Ruhig und beschaulich – diese Worte beschreiben das heutige Weimar ebenso trefflich wie das Weimar vor hundert Jahren. In der Klassikerstadt ticken die
Uhren anders als zum Beispiel im turbulenten Berlin. Dies ist einer der Gründe, warum gerade Weimar zu dem Ort erkoren wird, von dem aus die erste deutsche
Demokratie ihren Anfang nehmen soll.
1918: Der Erste Weltkrieg ist verloren, der Kaiser getürmt. Das Deutsche Reich blickt auf seinen Ruin. Wie weiter? Im Zuge der Novemberrevolution wird die Forderung nach einer Nationalversammlung laut, einem Gremium, das über die künftige Staatsform entscheiden soll. Unmöglich scheint allerdings die Zusammenkunft in Berlin. Nicht nur, weil der Stadt die alte, mittlerweile ungeliebte
Monarchie anhaftet, sondern auch, weil revolutionäre Bewegungen und Gewalt es unmöglich machen, in Berlin zu regieren.So erhält ein Beamter des Innenministeriums den Auftrag, das Land zu bereisen und einen Tagungsort ausfindig zu machen. Möglichkeiten gibt es viele, darunter Nürnberg, Bayreuth, Jena und Weimar. Nüchtern werden Vor- und Nachteile der jeweiligen Städte dokumentiert, schließlich geht es darum, eine reibungslose Versammlung mit einigen Hundert Menschen durchzuführen. Dass das dortige Theater fest montierte Sitze hat, die während einer Versammlung keine störenden Geräusche verursachen, wird als ein praktischer Vorteil aufgeführt, der für Weimar spricht. Doch natürlich geht es um mehr: Weimar ist – zu jenem Zeitpunkt jedenfalls – politisch nicht belastet. Vielleicht, so wird gehofft, könnte die Wahl der Klassikerstadt ein außenpolitisches Zeichen setzen und die Friedensbedingungen verbessern. »Von Berlin geflüchtet, haben wir hier eine
sichere Stätte gefunden«, so drückte es der spätere Präsident der Nationalversammlung aus, Zentrumspolitiker Konstantin Fehrenbach. Ruhe und Ordnung wollen die Berliner hier finden. Dieser Wunsch wird untermauert durch siebentausend Freikorpssoldaten, die die Stadt während der Zeit der Nationalversammlung absichern.Nach den Wahlen im Januar kommen auf das kleine Städtchen Weimar anstrengende Zeiten zu. Zweitausend Menschen strömen im Februar 1919 nach Weimar, darunter mehr als vierhundert Abgeordnete der Nationalversammlung, tausend Reichs- und Landesbedienstete sowie vierhundert deutsche und ausländische Journalisten. Das ist weit mehr, als alle Herbergen in Weimar fassen können. Die Weimarer helfen gern und bieten Privatzimmer zur Vermietung an – nicht ganz uneigennützig: Als Lohn winken Extra-Einheiten Kohle, die den besonders harten Winter 1919 erträglicher machen.Ohne Pathos läutet Reichspräsident Friedrich Ebert seine Eröffnungsrede am 6. Februar 1919 im Deutschen Nationaltheater ein: »Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum ersten Mal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen.« Es ist ein Novum in Deutschland: Frauen dürfen von nun an wählen und politische Ämter bekleiden. Unter den gewählten 421 Abgeordneten der Nationalversammlung sind immerhin 37 Frauen. Vor den Politikerinnen und Politikern liegen in den kommenden 197 Tagen – so lange wird in Weimar getagt – große Aufgaben, die schließlich in die Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands münden.