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Politik

»Es gibt Fraktionen, die den Fortschritt aufhalten wollen«

SPD-Fraktionschef Christopher Zenker zieht sich aus dem Stadtrat zurück – und hadert mit dem Zeitpunkt

  »Es gibt Fraktionen, die den Fortschritt aufhalten wollen« | SPD-Fraktionschef Christopher Zenker zieht sich aus dem Stadtrat zurück – und hadert mit dem Zeitpunkt  Foto: Christiane Gundlach

Christopher Zenker hat sich seinen roten Fahrradhelm unter den Arm geklemmt, als er durchs Rathaus läuft. Als Referent des Oberbürgermeisters für die Themen Wirtschaft und Arbeit wird er hier bald ein Büro haben, für das Interview muss noch einer der Besprechungsräume herhalten, in denen Zenker über zwanzig Jahre für die SPD Kommunalpolitik als Stadtrat verhandelte, die letzten acht als Fraktionschef. Ab 1. Februar wird er in seiner neuen Rolle die Verwaltung bei ihren Vorschlägen zur Gestaltung der Stadt beraten. Mit dem kreuzer spricht der 45-Jährige über diesen Rollenwechsel, die Zukunft progressiver Politik in Leipzig und darüber, warum die SPD oft »unsexy« wirkt.

 

Herr Zenker, mit Ihrem Rückzug verliert die Leipziger SPD an Profil.

Ist das so?

 

Im Leipziger Süden sind Sie eine Marke: Der Fahrradkönig der SPD.

Ja, das freut mich auch sehr, dass das die Außenwahrnehmung ist. Und in der Tat, für SPD-Verhältnisse hatte ich immer ein recht gutes Wahlergebnis. Dass ich so bekannt im Süden bin, liegt natürlich auch daran, dass ich dort geboren und aufgewachsen bin, meine Familie bis hin zu meinem Uropa hat dort gelebt. Das macht es als Kommunalpolitiker noch ein bisschen einfacher. Irgendwo her kennen einige Leute einen immer noch, sei es aus Schule, sei es aus einem Verein oder der Kirche. Das kann natürlich jemand, der vielleicht zugezogen ist, gar nicht so einfach aufholen. Und natürlich: In über 20 Jahren Kommunalpolitik macht man sich auch bekannt.

 

Rot-Grün-Rot hat seine Mehrheit im Stadtrat letztes Jahr verloren, die CDU ist stärkste Kraft, die AfD auf Rekordhoch. Machen Sie es sich zu leicht, sich ausgerechnet jetzt zurückzuziehen?

Tatsächlich habe ich auch überlegt, ob das ein guter Zeitpunkt ist, auch so kurz nach der Wahl. Da bin ich mit mir auch noch nicht ganz im Reinen. Aus Sicht der Partei ist es eigentlich das Beste, weil dann ein neuer Stadtrat Zeit hat, sich einzuarbeiten. Aber vor dem Hintergrund meines eigenen guten Wahlergebnisses hadere ich schon.

 

Eine Kandidatur ist ja auch ein Versprechen an die Menschen, die einen wählen.

Genau, auf der anderen Seite ist es aber ein Ehrenamt. Und ich bin in einer Lebensphase, in der eine berufliche Neuorientierung Sinn ergeben hat. Ich habe mich vor zwei, drei Jahren mal auf eine Stelle bei der Stadt nicht beworben und mich darüber lange geärgert, es nicht einmal probiert zu haben.

 

Sie wurden 2004 erstmals in den Stadtrat gewählt wurden, da waren Sie 24. Hat man da nicht besseres zu tun, als Kommunalpolitik zu machen?

Mein Nachfolger Marius Wittwer ist genauso alt wie ich damals! Ich habe mich schon immer für Kommunalpolitik interessiert, hatte auch fünf Jahre vorher schon mal kandidiert. Das wäre wahrscheinlich wirklich zu früh gewesen. Aber ich gebe auch zu, dass ich die ersten anderthalb, zwei Jahre tatsächlich erst mal geguckt habe, wie funktioniert der Ablauf. Das ist heute bei einer kleineren Fraktion für die Neuen ein bisschen schwieriger, die Zeit haben sie eigentlich nicht.

 

Der Zeitaufwand ist immer größer geworden für das Ehrenamt, 20 Stunden pro Woche kann die Arbeit im Stadtrat schon mal kosten. Wie vereinbar sind denn Kommunalpolitik und Privatleben?

Man braucht eine tolerante Familie, egal welches Geschlecht der Partner hat. Man nimmt automatisch an anderen Stellen Abstriche in Kauf. Ich hätte mir mit einer Vollzeitstelle, die ich neben dem Stadtrat ja hatte, nie zugetraut, noch auf einen Marathon hinzutrainieren. Die Zeit, diesen Wunsch umzusetzen, nehme ich mir jetzt.

 

Als Sie 2004 in den Stadtrat kamen, hatte Leipzig große Haushaltsprobleme, Schulschließungen standen im Raum, die Stadt verkaufte Grundstücke, die LWB viele ihrer Wohnungen. Heute steht die Stadt – aus anderen Gründen – erneut vor einer schwierigen Finanzlage, Wohnen ist für viele schwer bezahlbar geworden. Wie zufrieden wäre denn der Christopher Zenker von 2004 mit dem heutigen Leipzig?

Es ist angenehmer, Wachstumsschmerzen zu managen als andersrum. Ich beschließe lieber Geld für Schulen, als eine schließen zu müssen. Klar, der Haushalt ist gerade extrem schwierig, aber man kann hoffen, dass es in zwei, drei Jahren wieder deutlich aufwärts geht. Wir hatten viele Jahre, in denen es fast nur bergauf ging. 2004 hatten wir eine Arbeitslosigkeit deutlich im zweistelligen Bereich. Jetzt sind es rund sieben Prozent Arbeitssuchende und das trotz massiven Bevölkerungswachstums. Auch die Internationalität in der Stadt ist gestiegen. Leipzig ist deutlich auf der internationalen Landkarte zu sehen.

 

Sind Sie vielleicht auch einfach ein bisschen müde von den ständigen Aushandlungsprozessen?

Von Kommunalpolitik als solcher bin ich nicht müde. Aber vielleicht ist es gut, wenn nach so vielen Jahren, andere Ideen einbringen können, für die man selbst am Ende zu verkopft war. Es gab immer mal Momente, in denen ich überlegt habe, hinzuwerfen. Aber dann gab es auch wieder motivierende Momente. Zuletzt, als wir das Zweckentfremdungsverbot mit einer Satzung verabschiedet haben, das hat mich wirklich sehr gefreut. Klar sind wir dort nicht so weit wie wir wollen, auch weil wir aktuell ein konservatives Rollback in der Gesellschaft erleben. Ich hoffe, das ist nur ein kurzzeitiger Effekt, weil die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden wir mit so einer Einstellung nicht meistern können.

 

Angespannter Mietmarkt, eine Verkehrswende und eine Wärmewende, die noch am Anfang stehen. Hat die Politik der rot-grün-roten Mehrheit der letzten Jahre die Menschen in Leipzig nicht genug erreicht?

Die Lebenszufriedenheit in Leipzig ist ja nicht schlecht, genaugenommen sogar gut. Im Bereich des Mietmarktes nutzen wir kommunal die Instrumente, die wir haben. Wir schöpfen die Mittel für sozialen Wohnungsbau vom Land ab, nutzen Instrumente wie Mietpreisbremsen, soziale Erhaltungssatzungen und seit kurzem das Zweckentfremdungsverbot. Wir sind als Kommune aber das letzte Glied der Kette. Bei der Verkehrswende hat man in der Verwaltung umgesteuert und auch die Wärmewende ist auf dem Weg. Sorgen bereitet mir der Blick in die Zukunft, denn es gibt im Rat inzwischen Fraktionen die den Fortschritt aufhalten wollen, so wollen CDU, AfD und BSW den Ausbau der Fernwärme quasi stoppen. Das sind keine guten Entwicklungen. Grundsätzlich sind wir aber in der letzten Amtsperiode auf einem guten Weg gewesen. Etwa auf die Fahrradspur am Hauptbahnhof, die tatsächlich hervorragend funktioniert – ohne mehr Staus, die alle prognostiziert haben. Nichtsdestotrotz ist es in vielen Köpfen immer noch drin, dass hier angeblich das Auto verdrängt werden sollte.

 

Also hat Rot-Grün-Rot nichts falsch gemacht?

Nein, das würde ich nicht so sagen. Ich kann nicht für Linke und Grüne sprechen, grundsätzlich passieren immer Fehler und natürlich auch meiner Fraktion und mir. Ein ganz großes Thema ist sicher die Kommunikation. Wenn es nicht gelingt, die Leute mitzunehmen auf so einen Prozess, dann ist das auch unser Verfehlen. Die Angst vor Veränderungen ist in unserer Gesellschaft sehr groß, da vielleicht auch mal das Tempo zu verlangsamen und die Menschen mehr mitnehmen wäre sicher gut gewesen. Dennoch mit dem Ziel eines lebenswerten und zukunftsfähigen Leipzigs sind Projekte wie eine Wärme-, Energie- und Verkehrswende von großer Bedeutung.

 

Die SPD hatte bei der Kommunalwahl 2004 27 Prozent. Letztes Jahr waren es nur noch 12. Ist die Sozialdemokratie zu eingestaubt für Leipzig?

Eingestaubt würde ich es nicht nennen. Wir suchen den Ausgleich, auch in der Kommunalpolitik. Wir haben immer versucht, auch bei einer rot-grün-roten Mehrheit, einen Gesprächsfaden zur CDU zu haben, etwa bei den Haushaltsverhandlungen. Da war es ganz wichtig, die CDU mit an Bord zu haben, weshalb wir Kompromisse geschmiedet haben, die auf der anderen Seite natürlich auch dazu führen, dass man nicht immer dem nachgeben kann, was Grüne oder die Linke wollen, auch weil das oft nicht finanzierbar ist. Kompromisse, so wichtig sie sind, machen leider unsexy, weil man nicht zu den Polarisierenden gehört. Hinzu kommt die bundespolitische Ebene und der Umstand, dass die SPD seit 1990 den Oberbürgermeister in Leipzig stellt. Alles, was aus Sicht von Wählerinnen und Wählern kommunalpolitisch nicht läuft, wird somit auch ein Stückweit der SPD angelastet.

 

Also wäre es für die SPD ganz gut, wenn ab 2027 die CDU den OBM stellt?

Definitiv nicht. Dass Leipzig Dresden inzwischen um Längen abgehängt hat, liegt auch daran, dass wir immer Oberbürgermeister hatten, die zukunftsorientiert und weltoffen agiert haben. Das wissen auch die Leipzigerinnen und Leipziger. Oberbürgermeister sind Personenwahlen und ob tatsächlich eine Mehrheit in dieser Stadt möchte, dass ein Konservativer an der Spitze steht, wird man 2027 sehen. Da fließt auch noch eine ganze Menge Wasser die Pleiße runter.

 

Die CDU wirkt aber besser vorbereitet, hat mit Sebastian Gemkow anscheinend den richtigen Kandidaten parat. Haben die Fraktionen links der Mitte verpasst, einen Nachfolger von Burkhard Jung aufzubauen?

Das glaube ich nicht. Ich kann auch die Parteien links der Mitte verstehen, dass sie jetzt ihre Namen noch nicht benennen, weil die dann zwei Jahre unter Feuer stünden seitens der Konservativen. Es gibt in allen diesen Parteien schon Überlegungen zu Personen.

 

Ist mit dem Verlust der rot-grün-roten Mehrheit bei der Kommunalwahl 2024 eine Ära der progressiven Politik in Leipzig ein stückweit zu Ende gegangen?

Beim Verkehr mache ich mir da ernsthafte Sorgen. Die Abstimmung zur Prager Straße hat gezeigt, dass der eine oder andere – auch in Reihen der Linken – doch einknickt, wenn es um wirklich konfliktbeladene Themen geht, obwohl ein guter Kompromiss möglich war. Das zweite Thema ist sicherlich Klimaschutz: CDU, AfD und BSW haben die Streichung der jährlich 50 Millionen Euro für den Fernwärmeausbau beantragt. Damit legen sie die Axt bei den Stadtwerken an. Mit Fernwärme generieren die aber ihre zukünftigen Gewinne, darüber wird auch unser ÖPNV mitfinanziert werden und es ist natürlich vor dem Hintergrund des Klimawandels immens wichtig, dass Leipzig die Wärmewende angeht.

 

Wie hat sich denn Kommunalpolitik seit dem Einzug der AfD in den Stadtrat 2014 verändert?

Die Sprache ist aggressiver geworden. Vorher hatte ich nie erlebt, dass Burkhard Jung einen Ordnungsruf machen musste. Er nutzt das sogar zu selten. So sukzessive hat sich diese Sprache auch bei der CDU verändert. Von den CDU würde ich erwarten, dass sie sich von den Antidemokraten im Rat distanziert. Aber das macht sie leider nicht immer, insbesondere beim Thema Migration, sondern schwingt fast in derselben Tonlage mit. In Reaktion darauf hat sich auch bei uns die Tonlage geändert. Ich überlege öfter, ob das wirklich gut ist, dass man selbst laut wird oder aggressiv. Oder ob es nicht besser wäre, die Ruhe zu bewahren und manches auch zu ignorieren. Ich weiß nach wie vor nicht, was die richtige Strategie ist.

 

Wird die Verwaltung jetzt mit Ihnen sozialdemokratischer?

Ich weiß gar nicht, wie viele inkognito mit sozialdemokratischem Parteibuch in der Verwaltung unterwegs sind. Die Kernverwaltung besteht aus mehreren 1000 Menschen. Da bin ich natürlich dann auch nur ein Rädchen. Ich hoffe, dass ich Kommunalpolitik weiter mitgestalten kann. Wenn ich Vorlagen kommentieren darf, werde ich natürlich versuchen, weiter meine bisherigen Schwerpunkte zu setzen: Sei es bei der Weiterentwicklung im Verkehr Richtung Umweltverbund oder, dass man im Bereich Wirtschaft bei Neuansiedlungen darauf achtet, dass es vor allem qualitative zukunftsfähige Jobs gibt.

 

Hätte der Referent Zenker den Stadtrat Zenker gemocht?

Es gab Phasen, da habe ich böse Anrufe aus der Verwaltung bekommen, aber nichts was man nicht in einem Gespräch klären konnte. Grundsätzlich bin ich, denke ich, nicht der verhassteste Stadtrat innerhalb der Verwaltung, weil ich immer versucht habe, auf Augenhöhe miteinander umzugehen. Die Verwaltung wäre gern selbst schneller und vielleicht ist der ein oder andere Vorwurf auch ungerechtfertigt, insbesondere, wenn wir nicht genug Personal zur Verfügung stellen oder Themen bis in die kleinsten Details hinein ausgearbeitet haben wollen.

 

Ihr nächstes privates Ziel ist der Leipzig-Marathon. Welche Zeit soll denn am Ende auf der Uhr stehen?

Erstmal durchhalten. Mein Traum wäre irgendwas zwischen dreieinhalb und vier Stunden.


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