Wichtig oder maßlos überbewertet? Bezüglich Yoko Ono sind die Standpunkte erfreulich klar. Ein Teil der Kunstwelt schätzt sie sehr, ein anderer lehnt sie ab. Dazwischen gibt es wenig. Ein Museum, das sich 2019 mit dem Werk der 86-Jährigen befasst, täte gut daran, die Künstlerin durch Vermittlung und Kontextualisierung angemessen zu verorten. Was war das für eine Zeit, die Yoko Ono prägte, und welche Prägungen gingen seither von Ono selbst aus für die Kunst und darüber hinaus?
Das Museum der bildenden Künste hält sich mit solchen Anstrengungen nicht lange auf, betreibt stattdessen lieber Personenkult, etwa medientauglich verpackt als Anekdoten vom Küchentisch im Dakota Building. Dabei ist Yoko Ono eine Künstlerin, die sich gern zurücknimmt. Ihr Œuvre besteht überwiegend aus Anweisungen, nicht aus Meisterwerken. 1971 sprach sie sich gegen Kollegen aus, die für »große Skulpturbrocken« Geld und Raum verschwendeten, während Menschen verhungern oder »nicht genügend Platz zum Schlafen oder Atmen haben«. Die pointierte Ideenkunst Onos, die sich oft jeder Realisierbarkeit entzieht (»Schau die Sonne an, bis sie viereckig wird.« – »Sun Piece« 1962), dafür in jedem aufgeschlossenen Geist eine potenzielle Behausung findet, mag eine Antwort auf den kunstbetriebstypischen »Narzissmus« sein. Dass Ono zuletzt auf die Bitten aus Leipzig, zur Eröffnung anzureisen, nicht mal mehr reagierte, lässt sich auf vielerlei Weise deuten. Auch so, dass ihr das Rampenlicht nicht gefiel. Noch während der Eröffnung am 3. April hatte das Museum gehofft, Ono trete unvermittelt durch die Tür, doch sie zeigte sich nicht.
Der Katalog soll auf einordnende Texte verzichten
Für Museumsdirektor Alfred Weidinger steht dennoch fest, dass sie kommen wird: »Sie möchte diese Ausstellung unbedingt sehen, weil es für sie am Ende auch ein Herzenswunsch geworden ist.« Kurator Jon Hendricks pflichtet ihm bei. Doch wenn das stimmt, hat Ono eine extrem seltsame Art, ihre Herzenswünsche auszudrücken. Noch am Tag vor der Eröffnung gratulierte sie auf Twitter und Facebook der Umweltaktivisten Greta Thunberg zum Prix Liberté. Ihre Leipziger Ausstellung »Peace is Power« hingegen erwähnte sie mit keinem Post. Das irritiert, auch wenn ihr engster Vertrauter, Kurator Hendricks, beteuert, dass er Onos Werk nie besser installiert habe als im Museum der bildenden Künste. Geradezu »unglaublich« sei es. Genau dieses Wort, »incredible«, nutzte Ono übrigens angesichts ihrer mit rund 200 Werken bislang wohl umfangreichsten Retrospektive in Deutschland, 2013 in der Schirn in Frankfurt. Während Alfred Weidinger bereits ankündigte, dass ihr Leipziger Katalog auf schwarzweiße »Saalaufnahmen« setzen, auf Texte dagegen verzichten wird, taugt der Frankfurter Katalog »Half-a-Wind Show« als fundierte Einführung in Onos Œuvre. Die meisten in Leipzig zu sehenden Werke sind dort ohnehin enthalten.
»Es ist so viel über Yoko Ono geschrieben worden, dass wir gesagt haben, wir wollen kein weiteres Buch produzieren, in dem wieder alles steht, was man ohnehin schon weiß«, so Weidinger. Aber wenn das alles so bekannt ist, wieso dann überhaupt eine weitere Ausstellung? Der Museumschef gibt drei Antworten: Seit er vor Jahren in Beijing begeistert Onos Arbeit »Ex It« – hundert sargartige Holzkisten, aus denen Zitrusbäume wachsen, während Vogelgezwitscher erklingt – gesehen hat, wollte er sie zeigen, sobald er über geeignete Räume verfüge, das MdbK sei perfekt. Zudem erhoffe sich das Museum durch die Ono-Ausstellung gesteigerte Wahrnehmung; für den Eröffnungstag wurden bereits 9079 Besucher vermeldet, es scheint auf den erwünschten Rekord hinauszulaufen. Drittens sei Leipzig »die Wiege des deutschen Frauenrechts«.
Vier ältere Männer und die Intervention zweier jüngerer Frauen
Beim dritten Punkt, Gleichberechtigung, wird es interessant. Tatsächlich findet sich unter dem Museumsdach die andauernde Arbeit »Arising«, für die Yoko Ono Frauen aufruft, Gewalterfahrungen anonymisiert mitzuteilen. Die Berichte hängen aufgereiht an der Wand, während elegische Bilder projiziert werden und klagender Gesang erklingt, Frauen werden Opfer, viel zu oft. Auch der Film »Fly« von 1970 kann als Gleichnis für die zum passiven Objekt degradierte Frau gesehen werden, aus Fliegenperspektive erkundet die Kamera den nackten Körper einer Frau. Doch dann war da noch die Eröffnung, zu der auf Onos Wunsch das »Cut Piece« aufgeführt wurde. In dieser Performance ist das Publikum dazu aufgerufen, einer Frau auf der Bühne nach und nach die Kleidung vom Leib zu schneiden. Es ließe sich annehmen, dass ein innerer Wertekompass die Leute davon abhielte. Aber schon seit 1964 ist klar, dass es nicht an Beteiligung mangelt, und so saß Performance-Künstlerin Xie Rong aus London nach durchaus quälenden 50 Minuten nackt da.
Bei Yoko Ono geht es fast immer um Partizipation. Das Leipziger »Cut Piece« hatte diesbezüglich genau einen großen, rührenden Moment. Nachdem ein Mann sich den BH gesichert hatte, traten zwei Leipziger Künstlerinnen vor und teilten ihre Tücher mit der Performerin. Half freilich nichts, zumal noch Reden auf dem Programm standen, von vier älteren Männern, klar. Einer davon wusste zu berichten, dass das »Cut Piece« nie politisch gemeint gewesen sei, sondern die Künstlerin auf den Klang der Schere aus war. Das habe Ono am Küchentisch erzählt. Also muss es stimmen.
Apropos Frauenrecht: Ono schreibt in ihrem 1964 veröffentlichten, das Lebenswerk bereits weitgehend skizzierenden Buch »Grapfruit«, dass es nicht zwingend eine Frau sein muss, die im »Cut Piece« das passive Objekt gibt. Das Museum hat an dieser Stelle durchaus eine Chance verpasst, mit Taten statt mit Worten zu glänzen.