Der 1. FC Lokomotive wollte in dieser Saison hoch hinaus und stellte auf Profibetrieb um - und rauschte am 13. Spieltag vergangenen Sonntag auf den vorletzten Tabellenplatz der Regionalliga. Vor dem Samstagspiel gegen Schlusslicht Optik Rathenow fordert der neue Cheftrainer Björn Joppe nun die ganze Unterstützung der Fans in den 90 Spielminuten - anstelle der mittlerweile üblichen Pfiffe, Pöbeleien und Buh-Rufen gegen die eigene Mannschaft. Kurz: Es herrscht Endzeitstimmung in Probstheida.
Euphorie
Wer dieser Tage ins Bruno-Plache-Stadion geht, sieht die Fortschritte beim Bau des neuen Kunstrasenplatzes. Vor wenigen Monaten wurde die sanierte Trainingshalle eröffnet. Zum Saisonbeginn stellte der Klub zehn neue Spieler vor – ausgestattet mit genügend Regionalligaerfahrung, um das »Ziel 3. Liga« für 2020 in Angriff zu nehmen. Die Fans waren dankbar für so viel Zuversicht. Ein neuer Dauerkartenrekord mit 1.133 Karten wurde vermeldet. Auch die durchschnittliche Zuschauerzahl der letzten Saison von fast 3.000 Besuchern pro Heimspiel schien erneut erreichbar zu sein.
Realität
Nach dreizehn Spieltagen in der aktuellen Saison zeigt sich ein anderes Bild. Das Trainergespann Heiko Scholz und Rüdiger Hoppe, die fast fünf Jahre bei Lok das Spielgeschehen bestimmten, mussten nach der Heimniederlage gegen Halberstadt am 22. September gehen. Der Nachwuchsleiter Björn Joppe rückte als Cheftrainer auf und saß in Chemnitz das erste Mal an der Seitenlinie. 3 zu 1 verlor Lok beim Klassenprimus und Drittligaabsteiger CFC. Das nahm keiner krumm, denn Chemnitz ist diese Saison eine andere Hausnummer. Für all die anderen 17 Mannschaften in der Liga wird immer wieder das Mantra bemüht: Jeder kann jeden schlagen.
Nach einem Unentschieden zu Hause gegen den starken Berliner AK siegte Lok auswärts gegen Budissa Bautzen. Das Konzept eines Neustarts schien aufzugehen. Am letzten Sonntag folgte das Desaster oder wie es Joppe formulierte die »Vollkatastrophe«. Bei Altglienicke ging die Mannschaft um Kapitän und neuem Co-Trainer Markus Krug mit einem Zwei-Tore-Vorsprung in die Halbzeitpause und beendete das Spiel mit einer 4 zu 2-Niederlage vor nicht einmal 500 Zuschauern, davon knapp 100 aus Leipzig.
Feindliche Fans
Nach dem Spiel kritisierte Lok-Torwart Benjamin Kirsten in einem MDR-Interview die fehlende Unterstützung der Fans und den rüden Umgangston, der aus der Kurve auf die eigenen Spieler niedergeht. Kirsten ist nicht der einzige Lok-Spieler, den das Verhalten der eigenen Anhänger nervt. Bereits in vorangegangenen Spielen musste sich die Mannschaft Pfiffe und giftige Sprüche vom Spielfeldrand anhören. Unterstützung hört sich anders an. Daher überraschte es nicht, dass Trainer Joppe bei der Presserunde vor dem Spiel gegen den Tabellenletzten Optik Rathenow die Lok-Fans ermahnte und in die Pflicht nahm. Auch wenn Joppe deren Frust »absolut versteht«, weil die vor ein paar Wochen formulierten Ziele – wie im oberen Tabellendrittel mitzuspielen – nicht eintraten, zeigt er sich völlig verständnislos, dass die eigenen Fans nicht einmal 90 Minuten lang ihre Mannschaft anfeuern können. Er sprach von einem »falschen Weg« und von schädlichen Auswirkungen, die Beleidigungen während des Spiels bei der eigenen Mannschaft auslösen. Und dabei bezog er sich nicht einmal auf das letzte Spiel. Joppe vernahm bereits beim Match gegen den Berliner AK bei einer Führung schon Pfiffe und Buh-Rufe. Seiner Meinung nach kann nur eine einhundertprozentige Unterstützung der Anhänger dazu führen, dass man aus der aktuellen Situation gemeinsam herausfindet.
»Der schwerste Gegner sind wir selbst auf dem Platz«
Für Samstag rechnet Geschäftsführer Martin Mieth mit bis zu 2.500 Zuschauern. Ein Sieg ist Pflicht und die Aufgabe ist keinesfalls eine einfache – wie auch die nächsten Gegner: Nordhausen, Hertha II und Oberlausitz Neugersdorf. Das Sachsenpokalspiel gegen Auerbach verspricht ebenfalls kein sorgloses Weiterkommen, obwohl der Pokal als Saisonziel angestrebt wird. »Der schwerste Gegner sind wir selbst auf dem Platz«, erklärt der Trainer. »Leichte Beine und leichte Köpfe« müssen her – dann gelingen die einfachsten Dinge auf dem Platz, so Joppe weiter.
Die Ermittlungen des Staatsschutzes wegen angeblicher Sieg Heil-Rufe der Leipziger Anhänger am letzten Sonntag in Berlin brachte Lok diese Woche mal wieder in die überregionalen Schlagzeilen. Die Vereinsführung dementierte und bemühte dabei das Feindbild Presse. Da scheint sie sich einig mit Fans, die bereits Ende September nach der Niederlage gegen Halberstadt lautstark »Lügenpresse auf die Fresse« skandierten. Irgendjemand scheint immer schuld zu sein. Den wirklichen Gründen über den Absturz von Lok kommt man damit allerdings nicht auf die Schliche.