Bereit für eine kunstvolle Zeitreise? Ab in die Siebziger, denen das psychedelische Frühwerk von Eiichi Yamamoto entstammt, mit seiner offen zur Schau gestellten Frivolität und dem allgegenwärtigen Jazz-Pop von Isao Tomita und Masahiko Satoh. Zwischen 1969 und 1973 entstanden die drei Filme der »Animerama«-Reihe. »Die Tragödie der Belladonna« nimmt Motive aus dem Roman »Die Hexe« aus dem Jahr 1862, mit dem Jules Michelet seine Kritik an der Unterdrückung der Frauen und der Bauernschaft formulierte. Yamamoto mischt sie mit Motiven der Französischen Revolution und der Geschichte der Jeanne D'Arc. Auch mit »1001 Nacht« und »Cleopatra« öffnete der Japaner gemeinsam mit Anime-Legende Osamu Tezuka (»Astro Boy«) japanische Augen für fremde Sagenwelten – einzigartig für die damalige Zeit. In kunstvollen Aquarellen erzählten sie poppige Märchen für Erwachsene, explizit und drastisch, angelegt als Gegensatz zu den Animes für Kinder, die damals nahezu allein den Markt beherrschten. Die visuell berauschenden Kunstwerke üben ihren Einfluss auf das Genre, wie wir es heute kennen, maßgeblich aus. Das Luru präsentiert die Klassiker im Juni in einer kleinen Retrospektive.
> Eiichi Yamamoto Retrospektive: 7.6.: 19 Uhr 1001 Nights, 21.30 Uhr Cleopatra. 8.6: 20.30, Belladonna of Sadness, 10.6.: 19 Uhr, 1001 Nights, 21.6., 21 Uhr, Cleopatra, Luru Kino in der Spinnerei
Film der Woche: Brixen, ein kleiner Ort in Südtirol, ist die Heimstadt für ein außergewöhnliches Projekt: Das »Haus der Solidarität« bietet fünfzig Menschen ein Zuhause. Obdachlosen, Geflüchteten, Arbeitslosen, Suchtkranken – das Team um die gelernten Sozialarbeiterinnen Kathi und Miriam und die Quereinsteiger Alexander und Karl urteilt nicht – und doch müssen sie auswählen, was manchmal nicht leicht fällt. Wem gibt man eine Chance: Der Geflüchteten aus Syrien mit ihren zwei Kindern oder dem Obdachlosen, der seinen Job verloren hat und für einige Monate einen festen Wohnsitz benötigt, um wieder Arbeit zu finden? Man möchte nicht in den Schuhen der grundsympathischen Leitung stecken. Sie setzt sich für ihre Bewohner ein, sei es im Ort oder im Haus. Menschen wie Sumi, die vor ihrem gewalttätigen Freund geflüchtet ist. Ousman, ein politischer Flüchtling, musste seine Familie in Afrika verlassen und wird von den Albträumen seiner Vergangenheit gequält. Der Tunesier Hatem ist ausgebildeter Koch, der durch die Wirtschaftskrise auf der Straße landete und wieder auf die Beine kommen will. Die Sorgen und der Wunsch, seine Familie zurück nach Italien zu holen, bringen ihn um den Schlaf. Der Ex-Alkoholiker und Knasti Ervin ist der einzige Dauerbewohner des Hauses, denn eigentlich ist nach zwei Jahren Schluss und die Bewohner werden ins Leben da draußen zurück begleitet, aber nie allein gelassen, wenn sie es nicht wünschen. Ihnen allen und den vielen anderen Bewohnern bietet das Haus eine zweite Chance. Doch als der Umzug der Einrichtung in ein neues Gebäude ansteht, können nicht alle mit. Andreas Pichler begleitet die ungewöhnliche Wohngemeinschaft bei diesem schwierigen Schritt. Er fördert tragische Biographien ans Licht, die im Vorbeigehen verborgen bleiben. Ihm gelang ein berührender Dokumentarfilm, der die Menschlichkeit beschwört. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Der sechste Kontinent«: 7./8.,13.6., Kinobar Prager Frühling, ab 14.6., Cinémathèque in der Nato
Pu, der Bär ist weltberühmt. Die klugen, unbeschwerten Geschichten von Winnie the Pooh wurden in 40 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Seit den 1960ern sind sie Teil der bunten Welt von Disney. Die Geschichte ihrer Entstehung ist jedoch alles andere als bunt. Davon erzählt Simon Curtis (»My Week with Marilyn«) in »Goodbye Christopher Robin«. Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts ist Alan Alexander Milne (Domhnall Gleeson) bereits ein vielversprechender Autor mit einem Kriminalroman und diversen Geschichten im angesagten »Punch«-Magazin. Er heiratet Dahne de Selincourt (Margot Robbie), die Tochter des »Punch«-Herausgebers im Jahre 1913 und muss zwei Jahre später an die Front. Als er zurückkehrt ist er nicht mehr der selbe. Die Erinnerungen an den Krieg hindern ihn am Schreiben und rufen gewaltsame Ausbrüche in dem stillen Mann hervor. Auch die Geburt ihres Sohnes Christopher Robin bringt ihn kaum zurück. Irgendwann wird es Dahne zu viel und sie lässt ihn zurück. Als auch die Nanny für einige Tage verreisen muss, sind Vater und Sohn auf sich zurückgeworfen. Alan öffnet seine Augen für die Welt des Sechsjährigen (Will Tilston) und entwirft Winnie the Pooh und seine Freunde, inspiriert von seinen Kuscheltieren. Der Rest ist allgemein bekannt, doch auch als der Erfolg eintritt, spart Curtis die Schattenseiten nicht aus. Der Medienrummel treibt das Vater-Sohn-Gespann wieder auseinander. Curtis geht es nicht um magisch-verklärte Erinnerungen, wie wir sie wahrscheinlich im Sommer mit Disneys »Christopher Robin« erleben dürfen. Sein Ansatz ist realistischer, auch wenn er einige biographische Fakten geradebiegt und der Ton seiner Erzählung ein wenig unausgewogen zwischen Unterhaltungsfilm und Sozialdrama pendelt. Die Interaktion zwischen Domhnall Gleeson und Will Tilston, der hier sein Schauspieldebüt gibt, ist derweil die Seele dieses berührenden Dramas.
»Goodbye Christopher Robin«: ab 7.6., Passage Kinos
Tagtäglich sind wir einer Flut von Sinneseindrücken ausgesetzt. Die pausenlose Kommunikation überlastet den Geist, Momente der Ruhe werden immer seltener. Zudem treibt die effizienzorienierte Gesellschaft der modernen Welt immer mehr Menschen in die Einsamkeit. Diese Situation lässt viele nach Konzentration, Gemeinschaft und Verbindung streben. Dabei entdecken immer mehr Menschen die jahrtausendealte Tradition der Gesangsmeditation, die im Laufe des Fortschritts verloren gingen. Eine Form ist der sogenannte »Kirtan«, bei dem in der Gemeinschaft Mantras gesungen werden. Das »Chanting« diente in der traditionellen Klangformel in Indien der Untermalung von Yogastunden. In unserer Gegenwart erhält es eine breitenwirksame Bedeutung. »Chanting« ist im Mainstream angekommen. Das zeigen etwa Grammy-Nominierungen für Stars der Szene wie Deva Premal & Miten, Krishna Das, Jai Uttal und Dave Stringer. Der Dokumentarfilm »Mantra – sounds into silence« porträtiert die Künstler und lässt Menschen an verschiedenen Orten der Welt zu Wort kommen, die diese Form der Meditation für sich entdeckt haben. Auf Konzerten, Festivals, in Alltagssituationen und an ungewöhnlichen Orten wie dem San Quentin Prison bei San Francisco, zeigt der Film von Georgia Wyss, wie sich beim »Chanten“ Grenzen auflösen und Menschen wieder zu sich selbst finden. Ihre Herangehensweise ist euphorisch und unkritisch. Immer wieder findet man die gleichen Botschaften mantraartig wiederholt. Es ist schwer, die Faszination für dieses Gemeinschaftserlebnis in Film zu fassen. In einigen Momenten entsteht jedoch ein Zauber, der davon ahnen lässt. In jedem Fall ist »Mantra – sounds into silence« eine Inspiration, sich eingehender mit dem Thema auseinanderzusetzen. Man entdeckt spannende Künstler – auch aus Berlin – und geht tatsächlich ein wenig beseelter aus dem Kinosaal ins Licht des Alltags. Am 10.6. Gespräch und Singen eines Mantras mit dem Yoga-Lehrer Rüdiger Tancke.
»Mantra – sounds into silence«: ab 7.6., Passage Kinos
Dickicht, Unschärfe, fragmentierte Landschaften. Der Schein einer Fackel, der kaum ausreicht, den Arm zu erhellen, der ihn trägt. Zu Beginn versetzen Bonnetta und Sniadecki den Zuschauer in eine Orientierungslosigkeit und begeben sich in ihr auf die Suche nach Spuren von Tod und Leben, von Schönheit, Zerstörung und Bedrohung. Ort der Erkundung ist die Sonora-Wüste - ein enorm politisiertes und mythologisiertes Areal, das sich über Südkalifornien, Teile Arizonas und Nordmexikos erstreckt. Die Menschen, die sich hier aufhalten, sind entweder staatliche oder selbst ernannte, in Bürgerwehren organisierte Grenzschützer. Hinzu kommen Aussteiger, Bauern und von Süden her nicht-dokumentierte Einwandernde, die ihr miserables Leben riskieren, weil sie auf ein besseres hinterm Horizont hoffen. Die Bilder, die das Regie-Duo von diesem Ort produziert, sind großartige und nie gesehene: zum Teil körnige 16-mm-Aufnahmen von Landschaften, Wolkenformationen und Tierphänomenen. Andererseits auch solche, die Informationen auf Umwegen vermitteln. Während die Wüste Cinemascope - das breiteste Leinwandformat - gleichsam erfunden hat, wählen die beiden ein schmales - andeutend, dass die politische Komplexität der Sonora als Panorama nicht eingefangen werden kann. Dinge und Geschichten entziehen sich, können mal in Teilen erfasst, dann überhaupt nicht bildlich dargestellt werden. Die Erzählungen derer, die die mühsame Durchquerung überlebten, werden auf die Tonebene verlagert. Dort entsteht aus den Geräuschen von Pflanzen, verlorenen Habseligkeiten oder der von Aktivisten an Seilen aufgehängten Wasservorräte auch eine akustische Studie des Wüstenraumes. Die Durchdringung von nicht-gefälliger Bildgebung, Poesie und komplexer Tonspur macht »El mar la mar« zum Must-See für alle Experimentalfilm-Aficionados. Am 9.6. Gespräch mit Regisseur Joshua Bonnetta.
El Mar La Mar: ab 7.-9., 11./12.6., Cinémathèque Leipzig
Weitere Filmtermine der Woche
No Game, No Life: ZeroDer Untergang der Menschheit steht bevor, das Land wird verwüstet und sogar Himmel und Sterne werden zerstört, als ein junger Mann namens Riku auftaucht und die Menschheit in eine rettende Zukunft führt. - Anime-Highlight7.6., 20 Uhr, Cinestar, Cineplex, 10.6., 17.30 Uhr, Cineplex, 10.6., 17, 20 Uhr, Cinestar
Vergessen im Harz IIIEin weiterer Teil der erfolgreichen »Lost Places«-Dokumentarfilmreihe von Enno Seifried, in Anwesenheit des Regisseurs an allen drei Tagen.7.-9.6., 20 Uhr, UT Connewitz
Polen 1968 und die Protestbewegung in EuropaFilm & Dialog mit »Marcowe Migdaly / March Caresses« (PL 1989; OmeU), anschl. Diskussion u. a. mit Andrzej Gwózdz (Filmwissenschaftler) und Milos Rezník (Historiker).8.6., 18 Uhr, Polnisches Institut
Short-Attack: FußballfieberDie Kurzfilmrolle zur WM.8.6., 20 Uhr, Cineplex
SprechstundeEine fremde Sprache bringt unterschiedliche Menschen zusammen und öffnet ihr Herz füreinander. Ein Film als Lehrstunde in gelebter Demokratie. Über einen Ort der Hoffnung, an dem soziale und kulturelle Grenzen aufgelöst werden. An dem der Einsamkeit in einer fremden Welt getrotzt wird.8.6., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Die QuerReiser – eine kulturelle ExpeditionIm Rahmen des Stadtteilfests »Zufällig Osten« wird auf dem Gelände der Stadtbeleuchtung am ehemaligen Kino der Jugend auf großer Leinwand der Film »Die QuerReiser - eine kulturelle Expedition« von den reisebegeisterteten Wuppertaler und Kölner Filmemachern Mia Kruska und Jan Rosemann gezeigt. Bei ihrer Reise von Thailand über Myanmar bis nach Indien und Nepal verlassen Mia und Jan den Weg konventioneller Reportagen und teilen ihren Blick auf die Menschen und Kulturen, denen sie begegnen.9.6., 21 Uhr, Fortuna - Kino der Jugend
Surf Film NachtAlena Ehrenbolds »Blue Road« (CH 2017, Dok) porträtiert die Liebe zum Surfen aus Sicht dreier sehr unterschiedlicher Frauen und geht der Frage nach, wie man diese Liebe auch als »landlocked« Surfer leben kann. Diesmal im Doppel mit »This time tomorrow« (USA 2012, Dok). Taylor Steeles Dokumentarfilm begleitet die Surfer Dave Rastovich und Craig Anderson auf der Jagd nach dem legendären Teahupo'o Code-Red-Sturm des Sommers 2011 durch den gesamten Pazifik.12.6., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Kino im Osten: »Im inneren Kreis«Leipzig hat eine neue Leinwand an alter Stelle: Im wiedereröffneten Ost-Passage Theater in der Konradstraße flimmern zum ersten Mal seit 1962 wieder Filme. 1912 war das Ost-Passage Theater als Kino eröffnet worden und hieß zwischenzeitlich auch Kammerlichtspiele oder Lichtspielhaus. In Kooperation mit dem Luru-Kino in der Spinnerei gibt es jetzt (fast) jeden Mittwoch Filme für den Osten - einen bunten Mix aus aktuellen Hits, Klassikern und Dokumentarfilmen. (Foto: Jana Nowak)13.6., 21 Uhr, Ost-Passage Theater