Zwischen blinkenden Rollern, Nerd-Talk und Hackerkunst gibt sich der Chaos Communication Congress in Leipzig sehr politisch. Bereits am ersten Tag gab es Forderungen nach bedingungslosem Grundeinkommen, besserer Aufklärung rechtsextremer Gewalt und mehr EU-Einsatz für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer.
Direkt am Eingang hängt eine große Fahne, die alle Gäste des Chaos Communication Congress schon beim Reinkommen sehen: »Antifaschistische Aktion«. Und auch wenn sich auf Twitter einige »unpolitische« Besucher darüber aufregen, zeigt sich damit deutlich, in welche Richtung der viertägige Hackerkongress 35c3 des Chaos Computerclubs laufen wird: auf jeden Fall nicht nach rechts.
Denn zwischen all den Hackern, die mit ihren Rechnern in den liebevoll geschmückten Hallen sitzen – Pappraketen glitzern, Plastikpalmen strahlen bunt oder ein großen Berliner Fernsehturm leuchtet in der Dunkelheit – dazwischen also gibt es auf vielen Bühnen nicht nur Wissenschaft für Techniknerds, sondern ein hochpolitisches Programm, wie der erste Tag besonders gut zeigt.
Den Auftakt gibt der britische Ökonom Guy Standing (der amüsanterweise auf der deutschen Version des Programm als »Guy Stehend« angekündigt wird). Standings Thema ist die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich und das daraus entstehende Prekariat, das er in drei Gruppen einteilt: Die abgehängte Arbeiterklasse, die inzwischen sehr empfänglich für rechtspopulistische Meinungen ist, Trump wählt oder für den Brexit stimmt. Die zweite sind Migranten auf der Suche nach einer Heimat und Zukunft und die dritte Gruppe ist auch beim 35c2 zuhauf vertreten: Akademikerinnen und Akademiker, die nach dem Studium keine geile Karriere machen, sondern sich mit prekären Jobs über Wasser halten müssen. Als Lösung sieht Standing das bedingungslose Grundeinkommen. Das hat er in mehreren Pilotprojekten von Indien über Afrika bis nach Kanada ausprobiert – mit positiven Ergebnissen. Zum Beispiel hätten viele Menschen – statt der oft befürchteten Folge, die armen Leute würden ihr plötzliches unverdientes Geld einfach versaufen – angefangen sich besser zu ernähren oder ihre Krankheiten behandeln zu lassen. Standing ruft daher alle auf, das System endlich zu ändern. Und fügt noch an: Seitdem er keiner Lohnarbeit mehr nachgehe, arbeite er deutlich mehr.
Ein anderes politisches Thema auf dem 35c3 ist die Situation auf dem Mittelmeer. Wissensarbeiter Matthias Monroy zeigt auf, wie sich Frontex und andere europäische Grenzbewacher neuer Überwachungssysteme bedienen. Das Grenzüberwachungssystem Eurosur führe inzwischen Aufklärungsdaten von Satelliten, Flugzeugen, Drohnen und bald auch Fesselballons zusammen. Diese Daten, wo sich also gerade Flüchtlingsschiffe befinden, sollen demnächst auch mit Libyen geteilt werden. Was allein schon deswegen problematisch ist, dass Libyen nicht zur EU zählt, und noch viel mehr, weil man die Zustände in den libyschen Lagern kennt, in die die Flüchtlinge zurück gebracht werden.
Zwei Mitglieder der Mare Liberum, einer Organisation für Menschenrechtsbeobachtungen, erzählen zudem von der aktuellen Lage der Seenotrettung auf dem Mittelmeer – derzeit ist wieder ein Schiff mit Flüchtlingen unterwegs, das keinen sicheren Hafen findet – und blicken auf das Jahr 2018 zurück. Ein Jahr, in dem Seeleute vor Gericht standen, weil sie Menschen vorm Ertrinken gerettet hatten, in dem Länder sich weigerten, Schiffe anlegen oder losfahren zu lassen und in dem so lange wirtschaftlicher Druck auf Länder ausgeübt wurde, die unter ihrer Flagge Rettungsschiffe auf dem Meer fahren ließen, bis sie diese Praxis einstellten. Ein Jahr, in dem eine seriöse Zeitung fragte, ob man es nicht lieber lassen sollte, Menschenleben zu retten.
»Refreshing Memories« lautet das Motto des des diesjährigen Kongresses und auch Caro Keller von NSU-Watch blickt zurück. Darauf, dass das letzte, was man beim NSU-Prozess hörte, der Jubel der Neonazis war. Sie blickt zurück auf das Versagen der Polizeibehörden, der Medien und der Zivilgesellschaft, die alle ein Mitschuld tragen. Vom Verfassungsschutz mal ganz abgesehen. Keller verweist darauf, dass alle wachsamer sein sollten, die Opfer bei ihrer Erinnerung und Aufklärung unterstützen können und ein nächstes Mal verhindern können.
Etwa 17.000 Menschen sind bei dem Kongress, der zum zweiten Mal in Leipzig stattfindet und sofort ausverkauft war. Sie fahren mit Rollern durch die Messehallen, manche haben sich auch ein fahrendes Bett oder eine rollende Couch mitgebracht. Sie sitzen im Dunkeln an ihren Rechnern und tauschen sich aus. Sie trinken Mate oder Caipirinha mit Mate. Sie haben krasse Konstruktionen gebaut, wie einen verkehrt herum sitzenden Klavierspieler über der Bar, der wie ein Brainscan aussieht, oder eine Maschine, die in Stöckelschuhen läuft. An jeder Ecke sind neue bizarre Kleinigkeiten zu erkennen.
Doch meistens geht es darum, die Welt besser zu machen. So fragt auch Politologin Anne Roth, die einen Vortrag über digitale Gewalt gegen Frauen hält, ob es hier nicht Leute gebe, die Opfern, Beratungsstellen oder Anwältinnen helfen können, wie sie sich besser gegen Stalking, Spy-Apps oder Identitätsdiebstahl schützen und wehren können. Es gibt sie bestimmt.
Und was machen die Menschenfeinde so im Internet? Miriam Seyffahrt arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer grünen Bundestagsabgeordneten und hat sich die Netzpolitik der AfD genauer angeschaut. Von Netzpolitik könne da ihr zufolge allerdings kaum die Rede sein. Entweder seien die drei Abgeordneten, die für Digitales zuständig sind, der gleichen Meinung wie die anderen, oder sie fänden einen Dreh, statt über Netzpolitik über Flüchtlinge und Zensur zu sprechen. Oder sie sagen: »Internationales ist nicht so unser Ding«. Internationales ist aber nun das Ding des Internets und des 35c3. Wie auch die antifaschistische Aktion.