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»Das Schreiben gibt es gar nicht«

Ulrike Draesner übernimmt die Professur für Kreatives Schreiben am DLL

  »Das Schreiben gibt es gar nicht« | Ulrike Draesner übernimmt die Professur für Kreatives Schreiben am DLL

Am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) wird der Staffelstab weitergegeben: Seit April unterrichtet Ulrike Draesner (Jahrgang 1962) Kreatives Schreiben an der Leipziger Schreibschule. Sie ist vielfach preisgekrönte Autorin zahlreicher Romane, Essays, Erzählungs- und Lyrikbände. Der kreuzer hat mit ihr über ihre Lehrinhalte und über eine neue Autorengeneration gesprochen – und natürlich über die alte Frage, ob man Schreiben lehren und lernen kann.

kreuzer: Kann man das Schreiben überhaupt lernen?

ULRIKE DRAESNER: Nein. »Das Schreiben« gibt es gar nicht. Es ist jedes Mal anders, und mit den wesentlichen Fragen ist man allein. Aber ich kann lehren, wie man eben damit umgeht, also einen literarischen Weg findet oder erfindet, und ich kann die Studierenden auf diesem Weg begleiten. Es geht darum, Potenziale zu entdecken und zu stärken. Und selbstverständlich hilft dabei das berühmte Handwerk, also Wissen aus der Tradition, aus anderen Texten. Zum Schriftsteller wird man durch Lektüre.

kreuzer: Wie haben Sie das Schreiben gelernt?

DRAESNER: Zu meiner Zeit gab es keine Schreibinstitute, ich habe das Schreiben also genau auf diese Weise gelernt: über das Lesen fremder, literarischer und theoretischer, Texte. Ich bin Anglistin, und eine wichtige Begegnung waren für mich die Romane, Essays und Tagebücher von Virginia Woolf. Dazu kamen James Joyce und als Gegenpol Vladimir Nabokov, aber auch der englische und französische Roman des 19. Jahrhunderts. Je mehr ich gelesen habe, umso mehr Ebenen haben sich für mich in den Texten eröffnet. Nach und nach konnte ich versuchen, selbst Räume zu bauen, die ineinander verschachtelt sind und es dem Leser trotzdem erlauben, sich zurückzulehnen wie bei einer Autofahrt mit Chauffeur und auf vielen Ebenen gleichzeitig unterhalten zu werden.

kreuzer: Seit fast fünfundzwanzig Jahren leben Sie als freie Schriftstellerin an verschiedenen Orten, zuletzt in Oxford. Was hat Sie dazu bewogen, sich auf eine Professur zu bewerben?

DRAESNER: Wie viele Autoren habe ich meinen Lebensunterhalt vor allem mit Lesungen bestritten. Gedichte leben vom Vortrag, und ich liebe es, intensive literarische Gespräche zu führen. Eine einzelne Lesung ist allerdings nur eine einzelne Lesung, und in den langen Jahren des Reisens hat sich bei mir zunehmend Lust eingestellt, in größeren Zusammenhängen zu arbeiten, über Monate und Jahre hinweg. Außerdem habe ich das Gefühl, dass der Raum für literarische Gespräche, in denen Praxis und Reflexion zusammenkommen, immer kleiner wird. Ich finde ihn eigentlich nur noch an zwei Orten: beim Übersetzen – wenn ich selbst übersetze oder übersetzt werde – oder eben beim Unterrichten, wenn eine Studierendengruppe zusammensitzt und gemeinsam über einen Text nachdenkt. Dabei geht es nicht darum, vorgefertigte Lösungen zu vermitteln. Ich verstehe Unterrichten als das Bauen eines Erfindungsraumes.

kreuzer: Sie schreiben Lyrik und Prosa, auch Essays, kürzlich haben Sie ein Libretto geschrieben. Welches Genre liegt Ihnen in der Lehre besonders am Herzen?

DRAESNER: Ich bin sehr froh, dass ich alle drei Gattungen unterrichten werde, allerdings würde ich die Lehre gar nicht so sehr an Gattungen festmachen. Ich finde Zwischen- und Mischformen spannend und möchte dazu ermuntern, frei auszuprobieren. Welche Rolle etwa spielen Oralität und simulierte Oralität heute? Wie wirken die Kommunikationsformen aus den sozialen Medien auf literarisches Schreiben zurück? Wie mehrsprachig werden wir in dreißig Jahren sein? Besonders am Herzen liegt mir der Essay, eine großartige Mischform, für die es in der deutschsprachigen Literatur jede Menge Entwicklungspotenzial gibt.

kreuzer: Gibt es Inhalte, die Sie besonders interessieren?

DRAESNER: Ich möchte zwei thematische Schwerpunkte setzen. Der erste ist »Life Writing«, also die Frage danach, wie man ein Leben erzählen kann. Welche Rolle spielt Vergangenheit? Wie wird Gegenwart sichtbar gemacht? Welche Unterschiede gibt es zwischen Tagebuch, Blog, Biografie, Roman? Der zweite Schwerpunkt heißt »Nature Writing«. Das meint einerseits Naturbeschreibung in einem weiten Sinn – etwa Fragen nach Wetter, Atmosphäre, Klima in unterschiedlichsten literarischen Formen –, andererseits die Erkundung der Stadt, die Bedeutung öffentlicher Räume. Ein dritter Themenbereich lässt sich grob mit dem Stichwort »Deutschland und Afrika« umreißen, und darin geht es um Kolonialismus, alternative, auch ökonomisch alternative Lebensentwürfe, sprachliche Hybridität.

kreuzer: Wird Leipzig jetzt Ihr Lebensmittelpunkt?

DRAESNER: Ich bin eben von Oxford zurück nach Berlin gezogen und werde von dort erst einmal pendeln. Meine Tochter geht in Berlin zur Schule, wir werden uns umsehen und die Entscheidung, ob wir nach Leipzig umziehen, als Familie treffen.


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