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Kultur

Posing, Pop und Poesie

Die Ilse-Macher im Interview über 20 Jahre Clubkultur in Connewitz

  Posing, Pop und Poesie | Die Ilse-Macher im Interview über 20 Jahre Clubkultur in Connewitz

Am 1. Oktober 1998 öffnete das Ilses Erika zum allerersten Mal seine Türen. Zwanzig Jahre später sitzt Jörn Drewes, Mitbegründer und Betreiber des Wohnzimmerclubs, im Biergarten der Ilse und spricht bei Bier und Currywurst über den Namen seiner Mutter, die Anfänge des Ladens und von den harten Zeiten. Zwischendrin – um seine Wurst zu essen – holt er Ralf Donis, der seit der Gründung als Resident-DJ auflegt und seit 2000 fest im Team ist, und Chris Feist, der seit 2014 in der Ilse als Booker arbeitet, dazu, um darüber zu reden, wie sich Musik, Tanzende und die Clubkultur in den letzten zwanzig Jahren verändert haben.

kreuzer: Bu bist im Ilses Erika von Anfang an dabei. Wie kam es zur Gründung?

JÖRN DREWES: Ja, ich bin einer der Mitbegründer, meine Mutter ist die Erika. Ilse ist die Mutter meines ehemaligen Partners Chrisse Krass. Wir haben das immer als eine Reminiszenz an unsere Mütter gesehen. Der Ursprung war aber, dass Chrisse Krass nach Leipzig kam. Wir haben unser Studium auch aufgegeben, um den Laden aufzumachen. Unsere Mütter waren besorgt, wie sie halt so sind, sagten sie: »Mach doch was Vernünftiges, keine Kneipe, ohgott ohgott!« Da kam die Idee, den Laden wie unsere Mütter zu nennen.

kreuzer: Und die waren dann wieder beschwichtigt?

DREWES: Es hat ein paar Jahre gedauert, aber dann waren sie stolz wie Bolle. Nach der Mutter unseres dritten Partners Rainer haben wir dann die Firma benannt. Jetzt ist alles anders, aber früher hieß das dann: Ilses Erika betreibt Gudruns Gesellschaft für angeordnete Popkultur.

kreuzer: Ein ziemliches Risiko, wenn ihr dafür euer Studium geschmissen habt.

DREWES: Das war schon ein Risiko, den Laden zu öffnen. Man weiß ja nicht, was geht.

kreuzer: Hat Leipzig früher das Gefühl vermittelt, dass man hier jetzt was ganz Neues starten kann, denn es gibt noch nicht so viel an Kultur?

DREWES: Ja, klar. Wir haben schon vorher hier und da Veranstaltungen gemacht, vor allem auf der Feinkost, zum Beispiel das Eiscafé Capri, Konzerte … Eine Reihe hieß »Posing, Pop und Poesie« mit einer Band, einem Literaten und danach eine Party. Das war dann auch das Konzept für den Laden. Wir haben was Festes gesucht und hatten das Gefühl, wir müssen uns beeilen, sonst kommen die anderen Clubs. Das lag in der Luft. Es hat dann aber noch mal lange gedauert, bis etwas passierte. Es ist eigentlich erst seit fünf, sechs Jahren so, dass sich viel entwickelt. Es gibt wenig Vergleichbares in Deutschland, wo so viel passiert.

kreuzer: Hat sich nicht nur in der Stadt, sondern auch hier in der Ilse etwas verändert?

DREWES: Klar. Es wäre ja irgendwie doof, wenn sich in 20 Jahren gar nix verändert hätte. Es ist familiär, man kennt sich und es gibt ein paar Leute, die sind schon seit den Anfängen da. Aber das Stammpublikum wechselt. Ich finde es ganz toll, dass nach wie vor viele junge Leute hierherkommen, studentisch, Anfang 20. Das ist gut für den Laden. Dementsprechend verändert sich auch die Musik und wir probieren immer viel aus. Aber für Elektro- und Technomusik geht man dann doch eher ins IfZ und ins mjut, zu uns für die Pop-Musik.

kreuzer: Das heißt, es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden zwischen neuem Publikum und sich selbst treu bleiben?

DREWES: Unser Credo war immer, für alles offen zu bleiben, für alle Arten der Musik: Hauptsache, sie ist gut! Dem bleiben wir treu. Aber dadurch, dass es mittlerweile so viel gibt in Leipzig, kann man auch nicht mehr alles machen, sondern muss sich eine Sparte suchen. In den ersten zehn Jahren war die Bandbreite viel größer. Wir haben da viele Türen für Leute aufgemacht, die was machen wollten. Es gab noch viel mehr Veranstaltungen, zum Beispiel eine Werkschau von Filmemachern, die ihre Filme selbst vorgeführt haben. Jetzt gibt es viel mehr Orte, wo das alles stattfindet. Die gab es früher nicht, deswegen fand alles bei uns statt.

kreuzer: Hast du eine Lieblingsanekdote, die du gerne erzählst?

DREWES: Ja, bei einem Konzert kam noch so ein Tross Leute, der unbedingt reinwollte. Das Konzert war aber schon ausverkauft, war picke-packe voll. Sie meinten, sie haben Moby dabei, der will rein. Da meinten wir, es ist eigentlich schon voll, aber vier Leute gehen noch, na gut. Dann stand Moby vor mir und hat groß geguckt, weil der Laden so voll war und ist wieder gegangen. Naja, es ist einfach super viel passiert in den Jahren.

kreuzer: Hast du jemals gedacht: Jetzt geht es nicht mehr weiter?

DREWES: Es gab eine richtig krasse Phase, das war so 2010, da haben wir eine Insolvenzphase durchleben müssen. Da war dann schon sehr fraglich, was passiert. Wir haben alle zusammengehalten und irgendwie ging es dann weiter.

kreuzer: Aber persönlich hast du nie gedacht, jetzt aufzuhören und etwas ganz anderes zu machen?

DREWES: In der Zeit habe ich schon gehadert und mich gefragt, ob es vielleicht reicht. Aber es ist so viel Tolles passiert und ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, inhaltlich irgendwas anderes zu arbeiten. Dann fragt man sich, warum denn was anderes aufbauen, wenn man was hat, was so gut funktioniert und so schön ist. Das ist ein Ort der Herzen für mich mit einen Haufen Leute, die hier regelmäßig verkehren.Ich hole mal noch den Donis und den Chris dazu. Dann kann ich meine Wurst essen.

kreuzer: Was hat sich denn für euch verändert, wenn ihr auf die letzten 20 Jahre zurückschauen?

RALF DONIS: Viel. Das liegt zum Teil daran, dass die Gesellschaft sich verändert, die Jugendkultur sich verändert und dass man selbst älter wird. Das ist sehr spannend, wenn man schon so lange in der Clubkultur arbeitet. Da verändert sich für beide Seiten sehr viel. Für junge Leute ist es oft strange, wenn sie mich am Einlass sitzen sehen. Die erwarten nicht, dass man in dem Alter so was noch wuppt. Das Schöne beim Auflegen ist, dass junge Leute in den Club kommen und mich sehen. Die gucken erst mal komisch und sagen dann aber, du hast uns geflasht, weil du aktuelle Musik gespielt hast. Das spricht auch für den Club, dass man sich mit aktuellen Dingen immer noch befasst. Dieses Clubkonzept macht es für mich im Ilses Erika so spannend: Wir, ein Teil der Macher, sind schon bisschen in die Jahre gekommen, aber es bleibt trotzdem nachvollziehbar für junge Leute. Das ist auch einer der Gründe, warum wir jetzt zwanzigsten Geburtstag feiern. Weil: Wir sind immer noch dabei, wir spezialisieren uns nicht auf etwas, das nur unser Ding ist.

CHRISTIAN FEIST: Es ist aber auch andersrum: Es gibt viele Partys, die Leute ansprechen, die früher schon gekommen sind und jetzt nur noch einmal im Halbjahr ausgehen. Das ist so eine Brücke rückwartsblickend.

DONIS: Genau, das ist auch wichtig.

DREWES: Wir haben auch viele Leute, die so alt sind wie wir, die sagen: Hier sind ja nur noch junge Leute. Wie blöd ist denn das? Was soll denn das?

DONIS: Wir haben aber mit Veranstaltungen darauf reagiert. Es gab ältere Leute, die gesagt haben: Wir mögen den Laden eigentlich, aber man kann ja nicht mehr in den Club gehen mit 40! Du kannst denen natürlich sagen: Doch, ihr könnt immer zu uns kommen, das Programm ist gemischt, gerade die Diskotheken. Aber wir haben eine Weile, weil es akut war, darauf hingebaut, auch am Wochenende Veranstaltungen zu machen, die auch einladend sind für etwas ältere Leute. Das hat, denke ich, gut funktioniert, dass die wiedergekommen sind.

kreuzer: Und wie hat sich Leipzigs Kultur verändert?

FEIST: Leipzigs Kultur verändert sich teilweise auch ohne das Zutun von Clubs. Wir haben das Glück, dass das Haus nicht der CG-Gruppe gehört. Und deswegen der Laden auch noch existiert. In den letzten Jahren ist viel entstanden, was dann gleich wieder zumachen musste.

DREWES: Die Distillery wird es jetzt auch bald treffen.

kreuzer: Aber ihr fühlt euch nicht bedroht?

FEIST: Bedroht sehen wir uns noch nicht. Erst, wenn der Besitzer wechselt und sagt, er will aus dem Keller ein edles Loft machen (lacht).

DREWES: Ich glaube, so in den späten Neunzigern, 2000er Jahren, sind für viele da Schlüsselerlebnisse passiert. Alles, was wir gemacht haben, haben wir aus eigener Tasche auf die Beine gestellt. Da war schon viel Selbstausbeutung dabei, die wenigsten haben da Geld verdient. Wir konnten davon leben, aber reich wurde keiner. Viele Leute kamen zu uns mit dem Anliegen, Dinge zu veranstalten, die sie irgendwo anders nicht veranstalten konnten. Wir haben in ein Vakuum gepikst mit dem Laden: Kommt her und macht! Dann haben wir erst überlegt, wie machen wir das und wie kriegen wir das Budget her? Meistens gab es kein Budget, sondern nur Eintrittsgelder. Das war natürlich immer schmal, aber anderswo gab es die Orte gar nicht, für feministische Diskos, Filmemacher-Werkschau, elektronische Bastelstunde, Talkshows, Literatur, Party. Das war das Konzept, das sich jetzt vor allen Dingen verändert hat, weil es jetzt für Dinge, die wir früher gemacht haben, eigene Orte gibt.

DONIS: Wir sind als ein Laden gestartet, der in der Breite ganz viele verschiedene Sachen machen will. Dieses programmatische Crossover wurde früher – heute auch noch – sehr gefeiert. Seit drei, vier Jahren, sind die Leute eher fokussiert und teilen sich ein: Wenn ich das haben will geh ich da in den Laden, wenn ich das haben will, geh ich dorthin. Der Crossover-Gedanke kommt nicht mehr so an.

DREWES: Clubkultur hat früher auch bedeutet, dass man sich im Club mit einer gewissen Klientel trifft und sich austauscht, über das, was man macht. Jetzt spielen da soziale Medien eine Rolle. Das ist aber kein Abgesang, sondern nur eine Feststellung.

DONIS: Über Jahre haben wir davon gezehrt, dass die Leute spannend fanden, dass hier so viel Verschiedenes passiert. Die junge Generation will eher spezifische Zielorte haben.

kreuzer: Schafft das nicht auch ein klareres Profil?

DONIS: Aber so ticken wir halt nicht. Wenn wir uns jetzt auf ein, zwei Sachen fokussieren würden, würde ich es nicht mehr spannend finden, hier zu arbeiten. Die Breite war immer unser Ansatz und das versuchen wir immer noch so durchzusetzen.

FEIST: Es gibt ja auch Leute wie Tim Thoelke, Christian Meyer, Julius Fischer, André Herrmann, die hier ihre Anfänge hatten. Wir waren eine der wenigen Bühnen, die offen standen, sich mal auszuprobieren, um ins Blaue herein mal Bullshit zu machen. Die Ilse versucht den Besuchern ein Gefühl von Geborgenheit und »Ihr seid hier willkommen« zu schaffen. Anonymität mögen wir nicht. Ich denke, dass das den Laden auch von anderen, teils größeren Läden unterscheidet. Man kann schnell ein Verbundenheitsgefühl aufbauen, weil die Macher selbst oft vor Ort sind und den Austausch mit den Gästen nicht scheuen beziehungsweise sogar suchen.


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