Gleich zwei Leipziger Theater widmen sich in diesem Frühjahr dem jungen Widerstand während des Dritten Reichs und nehmen dabei die Leipziger Meuten in den Blick. Diese Woche geht es los.
Sascha Lange ist schuld. Sein unermüdliches Forschen und Publizieren rückte die Leipziger Meuten ins heutige Bewusstsein. Nach der Dissertation (s. logbuch 2011) veröffentlichte er populärere Texte über diese Jugendgruppen, die keinen Bock auf Gleichschaltung hatten und der Hitlerjugend eine helfende Hand auf den Hinterkopf mitgaben. Die über die Stadt verteilten Cliquen leisteten keinen Widerstand à la Rote Kapelle oder Weiße Rose. Aber sie waren widerborstig, folgten einem Freiheitsdrang und, ja: hatten Haltung. Keine kleine Leistung in einer Zeit, als viele begeistert im NS-Gleichschritt folgten. Johannes Herwig, Absolvent des Literaturinstituts, wurde dadurch aufs Meuten-Thema aufmerksam und verarbeitete es im Roman »Bis die Sterne zittern« (kreuzer 08/2017). An den Leipziger Meuten kam keiner mehr vorbei und nun erobern sie die Bühnen. Im Januar verarbeitet das Schauspiel das Thema, im März zieht das Theater der Jungen Welt (TdJW) nach.
»Wir haben das Gefühl, dass es immer wichtiger wird, sich zu positionieren«, sagt TdJW-Regisseurin Caroline Mährlein. »Und zu überlegen, wann man wie in Widerstand tritt und was Widerstand eigentlich bedeuten kann. Aufgrund lokaler Nähe und weil die Meutenmitglieder teilweise im Alter vieler Spieler in unseren Theaterclubs sind, drängte sich dieser Stoff nahezu auf.« Das Stück »Teenage-Widerstand« wird sich dem Thema nicht nur historisch annähern. Es geht zum Beispiel auch um Schülerproteste in den USA gegen zu lasche Waffengesetze, das Streiten gegen die Taliban von Malala Yousafzai in Pakistan. »Die 15 jugendlichen Spieler setzen sich mit dem Thema Protest und ihrer Haltung zur Welt auseinander. Das muss nicht zwingend die große Revolution sein. Protest heißt auch, sich eine kritische Meinung zu bilden und seiner Stimme Gehör zu verschaffen – im Privaten wie darüber hinaus. Wie komme ich dazu, mich aus meiner Komfortzone herauszubewegen?« Insgesamt arbeiten die Jugendlichen sechs Monate an der Inszenierung, die im Wesentlichen durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart entsteht. »Gestapo-Berichte und Interview-Ausschnitte von Meuten-Mitgliedern werden fragmentarisch mit eigenen Texten, Musik und Tanz verwoben sein«, so Mährlein.
Am Schauspiel verzahnt Armin Petras die Meuten mit Hans Falladas »Jeder stirbt für sich allein«. »Im Roman sind Entwicklungen enthalten«, sagt der Regisseur, »die in den letzten Jahren extrem sichtbar geworden sind. Ich formuliere mal vorsichtig: Dass die offene Gesellschaft von Teilen dieser Gesellschaft in Frage gestellt wird.« Auch hier dienen die Meuten als historische Folie für die Gegenwartsbetrachtung. »Es geht uns um die Konstellation heute, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn, den USA oder Russland.« Petras und das Ensemble – auch sie erarbeiten die Inszenierung gemeinsam – wollen über die Gesellschaft und die Gefahr des Faschismus nachdenken. »Mich interessiert, was das für ein politisches und soziales Phänomen ist. Was sind die Ursachen für faschistisches Verhalten? Und dann finde ich es eine reizvolle Idee, das Verhalten zweier älterer Menschen, die gegen das System aufbegehren, parallel zu dem der sehr viel jüngeren Mitglieder der Meuten zu zeigen – also die Gegenüberstellung zweier Generationen auf ihrer Suche nach Selbstbestimmung.«
Historiker Sascha Lange ist nicht nur an allem schuld, sondern auch an beiden Produktionen als wissenschaftlicher Berater beteiligt. Was man von ihnen lernen könne, erklärt er im kreuzer-Gespräch: »Konkret für die oppositionellen Jugendcliquen wird klar, dass man jugendtypisches Alltagsleben nicht in eine Massenorganisation pressen kann, dass der jugendliche Eigensinn immer stärker sein wird. Nicht von allen, aber auch nicht nur von ein paar Dutzend. Und dass man auch unter widrigen Umständen seine Freiräume behaupten und seinem Gewissen folgen kann.«