Angesichts der hohen Zahl an Verfahren zum Angriff rechter Hooligans auf Connewitz setzt das Amtsgericht Leipzig auf Effizienz. Sofern die Angeklagten sich geständig einlassen, wird auf Zeugenbefragungen verzichtet. Mittlerweile findet die Perspektive der Opfer des Angriffs allerdings selbst in schriftlicher Form nur noch bedingt Raum im Verfahren.
»Ihre Einvernahme ist nicht mehr erforderlich.« Diesen Satz haben rund zwei Handvoll Anwohner der Wolfgang-Heinze-Straße in den letzten Wochen und Monaten mehrfach in Schreiben des Amtsgerichts Leipzig lesen dürfen. Sie alle haben den Angriff von rund 250 vermummten und bewaffneten rechten Hooligans und Neonazis unmittelbar beobachtet. Einige mussten mit ansehen, wie ihre Autos zerstört wurden, andere wurden durch Geschosse oder Reizgas verletzt. Die meisten von ihnen haben mittlerweile zumindest einmal vor Gericht ihre Perspektive des Angriffs schildern können.
Zog sich die erste Verhandlung zum »Sturm auf Connewitz« noch über zwei Verhandlungstage, scheint das Amtsgericht Leipzig seitdem auf Effizienz zu setzen. Sofern sich die Angeklagten geständig zur Sache einlassen, erhalten diese gemäß vorab getroffener Verfahrensabsprachen Bewährungsstrafen. Auf die zumeist langwierige Befragung von Zeugen wird verzichtet. Vorher getätigte Aussagen von Polizisten oder geschädigten Anwohnern werden im sogenannten »Selbstleseverfahren« in den Prozess eingebracht: Alle Prozessbeteiligten erhalten die Möglichkeit, besagte Aussagen zur Kenntnis zu nehmen und dies entsprechend in die Bewertung der Ereignisse einfließen zu lassen.
Dass die bisherige Darstellung des »Sturms auf Connewitz« am Amtsgericht Leipzig keineswegs ein vollständiges Bild gab, zeigte sich bereits vor wenigen Wochen. Erst nachdem der kreuzer berichtet hatte, dass ein Anwohner durch ein Rauchgeschoss verletzt wurde und dies den Behörden nachweislich bekannt ist, lud das Amtsgericht ihn als Zeugen. Eine weitere Person, die am Landgericht Dresden berichtete, wie sie mit Pfefferspray attackiert wurde und nur knapp schwereren Verletzungen entkam, hat bis heute aus Leipzig nur die bekannten Abladungen erhalten. Sie befand sich während des Angriffs in einer der Kneipen. Vermummte zerstörten die Scheiben und versuchten erfolglos hineinzugelangen. Anschließend sprühten sie Reizgas durch die kaputte Glasfront. »Wir mussten zu dritt die Tür zuhalten. Wenn das kein Sicherheitsglas gewesen wäre, hätten die uns vermutlich totgeschlagen«, erzählt sie dem kreuzer.
Nun rückt die Perspektive der Opfer des Angriffs in der juristischen Aufarbeitung noch weiter in den Hintergrund. Beim ersten Connewitz-Prozess nach Jugendstrafrecht am Amtsgericht Leipzig zeigte sich Richterin Ludewig ebenfalls dem effizienten Vorgehen verpflichtet: »Anhören müssen wir uns das jetzt nicht, oder?«, richtete sie sich in Bezug auf die Aussagen von Polizeibeamten an die Staatsanwaltschaft. Anschließend stellte sie die Frage in den Raum, ob es nicht ausreiche, sich im Selbstleseverfahren auf die Aussagen der Polizei und die Protokolle der kriminaltechnischen Untersuchungen zu beschränken. Auf zögerlichen Hinweis der Staatsanwaltschaft wurden die Augenzeugenberichte von zwei Anwohnern ebenfalls berücksichtigt.
Nicht ausgewählt wurden die Schilderungen der Personen, die von dem betroffen waren, was die Staatsanwaltschaft gegenüber dem kreuzer als »versuchte und vollendete Körperverletzungshandlungen« bezeichnete. Wurde eine Woche zuvor zumindest noch am Rande erwähnt, dass sich die Gewalt an dem Abend »auch gegen Menschen richtete«, findet sich diese Tatsache nun weder in der öffentlichen Darstellung des Angriffs noch in den Unterlagen zur heutigen Verhandlung.