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Politik

»Bedrohliche Eigendynamik«

Die AfD Leipzig sinniert über OSZE-Wahlbeobachter zur Stadtratswahl und ein LVZ-Redakteur stellt die Freie Szene unter Extremismusverdacht

  »Bedrohliche Eigendynamik« | Die AfD Leipzig sinniert über OSZE-Wahlbeobachter zur Stadtratswahl und ein LVZ-Redakteur stellt die Freie Szene unter Extremismusverdacht

Die Leipziger AfD sieht sich im Wahlkampf bedroht und kritisiert, der Polizeipräsident nehme die »Ausnahmesituation« nicht ernst. Die Forderung nach Wahlbeobachtern ist im Gespräch. Die LVZ leistet mehrfach Schützenhilfe und stellt die Sicht der Partei, keiner der Mitbewerber werde so häufig angegriffen, als Tatsache dar. Die Bilanz politisch motivierter Angriffe auf Stadtratskandidaten zeigt Gegenteiliges. Auch die Arbeit eines LVZ-Redakteurs wirft Fragen auf.

Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben in den vergangenen 25 Jahren rund 300 Wahlen in 57 Ländern geprüft. Meist lag der Fokus auf osteuropäischen Staaten. In Deutschland war zuletzt bei der Bundestagswahl im September 2018 ein »Expertenteam« – mit drei bis fünf Mitgliedern die kleinste Einheit unter den OSZE-Wahlbeobachtungsmissionen – im Einsatz. Geht es nach den Überlegungen einiger Mitglieder der Leipziger Alternative für Deutschland (AfD), soll ein solches Team auch die anstehende Wahl zur Besetzung der 70 Sitze im Leipziger Stadtrat begleiten.

Ende April berichtete die Leipziger Volkszeitung (LVZ) über »immer lauter werdende Rufe« in der AfD nach OSZE-Beobachtern, die feststellen könnten, dass die AfD »systematisch benachteiligt« werde. »Das wurde diskutiert«, bestätigt AfD-Stadtratskandidat Gert Pasemann dem kreuzer auf Nachfrage, verweist aber zugleich darauf, eine offizielle Position könne nur der Kreisverband geben. Dieser äußert sich dem kreuzer gegenüber auch auf mehrmalige Anfrage nicht.

AfD Leipzig: »fast wöchentliche Angriffe« – sieben Fälle* seit Jahresbeginn bekannt

Wie dramatisch die AfD ihre aktuelle Situation einschätzt, zeigt ein Schreiben des AfD-Stadtparteichefs Siegbert Droese an den Leipziger Polizeichef Thorsten Schultze. In Leipzig habe sich eine »bedrohliche Eigendynamik« bei Angriffen auf seine Partei entwickelt, schreibt er. Schultzes Antwort, dass sich auch Vertreter anderer Parteien Angriffen ausgesetzt sehen, möchte Droese nicht gelten lassen. Laut LVZ verweist er auf »fast wöchentlich stattfindende Anschläge auf AfD-Stadtratskandidaten«, eine detaillierte Auflistung liefert er nicht.

Durch Medienberichte lassen sich seit Jahresbeginn fünf Vorfälle rekonstruieren, bei denen Leipziger AfD-Vertreter oder der Kreisverband zur Zielscheibe wurden. Darüber hinaus gehende Fälle nennt die Leipziger AfD auch auf mehrmalige Nachfrage nicht. Eine angekündigte Auflistung bleibt aus, man sei durch den Wahlkampf zeitlich stark eingebunden. Die Leipziger Polizei konnte die Darstellung der AfD vorerst weder bestätigen noch dementieren, man warte auf eine Antwort des Landeskriminalamts und des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums.*

Doch wie bedrohlich ist die Lage für politische Vertreter in Leipzig im Allgemeinen? Anfragen des kreuzer bei den Parteiverbänden ergeben, dass es nicht die AfD ist, die am häufigsten angegriffen wird. Die Leipziger Grünen berichten von einem gewalttätigen Übergriff auf ein Plakatierteam vor wenigen Wochen, zu dem Anzeige gestellt wurde. Auch von regelmäßigen Bedrohungen und Beleidigungen bis hin zum strafbaren Zeigen des Hitlergrußes wird berichtet. Dies sei aber »mittlerweile normal«, ebenso wie die Beschädigung von Wahlplakaten. Von letzterem berichten auch SPD und CDU, weitere gezielte Angriffe seien dort nicht bekannt. Anders sieht es bei der Linkspartei aus. Sieben Fälle seit Jahresbeginn nennt man auf Anfrage, darunter zwei Übergriffe auf Personen und fünf Angriffe auf Parteibüros.

»Völlig unkritisch wiedergegeben« – öffentliche Kritik an LVZ-Redakteur Tappert

Rein quantitativ scheint die AfD also nicht am stärksten im Fokus der politischen Gegner zu stehen. »Keine andere Partei wird so häufig angegriffen«, schreibt die LVZ ungeachtet der Zahlen und übernimmt damit anscheinend ungeprüft die Darstellung der AfD.

Verfasst wurde der entsprechende Artikel von LVZ-Redakteur Andreas Tappert, der für seine mutmaßliche AfD-Nähe in den vergangenen Wochen mehrfach in der Kritik stand und sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, journalistische Standards nicht einzuhalten. Anfang April zitierte Tappert das Mittelstandsforum für Deutschland (MfD) und nannte es ein Bündnis, dem »Unternehmer vieler Branchen angehörten«, ohne Hinweis, dass es sich um eine AfD-nahe Vereinigung handelt, deren Vorstand ausschließlich mit Parteifunktionären besetzt ist. Auch den Urheber des Zitats nannte Tappert nicht. Vorsitzender des MfD und anscheinend Gesprächspartner von Tappert ist AfD-Kandidat Gert Pasemann, den der LVZ-Redakteur regelmäßig zitiert – auch zu augenscheinlich themenfremden Gebieten. In einem Artikel über die politische Diskussion über die Umgestaltung des Innenstadtrings nahm die Sicht von Veranstaltungsmanager Pasemann – damals nicht in der Politik aktiv – mehr als ein Drittel des Textes ein.

Jüngst distanzierten sich mit Jens Kassner und Karsten Kriesel zwei freie Autoren der LVZ öffentlich von Tappert. Ihr Vorwurf: Tappert habe unter dem Titel »AfD will eine ›Wende für Leipzig‹« Wahlversprechen der AfD unkritisch und ohne journalistische Einordnung wiedergegeben. Kassner vermutet, Tappert habe lediglich die Pressemeldung der Partei leicht umgearbeitet.

Besonders brisant erscheint den Kritikern, dass in besagtem Artikel die Freie Kulturszene der Stadt, die sich jüngst über höhere Fördergelder aus dem Stadtetat freuen durfte, unter Extremismusverdacht gestellt wird. »Die AfD will auch Extremisten den Kampf ansagen: Finanzielle Unterstützung werde die freie Szene nur noch erhalten, wenn sie sich zum Grundgesetz bekennt«, lautet Tapperts Wortlaut.

Die Freie Szene, also freie Theater, Kulturstätten und Künstler, taucht im Wahlprogramm der AfD allerdings gar nicht auf. Dort ist nur von der »Förderung von Vereinen« zu lesen. Angesichts dessen nennt Kassner in einem Facebook-Posting die Verbindung von Extremismus und Freier Szene »eine Erfindung des LVZ-Redakteurs Andreas Tappert« und fordert erneut eine Stellungnahme der Zeitung. Auch die Pressesprecher verschiedener Leipziger Theater äußerten sich entsprechend kritisch in den sozialen Medien. »Herr Tappert hat den Text der AfD in seinem eigenen Verständnis interpretiert«, schrieb etwa Matthias Schiffner vom Westflügel.

Eine öffentliche Stellungnahme der LVZ zu der Arbeit ihres Redakteurs gibt es bisher nicht. Andreas Tappert sagt dem kreuzer gegenüber zum Vorwurf der AfD-Nähe: »Das ist aus meiner Sicht gegenstandslos«.


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