Einsen und Nullen bilden das Fundament der Gegenwart. Mit dem Buch »Am Anfang war die Information« kratzt kreuzer-Autor Robert Feustel am Lack dieser Überzeugung. Dienstag wird er es in Leipzig vorstellen. Im freundschaftlichen Gespräch dämpft er die Hoffnungen der Digitalisierung und warnt vor der Einebnung des Unterschieds von Menschen und Maschine.
kreuzer: Information ist in aller Munde, warum auch noch ein Buch darüber schreiben?ROBERT FEUSTEL: Der Begriff ist selbstverständlich, aber gleichzeitig so allgemein, dass es keine Definition gibt. Information ist alles und nichts. Das ist nicht unproblematisch. Den Begriff gibt es schon länger, er wird aber seit den 1940/50ern exorbitant verwendet. Die Informationstheorie erklärte nicht nur, warum Rechenmaschinen funktionieren. Sich die Welt als zirkulierende Informationen vorzustellen, löste auch ein wissensgeschichtliches Problem: die Fiktion des entropischen Untergangs, des Kältetods.
kreuzer: Wir werden alle sterben?FEUSTEL: So ungefähr. Die Thermodynamik des 19. Jahrhunderts hatte ein Denken der Endlichkeit aller Energie bestimmt, das zugleich ein Endzeitszenario aufmacht. Nach dem Motto: Wir sind Schiffbrüchige auf einem dem Untergang geweihten Planeten. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Demgegenüber war die Information als alles erklärendes Prinzip verheißungsvoll, ohne dass der Begriff bis heute halbwegs klar bestimmt wäre.
kreuzer: Wie selbst die Medienwissenschaft nicht genau weiß, was ein Medium ist oder nicht ist, ist das mit der Information?FEUSTEL: Ja. Es gibt natürlich Kritiker und die Debatte ist gar nicht so neu, wie wir glauben. Vor 50, 60 Jahren lief sie noch unter dem Schlagwort Kybernetik. Dort war die Information schon wesentlich, weil sie es ist, die in den kybernetischen Systemen zirkulieren muss.
kreuzer: Ein typisches Beispiel war damals der Thermostat, der zwischen Ist- und Wunschtemperatur vergleicht und entsprechend reagiert...FEUSTEL: Die Kybernetik basiert auf einem Rücklauf von Informationen, daher kommt das in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangene Wort Feedback. Hier steckt schon die Information als vermeintlich objektive Tatsache, als unstoffliches Zentrum, als substanzlose Substanz, etwas, was man nicht wirklich greifen kann, was aber eigentlich alles strukturiert. Gibt es Kritik am Begriff Digitalisierung, an überzogenen Vorstellungen, dass uns die Technik retten wird, so ist das beim Begriff Information viel seltener. Er wird von allen geteilt, ist eine Art Subtanz des Wissens, die man nicht austreiben kann. »Information is key« hieß es kürzlich bei einem Workshop zur Diskussionskultur in sozialen Medien. Und das sei die »take home message«. Aber was Information sein soll, blieb völlig unklar.
kreuzer: Der Begriff ist mit Bedeutung aufgeladen, wie die Technikgeschichte voll ist mit Bildern des menschlichen Körpers: Computer wurden den Nutzern als menschliche Hirne plausibel gemacht, bis man das Hirn heute bloß als Rechenapparat deutet. Woher resultiert das?FEUSTEL: Wann immer technische oder physikalische Theorien und Modelle anfangen, philosophisch zu werden und die Welt erklären wollen, müssen sie auf Begriffe zurückgreifen, die sie nicht verstehen. Sie verlassen den Bereich, den sie mit ihren Mitteln beschreiben können und fangen an, komische Sachen zu erzählen. Man hat dieses einfache Prinzip der Digits, also Strom an und Strom aus, und plötzlich scheint alles über die Unterscheidung von 0/1 abbildbar zu sein. Es ist ja nicht zu leugnen, dass sich die Computertechnik unglaublich entwickelt hat. Aber hier entsteht erst im Nachgang ein theoretischer Zusammenhang, der von den funktionierenden Maschinen zur Weltbeschreibung anhebt. Wie nach dem Bau der Dampfmaschine sich die Thermodynamik auf vielen Feldern Geltung verschaffte, greift die Informationstheorie plötzlich auf alles Mögliche über. Die Menschenbilder sind durchsetzt von Metaphern aus der Welt der Rechner. Wie oft hört man, dass wir unsere Hardware im Hirn besser trainieren müssen, mal abschalten, in den Standby-Modus gehen etc.
kreuzer: … Burnout, dass man seine Energie aufladen soll ...FEUSTEL: Gegenwärtig zirkulieren unzählige Begriffe, die eigentlich für Maschinen da sind. Die Reduktion des Menschen auf einen rechnenden Apparat lässt sich an vielen Stellen beobachten. Das hat gravierende Auswirkungen. Wenn zum Beispiel die ethische Grundlage ein bestimmtes Verfahren ist, das funktioniert, wenn berechenbar sein muss, was richtig ist, dann gehen die Dinge durcheinander.
kreuzer: Beim automatisierten Fahren sollen Rechner entscheiden, Prozente und Wahrscheinlichkeiten ersetzen Ethik?FEUSTEL: Da sieht man es deutlich, ja. An vielen Stellen gibt es schon so ein Denken, dass allein die Menge der vermeintlich objektiven und verrechneten Informationen das ethische Maß abbildet. Ein Zitat eines SPD-Politikers verdeutlicht das: »Wenn eine Partei bei Wahlen Stimmen verloren hat, hat sie etwas falsch gemacht.« Das Register von richtig und falsch wird überblendet mit mehr oder weniger. Es geht nicht mehr um Inhalte und politische Überzeugungen, sondern Prozente. Böse zugespitzt: Haben die Nationalsozialisten alles richtig gemacht, weil ihnen eine deutliche Mehrheit zugestimmt hat?
kreuzer: Hat die Informationsgläubigkeit auch Auswirkungen auf den Wahrheitsbegriff?FEUSTEL: Der Unterschied zwischen Tatsache und Gerücht wird letztlich aufgehoben. Wenn die ganze Welt in in Echtzeit zirkulierenden Informationen abgebildet wird, sind Tatsache und Gerücht gleichwertig. Denn zunächst wird alles gestreut, ist also auch das Gerücht erst einmal eine Information. Sie ist vielleicht falsch, aber sie zirkuliert und hat Effekte. Das sieht man deutlich bei Donald Trump: Die gestreute Information hat unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt einen Effekt. Ob ein Tweet etwa stimmt oder nicht, stellt sich zumeist erst später heraus. Dann ist die Information aber schon in der Welt. Wenn ich drei Tage später sage, dass XY gelogen hat, interessiert das niemanden mehr. Maschinenlogisch gibt es den Unterschied zwischen Tatsache oder Wahrheit und Gerücht nicht, Hauptsache es lässt sich prozessieren. Mit diesem Blick auf die Welt ist alles okay, solange die Informationen oder Daten verrechnet werden können.
kreuzer: In der Information scheinen quasireligiöse Züge auf, alle glauben an sie, obwohl es für sie keinen Gottesbeweis gibt?FEUSTEL: Der Informationsbegriff steht hinter den ganzen Debatten stabil da, auch wenn er nicht begründet und erklärt wird, so etwa wie der Heilige Geist. Das Religiöse wird noch deutlicher in der Vorstellung, dass wir das Bewusstsein einmal in die Maschinen hochladen und das Leibliche überschreiten können, oder dass wir den menschlichen Geist und seine Intelligenz elektronisch nachbauen können. Denn damit würden wir ein Stück weit Gottes Werk reproduzieren. Da spukt auch die Idee herum, dass die Information als eine Art Ursubstanz die Letztbegründung liefert.
kreuzer: Die Weltformel, auf die alles zurückzuführen ist?FEUSTEL: Ja, es gibt Ansätze, daraus die Stofflichkeit zu erklären. Alles Materielle erscheint dann nur als Ausdruck bestimmter Schaltlogiken. Dann heißt es, dass alles, was im Universum existiert, nur ein Arrangement von Informationen ist. Das Materielle ist nur ein Ausdruck bestimmter Informationskonstellationen. Das ist schon etwas abenteuerlich, aber wirkungsvoll.
kreuzer: Klingt nach einem neuen Leib-Seele-Dualismus. Bestimmt das auch diese Selbstoptimierungsbewegung, die sich von Geräten vorschreiben lassen, wie viele Schritte sie noch tun müssen etc.?FEUSTEL: Quantified Self heißt die Bewegung. Menschen holen über Apparate wie die Apple Watch möglichst viele Daten ihre Körpers ein, damit sie optimal leben können, etwa wann ihre beste Schlafphase ist. Mittlerweile gibt es den Krankheitsbefund der Orthosomnie: Der Zwangsmechanismus, jetzt schlafen zu müssen, weil es optimal wäre, hält Leute vom Schlafen ab, was eigentlich wenig überraschend ist. Die Vermessung des Menschen mit digitalen Mitteln hat schräge Züge angenommen.
kreuzer: Wie viel Heilsversprechen steckt in der Informationstheorie?FEUSTEL: Das kommt in Wellen. In den 1990ern feierte man das Internet als Überwinder der Materie, es gab fulminante Demokratisierungsversprechen, das Reich der Freiheit sei bald da, weil alle über alle Informationen verfügen werden. Zeitgleich wachsen aber dystopische Erzählungen, in denen die Maschinen uns alsbald restlos kontrolliert werden. Big Data wird genauso gefeiert wie verdammt. Das Interessante ist, dass Utopien und Dystopie sehr ähnlich sind. Beide leben von der Vorstellung, dass Mensch und Maschine nur graduell unterschiedlich sind, also eigentlich auf die gleiche Weise funktionieren. Weil das nicht stimmt, können wir uns entspannen: Weder steht das digitale Himmelreich unmittelbar bevor, noch droht die totale Kontrolle und Herrschaft der Maschinen, also die »smarte Diktatur«, wie es Harald Welzer reißerisch genannt hat. Nicht die Technik überwacht uns, es sind Menschen und Staaten, die das tun. Außerdem sind alle Fiktionen superschlauer Maschinen bisher immer nur das gewesen: Fiktionen. Seit den 1950er-Jahren heißt es, dass in fünf bis zehn Jahren die Rechner intelligent und damit irgendwie menschlich sein werden. Warten wir es ab. Aber ich nehme an, dass es in fünf heißen wird: »Noch fünf bis zehn Jahre«.
kreuzer: Ein paar zusammengespannte Drähte und eine Software machen noch kein neuronales Netz...?FEUSTEL: Genau, auch wenn die Dinge sich unglaublich entwickelt haben. Der Unterschied zwischen Syntax und Semantik, also zwischen Berechnen und Verstehen, ist substantiell. Egal wie schnell und gut Computer rechnen, sie werden vermutlich nie verstehen, warum sie etwas tun. Sie werden schon Schwierigkeiten haben, diese Frage zu stellen. Sie können noch so viele Daten prozessieren und wissen dennoch nicht, was es bedeutet. Egal wie schnell es ist, das reine Prozessieren wird den Unterschied zwischen Gedanke, Gefühl, Ahnung oder Instinkt nicht wegrechnen können.
Offenlegung: Robert Feustel und Tobias Prüwer haben zusammen ein Buch geschrieben und verstehen sich auch sonst recht prächtig.