul Giamatti als trauriger Loser in »Sideways«, Jack Nicholson als wirrer Rentner in »About Schmidt« oder George Clooney in Hawaiihemd und Schlappen in »The Descendants« – die größten Stars geben alles, um für Payne zu glänzen. Vier Jahre nach seinem letzten Geniestreich »Nebraska«, der den 80-jährigen Bruce Dern auf einen Roadtrip quer durch die USA schickte, ist es nun endlich Zeit für ein neues Werk des Ausnahmeregisseurs und diesmal will er es richtig wissen. Er lässt seinen Hauptdarsteller Matt Damon nicht nur sein Haupthaar opfern, sondern schrumpft ihn auch noch auf Mäusegröße. Payne schickt ihn auf eine aberwitzige Reise, die sich zu nichts weniger als einer Reflexion der menschlichen Existenz entwickelt. In einer (ziemlich wahrscheinlichen) Zukunft gehen die Ressourcen der Welt zur Neige. Der einzige Ausweg ist die Miniaturisierung: Immer mehr Menschen lassen sich schrumpfen und leben in einer eigens dafür geschaffenen Kolonie, fürstlich von ihrem Gesparten – schließlich ist eine Villa in Puppengröße wesentlich preisgünstiger als ein Appartement in New York. Obwohl sie zunächst skeptisch sind, entscheiden sich schließlich auch Paul (Matt Damon) und Audrey (Kristen Wiig) Safranek für die Schrumpfkur. Doch verläuft nicht alles so, wie Realist Paul es sich vorgestellt hat. Einmal unter den Molekularstrahl gelegt, beginnt für die Zuschauer ein einfallsreicher Trip, der immer unvorhersehbare Kurven nimmt. Lässt man sich auf den absurd-komischen Ton des Films ein, wird man mit innovativem Erzählkino von der Güte eines Wes Anderson oder Charlie Kaufman belohnt – und zahlreichen bekannten Mimen. In schönstem teutonischen Englisch haben Udo Kier und vor allem Christoph Waltz als reiche Buddies die meisten Lacher auf ihrer Seite. Mit dem Eintritt der vietnamesischen Humanistin Ngoc Lan Tran – Hong Chau (»Inherent Vice – Natürliche Mängel«) – stimmt der Film dann aber wesentlich nachdenklichere Töne an. »Downsizing«, den Alexander Payne mit seinem langjährigen Partner Jim Taylor (Oscar für »Sideways«) schrieb, ist ein besonderer, zutiefst humanistischer Film, ein irrwitziges, absolut einzigartiges Kino-Abenteuer. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Downsizing«: ab 18.1., Cineplex, CineStar, Regina Palast

Die Schlacht von Dünkirchen ist 77 Jahre her, aber in diesem Kinojahr allgegenwärtig. Nach »Churchill« beleuchtet nun auch »Die dunkelste Stunde« die Rolle des Premiers Winston Churchill. Er war bereits jenseits der Sechzig, als er zum Premierminister ernannt wurde. Der Zweite Weltkrieg tobte in Belgien und Frankreich, England wurde zurückgedrängt, die Lage schien aussichtslos. Niemand wollte den dicklichen Gewohnheitstrinker, der allzu oft seine Meinung offen vor sich her trug. Aber er war der einzige Kompromiss im zerstrittenen britischen Oberhaus und tatsächlich sollte es ihm gelingen, das Volk hinter sich zu vereinen. Während seine Gegenspieler auf einen Friedensvertrag mit Deutschland beharrten, beschwörte er die Standhaftigkeit des British Empire. Regisseur Joe Wright (»Abbitte«) schildert minutiös die chronologischen Ereignisse. Er wählt den klassischen Weg und erzählt die Schicksalstage im Mai als dichten, hochspannenden Krimi. Sein größtes Pfund ist dabei Hauptdarsteller Gary Oldman, der den überlebensgroßen Winston Churchill beeindruckend zum Leben erweckt und dafür auf einen Golden Globe hoffen kann. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Die dunkelste Stunde«: ab 18.1., Passage Kinos, Regina Palast

Joel Edgerton spielt den Familienvater Paul, der sich mit seiner Frau Sarah, dem knapp volljährigen Sohn Travis und Hund Stanley in einer Hütte im Wald verschanzt hat. Gleich zu Filmbeginn muss Paul seinen Schwiegervater erschießen und verbrennen, weil der sich, wie der überwiegende Rest der Welt, mit einem hoch ansteckenden, tödlichen Virus infiziert hatte. Grauenhafte Träume suchen Travis in der Folge heim, die sich verstärken, als sie einer fremden Familie Zuflucht gewähren. Das größte Problem an »It Comes At Night« ist, wie zuletzt auch bei Darren Aronofskys »mother!«, sein völlig irreführendes Marketing. Denn: Die Trailer und – diesen Schuh muss sich der Regisseur vermutlich selbst anziehen – auch der Filmtitel machen dem Publikum eigentlich unmissverständlich klar, dass es hier einen spannungsgeladenen Horrorthriller zu erwarten hat, in dem neben einer Seuche auch mysteriöse Kreaturen eine Rolle spielen. Tatsächlich ist, so viel muss im Vorfeld verraten werden, der Film aber kein echter Thriller, geschweige denn ein Horrorfilm, sondern vielmehr ein weitestgehend ruhig inszeniertes Endzeitpsychodrama, in dem es vor allem darum geht, wie und ob die letzten Überlebenden einer alles verändernden Katastrophe ihre Menschlichkeit bewahren. Ausführliche Kritik von Peter Hoch im aktuellen kreuzer.

»It Comes At Night«: ab 18.1., Luru Kino in der Spinnerei

Die Dänin Hannah Nydahl erlebt die wilden 60er als junge Studentin. Frisch vermählt schwappen sie und ihr Mann Ole mit der Welle westlicher Touristen nach Nepal – allesamt auf der Suche nach der großen Erleuchtung. Hannah und ihr Mann treffen auf ihrer Hochzeitsreise im Himalaya auf den 16. Karmapa, das geistige Oberhaupt der Lehre des Karma-Kagyü-Buddhismus. Sie werden seine Schüler. Damit sollte sich ihr Leben um 180 Grad wandeln. Die Nydahls machen die weltweite Verbreitung der buddhistischen Lehren zu ihrem Lebensprojekt, sind in den folgenden 35 Jahren unentwegt auf Reisen zwischen den Kontinenten und gründen fast überall auf der Welt buddhistische Zentren. Regisseurin Marta György-Kessler erfindet den Dokumentarfilm nicht neu. Sie hat ein feinfühliges, wenn auch klassisches Porträt einer einzigartigen und starken Frau geschaffen, die ihr Leben voll und ganz dem Buddhismus gewidmet hat. Auch wer sich nicht für Religionen oder gar den Buddhismus begeistern kann, wird diesen Film mögen. Trotzdem weckt das Porträt der Nydahls Zweifel beim Betrachter. Denn zu einem guten Porträt gehört auch immer Kritik – und unumstritten ist vor allem die Person des Ole Nydahl und seine Richtung des »Diamantweg«-Buddhismus nicht. Kritiker bemängeln eine fehlende Tiefe seiner Schule, die zu leicht verdaulich und damit schlichtweg populär sei. All jene Kritik kommt in György-Kesslers Film allerdings an keiner Stelle vor – so bleibt es also Sache des Betrachters, eigene Schlüsse zu ziehen. Ausführliche Kritik von Nikta Vahid im aktuellen kreuzer.

»Hannah – Ein buddhistischer Weg zur Freiheit«: ab 18.1., Kinobar Prager Frühling, Passage Kinos

Flimmerzeit_Jahresende_2017

 

Weitere Filmtermine der Woche

Happy Crime Time Shorts Attack mit 11 Filmen in 80 Minuten.20.1., 21 Uhr, UT Connewitz

Lenz Der Filmemacher Lenz verlässt seine Heimatstadt Berlin, um in den Vogesen die Hintergründe von Georg Büchners Fragment »Lenz« zu erforschen. Vom Wunsch getrieben, seinen neunjährigen Sohn Noah zu sehen, macht er sich auf in den Wintersportort Zermatt in den Schweizer Alpen. Reihe Büchner im Film.20.1., 17 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Die Liebe zum Schrott und andere Leidenschaften Doku von Bernhard Wutka (HTWK) über den Osten von Leipzig, wo düstere Ruinen Gestrandeten Obdach bieten, Sprayer sich in verlassenen Fabriken und Werkstätten austoben oder Schlagzeuger proben. In unmittelbarer Nachbarschaft von Gästen eines Künstlerhotels und Jugendlichen eines therapeutischen Schutzraumes.21.1., 18 Uhr, Pöge-Haus

Drei Helden und die ägyptische Prinzessin Die drei Freunde Ilja Muromets, Aljoscha Popowitsch und Dobrynja – die selbstbetitelten »Drei Helden«– machen sich auf der Suche nach Abenteuer auf den Weg nach Ägypten. Dort treffen sie auf eine Prinzessin und erleben so einiges - nur ihr sprechendes Pferd Yuliya bringt die drei immer wieder in Schwierigkeiten.– Russisches Kino21.1., 15 Uhr, Cineplex (OF) 21.1., 14.30 Uhr, CineStar (OF)

Sprung an die Spitze Diesmal ein russisches Helden-Epos der sportlichen Art: Bei den Olympischen Spielen 1972 kommt es zum legendären Basketball-Duell zwischen den Teams aus den USA und der UdSSR. Der russische Trainer hat den Traum, die eigenen Jungs zur stärksten Gruppe der Welt zu machen. Und er schafft es: In epochalen drei Sekunden besiegt sie den Endgegner aus den USA - das US-Konkurrenzteam verliert zum ersten Mal seit 36 Jahren. - Russisches Kino21.1., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)

Leipzig wiederentdeckt Eine Zeitreise mit alten Leipzig-Filmen, dokumentarische Filme aus dem Leipzig der DDR-Zeit21.1., 17 Uhr, KOMM-Haus

Your Name.Taki lebt in Tokio, Mitsuha in einem kleinen Ort in der Provinz. Beide verbindet ein unsichtbares Band. Wenn sie träumen, finden die Teenager sich in den Schuhen des jeweils anderen wieder. Der gefeierte Animationsfilmer Makoto Shinkai inszenierte mit »Your Name« viel mehr als nur eine weitere Körpertausch-Komödie. Sein charmanter, warmherziger Anime avancierte in Japan zum erfolgreichsten Film des Jahres.21.1., 17.30 Uhr, CineStar 21.1., 17.00 Uhr, Cineplex

Normal Autistic Film Der Dokumentarfilm fängt die Fabelwelt Jugendlicher mit Asperger-Syndrom ein und erzählt von Fluch und Segen, anders als der Rest zu sein. - DOKversity22.1., 17.15 Uhr, Hörsaal 6, Campus Augustusplatz

Bunker77 Bunker Spreckles, der Stiefsohn der Hollywood-Legende Clark Gable, sollte eigentlich das Erbe der Spreckles Sugar Company antreten. Stattdessen will der freiheitsliebende und exzentrische Bunker lieber Wellen reiten und die Welt erkunden. - Surf-Filmnacht23./24.1., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Der lachende Mann Unter zungenlösender Alkoholzuführung kann man dem »Kongo-Müller«, einem der berüchtigten Söldner bei der Niederschlagung der Simba-Rebellion im Kongo der sechziger Jahre, eine gute Stunde lang beim Schwadronieren und Räsonieren zuschauen - und gewinnt so Einblicke in das Seelenleben, Selbstbewusstsein eines Täters sowie, implizit, die Verstricktheiten der BRD in gewisse »Vorkommnisse« jenseits ihres Territoriums. - Der Bau der Intrige - Über Filme, die was machen, Teil 6, anschl. Gespräch mit Filmkritiker und -kurator Fabian Tietke23.1., 18.30 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei

Beuys Bewegende Biografie des Künstlers Joseph Beuys und seiner Zeit. - in Anwesenheit des Regisseurs Andres Veiel, CinéVisionen24.1., 18.30 Uhr, Passage Kinos

Grace Jones: Bloodlight and Bami - Das Leben einer Ikone Porträt der exzentrischen Künstlerin von Sophie Fiennes (»Zizek«). Reihe Musikkiste24.1., 18.20 Uhr, R: Sophie Fiennes, GB/IR 2017, Dok, 115 min

Queercore - How to Punk a Revolution Doku über die als Queercore bezeichnete kulturelle Gegenbewegung, die in den Achtzigern von den Künstlern Bruce LaBruce und G.B. Jones begründet wurde als Reaktion auf ihre zunehmende Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender, aber auch mit der Punk- und Schwulenszene an sich. In Anwesenheit des Regisseurs Yony Leyser.24.1., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der Nato

Tunniit: Retracing the lines of Inuit Tattoos Die junge Inuit Alethea Arnaquq-Baril begibt sich auf Spurensuche nach der alten Tradition der Gesichtstätowierung bei Frauen ihres Stammes, die heute in Vergessenheit geraten ist. - Filmscreening »Tattoo und Piercing«24.1., 19 Uhr, Grassi-Museum für Völkerkunde


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