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»Wir sind Lok – wir sind Fußball pur«

Für die neue Regionalligasaison rüstete Lok Leipzig mächtig auf. Doch wie steht es um den Traditionsverein?

  »Wir sind Lok – wir sind Fußball pur« | Für die neue Regionalligasaison rüstete Lok Leipzig mächtig auf. Doch wie steht es um den Traditionsverein?

»Wenn wir es nicht gut machen, sieht es beschissen aus«, so der Lok-Trainer Heiko Scholz vor dem Spiel gegen Rot-Weiß Erfurt. Er weiß genau, worauf es ankommt: Siege müssen her, sonst hört das Gemaule der Fans nicht auf. Ein Blick auf die neue Saison, hochgesteckte Ziele, Schattenseiten und ein großes Jubiläum.

Die neue Saison begann für den 1. FC Lokomotive nach Maß. Der erste Heimspiel-Gegner hieß ZFC Meuselwitz. Gegen dieses Team konnte Lok noch nie gewinnen. Was für eine Freude herrschte nach dem Sieg.Nach drei Spieltagen standen drei Punkte aus drei Spielen und Tabellenplatz 10 zu Buche. Die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung war dahin. Heiko Scholz, der seit fast fünf Jahren als Loktrainer arbeitet, forderte nach der zweiten Niederlage: »Jungs, bleibt uns treu!« Zuvor murrten und pöbelten einige Fans während des Spiels sehr laut. Warum konnte die Stimmung so schnell kippen?

Neue Ziele

Beim Trainingsauftakt Ende Juni präsentierte Lok zehn neue Spieler. Mit Matthias Sommer stieg erstmals ein A-Jugendspieler in den Kader auf. Nicky Adler, der zuletzt beim Zweitligisten FC Erzgebirge Aue spielte, kehrte nach 15 Jahren zurück. Damals verließ er den insolventen VfB Leipzig in Richtung TSV 1860 München.

Die anderen Neuen bringen alle Regionalligaerfahrung mit, so dass das Ziel Platz 1 bis 4 nicht unrealistisch klang. Mut machten in der Vorbereitung ein gewonnenes Testspiel gegen den Drittligisten FSV Zwickau und ein neuer Rekord mit über 1.100 verkauften Dauerkarten. Zudem trainiert die Mannschaft seit dem 1. Juli unter Profibedingungen, was in der Regionalliga durchaus zur Pflicht geworden ist. Für Lok ist es allerdings ein Riesensprung.

Dafür reicht allein ein Blick auf die Wandgestaltung der Trainingshalle. In einem aufgeschlagenen Buch sind Merkzahlen zu lesen: 1893 die Vereinsgründung, Meister und Pokaltitel, 1966 die Gründung von Lok, die Umbenennung 1991 wieder in VfB und der Bundesligaaufstieg 1993. Die Auflistung endet mit »20..« Was das Buch verschweigt, sind die Insolvenzen (2000 und 2004), die Neugründung von Lok Leipzig, der Beginn in der 3. Kreisklasse 2004, fünf Jahre später Oberliga, im Wechsel mit der Regionalliga, in der seit 2016 kontinuierlich gespielt wird. In diesem Zahlenreigen scheint ein Ermöglicher von professionellen Trainings- und Spielbedingungen nicht zwangsläufig realistisch. Bei Lok steht European Tax & Law – die ETL-Gruppe dahinter. Sie sichert für die nächsten zwei Jahre das Profitum ab, um die Vereinsvision – im Jahr 2020 in der Dritten Liga zu spielen – zu realisieren. Allein der Weg dahin war eine Hängepartie. Erst als ETL-Besitzer Franz-Josef Wernze persönlich das Spiel gegen den BFC Dynamo Ende April besuchte, wurde die Zusage verkündet.

Wenig später stand Lok mit einer ganz anderen Schlagzeile in der Öffentlichkeit. Zeitnah zur ETL-Entscheidung animierte der Kotrainer die Spieler der B1-Jugend zum Zeigen des Hitlergrußes. Ein Bild davon tauchte später im Internet auf. Die Vereinsführung reagierte prompt. Der Trainer sowie der Leiter der Nachwuchsabteilung wurden entlassen. Der Verein wandte sich an den Landessportbund Sachsen mit der Bitte um ein Demokratietraining. Dabei wurden die Geschichte von VfB und Lok Leipzig vorgestellt, Debatten zu Grenzen und Geflüchteten geführt und das Theaterstück »Juller« im Theater der Jungen Welt über den deutsch-jüdischen Fußballspieler Julius Hirsch besucht. Die Nichtteilnahme bedeutete Vereinsausschluss.

Die Workshops begleitete Robert Großpietsch, der für den Landessportbund das Projekt »Im Sport verein(t) für Demokratie« organisiert. Er bescheinigt dem Verein Achtsamkeit gegenüber demokratiefeindlichen Tendenzen. Allerdings sieht er auch, dass sich die Probleme nur Schritt für Schritt lösen lassen.

Die Last

Durchschnittlich 3.068 Zuschauer besuchten in der vergangenen Saison die Heimspiele. Wer geht zu Lok? Zum Beispiel Zoodirektor Jörg Junhold. Sein blau-gelber Schal wirkt von Weitem so, als ob er aus einer längst vergangenen Zeit stamme. Auf kreuzer-Anfrage schwieg er sich über sein Fantum aus. Das ehemalige CDU-Bundestagsmitglied Thomas Feist ist oft bei den Spielen zu sehen.

Es geht um die »Stärkung der Zivilgesellschaft«, so fasst es ein Lok-Fan zusammen, der seit 1988 Anhänger ist. Zu behaupten, dass Lok rechts ist, sei Käse. Das Präsidium arbeitet seit fünf Jahren klar gegen rechts, mit allen Risiken, die das birgt. Das sieht auch Präsident Löwe so. Seit diesem Jahr hat der Verein einen Antidiskriminierungsbeauftragten. Aber eine Person für diesen Problemkreis verantwortlich zu machen, würde zu kurz greifen. Zumal er einen Vorfall wie in der B-Jugend nicht für möglich hielt. Es lief doch alles gut.Vor vier Jahren löste sich die rechte Fangruppe Scenario Lok auf. In der vorigen Saison schloss sich die Fankurve 1966 mit der Fanszene Lok und Banda Resoluta zusammen und betonte, dass für alle gilt: »Jegliche Formen von Diskriminierung und sonstigem menschenverachtendem Gedankengut finden in unseren Reihen definitiv keinen Platz.« In erster Linie ging es um die Stimmung im Stadion. Denn selbst bei 3.000 Zuschauern löst ein Gesang nicht den nächsten ab. Fans konstatieren auf Facebook, dass es fast schon so sei wie bei den »Klatschpappenheinis« – vermutlich sind RB-Fans gemeint.

Zum Testspiel gegen den Halleschen FC blieb die Kurve leer. Die Ultras von Saalefront riefen zuvor zum Boykott auf, weil das Lok-Präsidium entschieden hatte, dass Stadionverbote nicht aufgehoben werden. Aktuell tauchen Anhänger der Fanszene als Angeklagte des rechten Überfalls auf Connewitz Anfang 2016 auf.

Die Zukunft

Im Frühjahr eröffnete die sanierte Trainingshalle dank der Unterstützung des Freistaates, der Stadt, Spenden und eines Kredits von ETL. »Sie haben mich an Ihrer Seite«, betonte Sportbürgermeister Heiko Rosenthal. Vor dem Winter wird der neue Kunstrasenplatz eingeweiht und der Familienblock eröffnet spätestens Anfang 2019, so Präsident Löwe. Denn die Vision 2020 fordert nicht nur Spielerprofis, sondern auch einen professionell geführten Verein mit einer modernen Trainings- und Wettkampfstätte gemäß dem Leitbild: »Wir sind Lok – wir sind Fußball pur.«

Die Bedingungen sind top, attestiert der neue Nachwuchskoordinator Björn Joppe. Er kennt Heiko Scholz schon länger und wurde nach der Entlassung des vorigen Leiters eingestellt. Joppe, 1978 in Wuppertal geboren, ausgebildet beim VfL Bochum, trainiert zudem die A-Jugend. Nach dem Vorfall merkt er eine Sensibilität gegenüber Auffälligkeiten und eine genaue Prüfung der Trainer.

240 Jungen spielen bei Lok und als Ziel gibt Joppe ein DFB-lizenziertes Nachwuchsleistungszentrum in drei bis fünf Jahren aus. Ein erster Schritt wäre der Aufstieg der Großfeldmannschaften in die Regionalligen. Der Leistungsgedanke führt dazu, dass in dieser Saison letztmals Bambinis und eine F-Jugend bei Lok spielen. Derzeit wird zudem an einem Konzept, um jugendlichen Flüchtlingen eine Trainingsmöglichkeit zu geben, gearbeitet.

Die Tradition

»125 Jahre Fußball pur« – so lautet das Motto für den Herbst. Dazu gehört ein Empfang zur Vereinsgründung. Ob Ministerpräsident Michael Kretschmer zu dem Termin kommen wird oder erst Ende November, wenn sich DFB-Präsident Reinhard Grindel als Gast angemeldet hat, ist noch nicht entschieden. Eins der nächsten großen Ziele stellt die Fusion mit dem VfB dar. Dazu bedarf es noch einer Zusage des Finanzamtes sowie einer außerordentlichen Mitgliederversammlung.


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