Während in der Waffenverbotszone eifrig kontrolliert wird, findet eine Brandserie im
Leipziger Osten wenig Beachtung. Anwohner fühlen sich mit der Gefahr alleingelassen.
Wer hat Angst auf der Eisenbahnstraße? Und vor wem? Diesen Fragen ging der kreuzer im letzten Heft nach. »Ich selbst wohne auf der Eisenbahnstraße und habe Angst. Aber nicht vor Ausländern, Drogen oder Waffen … Sondern, dass plötzlich nachts mein Haus in Flammen steht«, schrieb daraufhin ein Leser und bat darum, sich des Themas anzunehmen. Bald zeichnete sich ab, dass seine Sorge nicht unbegründet ist.
Einsatzprotokolle der Leipziger Feuerwehr, die der kreuzer einsehen konnte, zeigen: Seit Januar 2017 rückte die Feuerwehr 25 Mal mit mindestens zwei Löschzügen in den Bereich Eisenbahnstraße aus, um Brände zu löschen, die in Treppenhäusern und Kellern von Wohnhäusern oder in leer stehenden Gebäuden entfacht wurden und nicht auf technische Defekte oder Fahrlässigkeit zurückgeführt werden konnten.
Im Jahr 2018 waren es bereits 19 solcher Einsätze. Allein in der ersten Dezemberwoche wurden viermal Kinderwagen in Treppenhäusern von Mehrfamilienhäusern in Brand gesteckt. Auf eine offizielle Anfrage, ob die Feuerwehr rund um die Eisenbahnstraße eine besondere Häufung derartiger Brände im Vergleich zum restlichen Stadtgebiet bestätigen kann, heißt es aber lediglich: »Die Branddirektion nimmt weder eine quantitative noch qualitative Auswertung von Brandeinsätzen nach Stadtteilen oder gar Straßen vor. Die Ermittlung der Brandursachen ist eine Aufgabe der Polizei.«
Die Leipziger Polizei spricht auf Nachfrage von einer »rückläufigen Tendenz« für die Stadtteile Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld, wobei für 2018 noch keine Daten vorliegen würden. Im Vorjahr erfasste die Polizei in den beiden Stadtteilen laut Auskunft elf Fälle von diversen Formen der Brandstiftung und des »Herbeiführens einer Brandgefahr«. Diese Zahl umfasst nicht nur Wohnhausbrände, sondern etwa auch angezündete Autos oder Mülltonnen. »Auf einzelne Tatbestandsmerkmale eingegrenzte Recherchen lassen sich leider nicht leisten, weil das genutzte Programm einst vorrangig zu Zwecken der Statistikerstellung geschaffen wurde und kein wirkliches Recherchetool ist«, berichtet die Leipziger Polizei. Im Zuge der Recherche klingt immer wieder an, dass weder Polizei noch Feuerwehr technisch in der Lage seien, ein fundiertes Gesamtbild über die Situation im Leipziger Osten zu liefern. Polizeisprecher Andreas Loepki teilt dem kreuzer schriftlich mit, er könne diesbezüglich nur seine »Subjektive« anbieten, die eine »Mehrung bezogen auf das übrige Stadtgebiet« anzeige. Zudem meine er, »in einem Beitrag gelesen/gehört zu haben«, dass auch die Feuerwehr sich entsprechend geäußert habe. Dabei wird anscheinend längst nicht jeder möglicherweise mutwillig gelegte Brand von der Polizei auch als strafrechtlich relevant eingestuft und abgespeichert.
Am 26. November fürchteten die Bewohner der Eisenbahnstraße 115 um ihr Leben, als das Treppenhaus des Gebäudes in Flammen stand. Die Feuerwehr rettete mit Drehleitern zahlreiche Mieter aus ihren Wohnungen, zwei Bewohner mussten sich mit dem Sprung in ein Rettungspolster in Sicherheit bringen. Schnell wurde öffentlich darauf hingewiesen, dass es in dem Gebäude bereits knapp ein Jahr zuvor zu einem verheerenden Brand kam. Die Recherche des kreuzer zeigt: Auch im Nachbargebäude, Eisenbahnstraße 113, war die Feuerwehr mehrfach im Einsatz. Dies wurde laut Polizeisprecher Loepki stets als »Sonstiger Vorgang« gespeichert und nicht als »Brandstiftung« oder »Herbeiführen einer Brandgefahr«. In dem leer stehenden Wohnhaus Nummer 113, das als Rückzugsort für Drogenkonsumenten genutzt wird, habe »nur wertloser Unrat« gebrannt. Mehr als die Hälfte der vom kreuzer zusammengetragenen Brände werden nicht in den offiziellen Pressemeldungen der Polizei erwähnt.
Der Anwohner Matthias Meister zeigt sich entsetzt darüber, dass in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, wie oft es im Leipziger Osten brennt. »Jede Kleinigkeit wird in der LVZ hochgeschrieben, aber so eine akute Gefahr wird nicht thematisiert.« Er und seine Nachbarn fühlen sich von der Polizei alleingelassen, mittlerweile haben sie selbst Sicherheitsmaßnahmen ergriffen: »Wir kontrollieren gemeinsam, dass niemand ins Haus kommt, und auf allen Stockwerken stehen jetzt Feuerlöscher im Treppenhaus.« Eindrücklich schildert er, wie er im März 2018 nur hilflos zuschauen konnte, als seine Nachbarn in einem Wohnhaus auf der Wurzner Straße auf den Balkonen um ihr Leben schrien, während die Flammen bereits aus dem Dachstuhl schlugen. Eine Bewohnerin konnte später nur noch tot aus dem Haus geborgen werden. Wie in der Eisenbahnstraße 115 hatte es auch in der Wurzner vorher bereits im Nachbargebäude gebrannt.
Wenige Tage nach dem Brand wird ein Bewohner des Hauses verhaftet, weil er das Feuer im Treppenhaus gelegt und zudem alle Fluchtwege verbarrikadiert haben soll. Im Sommer entlassen ihn die Behörden aus der Untersuchungshaft, weil sich der »dringende Tatverdacht nicht bestätigt« habe. Ob er weiterhin als tatverdächtig gilt, beantwortet die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht. Auch nach den Bränden in der Eisenbahnstraße 115 wurde am 5. Dezember eine Frau in Untersuchungshaft genommen, die selbst in dem Haus gewohnt hat. Doch schon am nächsten Tag gehen wieder Kinderwagen in Treppenhäusern in Flammen auf: Am Nikolaus-Abend in der Mariannenstraße und der Neustädter Straße, am Folgetag erneut in der Neustädter Straße. Die Frage nach potenziellen Zusammenhängen bei den aktuellen Bränden beantwortet die Polizei mit einem »klaren Jein« (Loepki).
»Wer hinter den Bränden steckt? Keine Ahnung. Ein Verrückter? Oder mehrere?«, rätselt Matthias Meister. Auch andere Anwohner sind ratlos. Dass es sich um einen einzigen Serientäter handelt, der seit Monaten zündelnd durch den Osten Leipzigs zieht und immer wieder geschickt der Polizei entkommt, während andere für seine Taten festgenommen werden, scheint wenig plausibel. An eine politische Motivation glaubt Matthias mittlerweile nicht mehr. Anfangs habe er »mit dem NSU im Hinterkopf« auch rechte Brandstifter in Betracht gezogen. In Artikeln über angezündete Häuser wird immer wieder betont, diese seien mehrheitlich von Ausländern bewohnt.
Die Eisenbahnstraße wird regelmäßig zum sozialen Brennpunkt und Kriminalitätsschwerpunkt erklärt. Eine Brandserie im Leipziger Osten scheint für die Behörden jedoch kein Thema zu sein.
Bereits seit der Jahrtausendwende haben Ordnungsamt und Polizei ihre Präsenz im Leipziger Osten intensiviert, immer wieder richtete die Polizei Kontrollbereiche in der Eisenbahnstraße ein. Seit wenigen Wochen ist dort die erste »Waffenverbotszone« Sachsens ausgeschildert. Mit dem Verbot von Waffen und gefährlichen Gegenständen will man für Sicherheit sorgen. »Aber was bedeutet Sicherheit angesichts konkreter Gefahren, die anscheinend keinen interessieren?«, fragt Anwohner Matthias Meister. Auch der jüngste Brandfall, bei dem die Flammen aus einem entzündeten Kinderwagen bereits auf Hauseingang und Treppe übergegriffen hatten, findet sich nicht in der öffentlichen Pressemeldung der Leipziger Polizei. Diese informiert zu jenem Tag stattdessen über einen »Streit um den letzten Baumstriezel« auf dem Weihnachtsmarkt.