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Konzertkritik

Don’t Look Back In Anger

Festivaltagebuch: Wie beim Immergut der Strom ausfiel

  Don’t Look Back In Anger | Festivaltagebuch: Wie beim Immergut der Strom ausfiel

Beim Immergut Festival in Neustrelitz gingen alle Lichter aus, doch die Stimmung war heiter. Nicht nur wegen des Freibiers.

Drangsal steht in rosa Batik-Fransen-T-Shirt auf der Bühne, singt seine Achtziger-Jahre-Lieder, beschwert sich – zu Recht, aber doch etwas zu oft – über den schlechten Sound und dann ist plötzlich alles dunkel. Kurze Irritation allerorten. Noch bevor die meisten begreifen, was eigentlich los ist, hat sich Drangsal-Sänger Max Gruber eine Akustikgitarre geholt und versucht mit Finger-Auf-den-Mund-Zeichen das Publikum zur Ruhe zu bringen, um irgendwas mitzuteilen, was man halt ohne Mikro leider nicht versteht. Also geht er rein ins Publikum, das sich tatsächlich hinsetzt, um dann immer wieder im Chor zu singen: »Ich lieb dich so, ich lieb dich so!« – den Refrain von »Turmbau zu Babel«.

Dann zieht er von dannen in die Dunkelheit. Stromausfall auf dem ganzen Gelände, der Mond beleuchtet jetzt die Szenerie. Ein Mensch vom Immergut-Team kommt nach einer Weile auf die Bühne, um etwas mitzuteilen. Die paar Leute, die ihn hören können, rennen plötzlich Richtung Bierstand. »Vielleicht hätte ich das mit dem Freibier erst später sagen sollen«, überlegt er, als er für uns und ein paar Leute, die ihn auch nicht gehört haben, nochmal wiederholt, was los ist: Ein Strom-Aggregat habe Feuer gefangen. Das sei jetzt futsch, die Feuerwehr da und vielleicht komme bald ein neues Aggregat. Vielleicht auch nicht. Und alle Fässer, die schon angezapft sind, werden jetzt rausgehauen.

Nicht nur wegen es Freibiers ist die Stimmung entspannt. Kaum einer macht Stress, vielmehr feiern jetzt alle auf dem Zeltplatz ihren eigenen Partys, wo sich die Hobby-DJs mit ihren Bluetooth-Boxen gegenseitig übertönen wollen.

Irgendwann gibt’s wieder Strom, aber nur ein bisschen. Daher spielt Haupt-Act Ty Segall nur auf der kleinen Bühne, vor der aber alle umso mehr abgehen und tanzend eine riesige Staubwolke erzeugen. Ein guter Freund küsst irgendwelche Männer aufs Gesicht vor lauter Freude. Den meisten ist es egal. Die anderen hüpfen weiter.

Um drei Uhr nachts spielen dann doch noch um Stunden verspätet die Nerven, wegen denen wir ja hier sind, aber wir fallen einfach um. Zu viel Freibier, zu viel Sonne, zu viele Bands vorher gesehen. Es begann mit Maurice & die Familie Summen, die mit Bläsern und weißem Jogginganzug sehr charmant gegen die Alltags-Allzeit-Erreichbarkeit ansingen und über nicht schmeckende Frühstückseier. Die Musikerinnen von Mourn aus Barcelona machten schönen Nach-Vorne-Rock und Lambert spielte mit mehreren Menschen mit Masken Klavier.

Am nächsten Morgen warten Hitze, Staub und eine Alkoholleiche vor dem Zelt, die dann aber doch erwacht und sich in ihr eigenes Zelt bewegt. Wir schnell zum See. Gerade als wir so schön vor uns hinschwimmen, taucht plötzlich ein paar Meter weiter ein Kopf mit Taucherbrille auf und ruft meinen Namen. Was das denn für ein kranker Film? Aber es ist dann doch nur ein Bekannter, der sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst sportlich von einem Ufer zum anderen Ufer zu tauchen.

Als wir aufs Festivalgelände zurückkehren, ist strommäßig alles in Ordnung und  der Leipziger Das Paradies spielt angenehme Samstagsnachmittagssonne-Musik, bevor Andreas Dorau und Gereon Klug sehr viel cleveren Quatsch über die deutschen Charts erzählen. Zum Beispiel, dass man da am besten reinkommt, wenn man sehr teure Boxen mit sehr viel schlechter Musik produziert. Sam Vince-Law singt danach mit Humor über sein schwules Leben, lobt die Ehe für alle und will jetzt auch gleich alle hier heiraten.

Wir würden auf jeden Fall alle von Gurr sofort heiraten, landen aber vorher bei Olli Schulz. Eine Freundin nimmt uns an die Hand, und ohne dass wir uns wehren können,  zerrt sie uns mit sehr viel Willenskraft und trotz sehr viel Gegenwehr von Hardcore-Schulz-Fans in die erste Reihe, um da rumzuhüpfen. Ich kann ihr endlich auf die Schulter tippen: »Du, ich mag Olli Schulz gar nicht.« Sie lacht: »Ich auch nicht.« Aber wo wir hier jetzt wohl schwer wieder rauskommen, feiern wir halt mit und mögen ihn am Ende doch. Weil er hier nicht so nervt wie in seinen Fernsehsendungen, sondern wirklich sehr gekonnt, witzig und sogar leicht politisch den Entertainer spielt.

Am Ende dann die politischeren Kettcar, die sich freuen, dass endlich mal wieder Leute unter 30 in ihrem Publikum stehen. Doch Nachwuchssorgen plagen auch das Immergut Festival, von dem es im Vorfeld hieß, es könnte das letzte Mal stattfinden, weil der Festivalmarkt immer umkämpfter ist, die Indiefans auch nicht mehr mehr werden und der Ticketverkauf zu gering verlief. Während wir nachts in der Indiedisko »Don’t Look Back In Anger« grölen – immer auch ein wenig der eigenen Jugend hinterhertrauend – wissen wir: Es wäre extrem schade um dieses kleine immer gute Festival.


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