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Kultur

»Dahinter brennt es schon wieder«

So war der diesjährige Winterrundgang auf dem Spinnereigelände

  »Dahinter brennt es schon wieder« | So war der diesjährige Winterrundgang auf dem Spinnereigelände

Vorab sprach wenig für einen Besuch des Winterrundgangs auf dem Spinnereigelände am nasskalten Sonnabend. Im Programm fehlten größere kuratierte Ausstellungen, wie man sie mit Glück in Halle 14 und der Werkschauhalle erwarten darf. Was blieb, war das vermeintliche Klein-Klein der dreizehn Galerien, dazu die Atelierprogramme, offenen Räume, Heißgetränke an Feuerschalen. Doch fand sich, bei überraschend hohem Besucherandrang, erstaunlich spannende Kunst.

Schon als Kind habe sie nie verstanden, warum Zauberer auf der Bühne Frauen zersägten, und vor allem nicht, warum das Publikum zuschaue, ohne einzuschreiten, erzählt Angelika Waniek den Gästen in ihrem Atelier in Halle 14. Unklar auch, warum nicht reichlich Blut spritze. »Wenn schon Splatter, dann richtig!« Die Künstlerin, deren bevorzugtes Medium narrative Sprache ist, hat den Trick »Die zersägte Frau« zum Titel einer eigenen Performance gemacht, zu sehen noch am 18. und 19. Januar in der Schaubühne Lindenfels. Darin spritzt zwar ebenfalls kein Blut, dafür hinterfragt Waniek, auf Biografisches und Bühnenobjekte von Doris Dziersk zurückgreifend, Körperrollen.

[caption id="attachment_73236" align="alignleft" width="320"] Foto: H. Pupat[/caption]

Anlass über Geschlechterverhältnisse in der Kunst nachzudenken, bietet dieser Rundgang erneut reichlich. In den kommerziellen Galerien stehen elf Künstler drei Künstlerinnen gegenüber, Quote knapp drei zu eins. In den nichtkommerziellen oder progressiveren Räumen kehrt sich dies mehr als um. Der »Intershop interdisziplinaire« lädt zur Finissage eines Künstlerinnenaustauschs zwischen der polnischen Stadt Poznań und Leipzig, »a room that…« heißt zur Gruppenausstellung mit vier Künstlerinnen willkommen und das internationale Atelierprogramm LIA präsentierte sieben Künstlerinnen.

Behütet Kapitalismus proben?Während die einstige Attraktion des Geländes, die Galerie Eigen + Art, sich einmal mehr zu sehr der »Entspannung« hingibt, birgt das abseits Gelegene Entdeckungen. Dazu zählt Vibeke Frost Andersens berührendes Video bei LIA, das den äthiopischen Künstler Kebreab Demeke auf Lampedusa auf der Suche nach Geflüchteten begleitet, ebenso wie Gisèle Gonons Installation »Work with us« bei »a room that…«, welche sich mit anmaßender Unternehmenskultur auseinandersetzt. Jalousien öffnen und schließen sich, geben Sprüche frei wie »You want to be a part of our story of sucess?«. In Halle 14, welche unter der Vorgabe, dem Gemeinbedarf zu dienen, mit öffentlichen Geldern saniert wurde, ist diese Arbeit am rechten Ort. Denn längst ist hier ein »Startup-Accelerator« eingezogen, in dem der Wirtschaftsnachwuchs behütet Kapitalismus proben kann, »flexible & highly motivated«, jedoch gewiss am Gemeinbedarf vorbei.

[caption id="attachment_73238" align="alignright" width="320"] Foto: H. Pupat[/caption]

Da liegt der Rückzug ins Intime nahe, etwa zu den Akttableaus von Verena Winkelmann im b2_ oder zu den Beziehungsstrukturen nachspürenden Keramikarbeiten von Monika Gabruschnigg bei Reiter. Womöglich ist es auch Zeit für Katastrophenbilder. Dann – nicht nur dann – empfiehlt sich ein Besuch der Ausstellung »Victory Memorial« von Marcin Cienski in der Galerie Jochen Hempel. Der in den USA lebende Maler konterkariert den lieblichen, ländlichen, trügerischen Frieden seiner Heimat, indem er beiläufig Farmen in Rauch aufgehen oder Meteoriten hinabstürzen lässt. Trefflicher Besucherkommentar: »Dahinter brennt es schon wieder«. Wobei die fotorealistische Darstellung eines Kindes im Vordergrund auch nicht ohne Brüche ist. Wehrt es mit den Händen wirklich nur Sonnenlicht ab, oder deuten sich hier noch ganz andere Dramen an?

 

Lust an der IllusionPublikumsmagnet ist, zu recht, die Ausstellung des in Leipzig lebenden Iren Ian Cumberland in der Galerie Josef Filipp. Er malt fotorealistisch und bettet seine Bilder sodann in Installationen ein. Das schwarze Loch etwa, in dem auf mehreren Leinwänden Arme verschwinden, tut sich am Ende der Ausstellung tatsächlich in einer Wand auf. Zuvor greifen bereits Teppiche und Parkett auf Leinwände über, es überlagern sich Realität und Malerei. Die zersägte Frau findet sich zwar nicht, aber einige Darstellungen scheinen nicht allzu weit davon entfernt zu sein. Lust an der Illusion liegt in der Luft.Einen packenden Kontrast dazu bilden die »Monumentalbilder« von Dashdemed Sampil im Archiv Massiv. Der aus der Mongolei stammende, in Nürnberg lebende Künstler präsentiert figürliche Großformate, roh und kraftvoll gemalt, unter anderem mit Mörtel auf Gipskarton, abgestellt auf Mauersteinen.

Auch diesmal lohnt der Weg von der Spinnerei zum Kirowwerk, wo die Galerie von Marcus Ritter großformatige grafische Papierarbeiten des Briten Rupert Goldsworthy zeigt, durchaus mit Ortsbezug, und Halle 9 eine aufwändige Videoarbeit von Philipp Lachenmann präsentiert. Der Medienkünstler ließ für seinen zwölfminütigen Film »DELPHI Rationale« einen indischen Musiker vor dem einschüchternde Rund eines Teilchendetektors am CERN in Genf aufspielen. Die Lautenklänge seiner Sarod überlagern sich mit digital hinzugefügten Farbspielen in den Leitungen des Detektors, eine meditative Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft und Spiritualität, Ästhetik und Funktionalität.


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