Die Linke ist seit der Wende die größte Oppositionspartei in Sachsen. Sie müsste ein rot-rot-grünes Bündnis anführen. Warum tut sie es nicht?
Ein Samstagabend Ende November. Die Initiative »Forum Demokratischer Sozialismus« der Linkspartei will in der Leipziger Konsumzentrale über die Potenziale einer rot-rot-grünen Regierung diskutieren. Wie das funktionieren könnte, sollte für alle linken Oppositionsparteien in Sachsen, doch insbesondere für Die Linke eine brennende Frage sein. Schließlich wäre das wohl ihre einzige Chance, jemals in Regierungsverantwortung zu kommen und gestalten zu können. Doch schon die Besetzung des Podiums zeigt: So wichtig nimmt das Thema niemand, auch nicht die Linkspartei. Auf dem Podium sitzen Christin Melcher, die verhältnismäßig frische Landesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen, Daniela Kolbe, Leipziger Bundestagsabgeordnete der SPD, und mit Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei des Freistaats Thüringen, immerhin einer mit Erfahrung in Sachen Rot-Rot-Grün. Aber niemand aus der sächsischen Fraktion redet hier mit. Erstaunlich, denn als größte Oppositionspartei in Sachsen läge es an der Linken, die Debatte zu forcieren, Zielmarken zu setzen, Impulse zu geben für gemeinsame Kampagnen. Nicht zuletzt, um es SPD und Grünen nicht so leicht zu machen, im Zweifelsfall mit der CDU zu koalieren. Doch offenbar ist das Interesse mau. Über freundliche, fast verlegene Interessensbekundungen kommt die Debatte an diesem Abend nicht hinaus.
Ein Traum in Rot-Rot-GrünDer Eindruck täuscht, sagt Tilman Loos. Ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis sei schon immer der Traum der sächsischen Linkspartei bzw. der PDS gewesen. Der 30-jährige Leipziger ist seit über zehn Jahren Parteimitglied, 2014 hat er den Wahlkampf für Juliane Nagel organisiert und scheiterte selbst bei der Wahl als Direktkandidat zur Bundestagswahl 2017 nur knapp an Sören Pellmann. Ein verhältnismäßig frisches unbekanntes Gesicht der Partei. »Ich spüre innerhalb der Partei eine große Sehnsucht danach, dass die Verhältnisse sich ändern«, sagt er, muss aber auch zugeben, dass eine Resignation entstanden sei und viele »nicht mehr mit der gleichen Zuversicht für Rot-Rot-Grün kämpfen wie noch vor einigen Jahren«.
[caption id="attachment_72892" align="alignleft" width="320"] Illustration: Markus Färber[/caption]
Volker Külow formuliert es drastischer: »Rot-Rot-Grün ist für mich ein totes Pferd, auf das man nicht mehr aufsteigen kann und soll.« Man kann sich kaum vorstellen, dass er je diesen Traum geträumt hat. Külow saß bis 2014 für die Linke im Sächsischen Landtag. Jenseits der eigenen Reihen war der Sächsische Landtag für ihn stets Feindesland. Kein anderer steht wie er für den bequemen Grund, warum man nicht mit der Linkspartei (früher noch mit der PDS) zusammenarbeiten möchte und warum das Klima zwischen den traditionell linken Oppositionsparteien seit Jahren vergiftet ist. Külow ist eine Hypothek aus dem alten SED-Regime, ein Mann mit Stasi-Vergangenheit. Als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) berichtete er laut einer von der Birthler-Behörde vorgelegten Akte im Jahr 1989 von einer Studentin, die ein Flugblatt in die Leipziger Universität mitbrachte, mit dem Aktivisten zu einer alternativen Luxemburg-Demonstration aufriefen. Külow zeigte sich zwar zerknirscht, als das öffentlich wurde, beteuerte aber, er hätte niemandem schaden wollen. Das half nicht. Die Fraktionen im Landtag forderten von Külow 2007, sein Mandat niederzulegen. Mit den Stimmen von SPD und Grünen wurde entschieden, Abgeordnetenanklage gegen ihn zu erheben. Das Vorhaben scheiterte später vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof. Indes hatte sich der Landesvorstand der Partei hinter Külow gestellt und beschlossen, dass er in der Fraktion bleiben darf. Denn die Ostlinke war und ist ein Stück weit bis heute eine Schicksalsgemeinschaft. Es sind Leute wie Külow, die es der SPD und den Grünen immer leicht gemacht haben, sich von der PDS bzw. der Linkspartei abzugrenzen.
Doch Külow hat mit den Jahren Macht eingebüßt und auch Akzeptanz in den eigenen Reihen, vor allem in nachfolgenden Generationen, verloren. Auch wegen seines politischen Führungsstils besonders seine Fehden gegen Genossinnen und Genossen, allen voran Juliane Nagel, sind seit Jahren umstritten. Dennoch will es Külow wohl noch mal versuchen, laut parteiinternen Gerüchten hofft er, für die kommende Landtagswahl als Kandidat ins Rennen gehen zu dürfen. Offenbar ohne Visionen. Natürlich müsse man über Alternativen nachdenken, wenn es darum geht, Schwarz-Blau zu verhindern, sagt Külow. »Aber solange die SPD der CDU die Nibelungentreue hält« und auch für 2019 wieder mit der Regierungsbeteiligung liebäugeln würde, führe kein Weg zu Rot-Rot-Grün.
Die AnderenRico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linken im Sächsischen Landtag, singt ein ähnliches Lied. »Wir liegen, was die Zusammenarbeit mit der SPD betrifft, in Sachsen weit zurück. Das hat vor allem mit den Sozialdemokraten zu tun.« Er schiebt die Verantwortung zu den Sozialdemokraten. »Die SPD wäre in den neunziger Jahren gerne mit Kurt Biedenkopf in eine Koalition getreten. Alleine deshalb sieht sich die SPD schon immer in klarer Abgrenzung zu uns«, sagt Gebhardt. Bis heute fehle die Gesprächsbasis, klagt er. Dabei wäre es seine Aufgabe als Oppositionsführer, diese Basis zu schaffen und Impulse für ein Parteienbündnis zu geben. Aber Fehlanzeige, Themen, Ziele und Visionen für einen rot-rot-grünen Wahlkampf hat Gebhardt nicht zu bieten. Immerhin erteilt er der Sammlungsbewegung »Aufstehen« von Sahra Wagenknecht, die er ohnehin für bedeutungslos hält, eine klare Absage. Das Projekt, das über einen migrationskritischen Diskurs eine Linke vereinen will, spaltet nicht nur die Partei, sondern ist auch Hindernis für linke Regierungskoalitionen. Denn warum sollten Grüne und SPD zusammen mit der Linkspartei bei Themen wie Migration die Rechte bedienen, wenn sie das bei der CDU auch haben können?
Juliane Nagel sieht die Schwierigkeiten, »Aufstehen« sei ein vorübergehendes Problem. Sie ist derzeit die erfolgreichste Politikerin der sächsischen Linkspartei. 2014 holt sie das einzige Direktmandat der Linken in Sachsen. Sie sagt, gerade in Sachsen würde die Linke zu wenig für Rot-Rot-Grün tun. »Die Linke muss viel offensiver für Rot-Rot-Grün werben«, fordert Nagel.
Immerhin habe sich die Partei den parteiübergreifenden Dialog mittlerweile selbst verordnet. Auf dem letzten Parteitag der sächsischen Linken wurde ein Antrag beschlossen, der eine Gesprächsoffensive starten soll. Die Linke fordert darin alle Mitglieder auf, Gesprächsangebote an SPD, Grüne und weitere progressive Kräfte in Sachsen zu unterbreiten, um vor allem im Hinblick auf die Landtagswahlen gemeinsame Projekte auszuloten. Wird Zeit, dass mehr Mandatsträger und Parteifunktionäre diesen Beschluss auch ernst nehmen.