Der Literaturbetrieb hat ein Rassismusproblem, sagen Autorinnen und Autoren, die unter dem Hashtag »metwo« von ihren Erfahrungen berichten. Darunter sind auch Studierende des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. Der kreuzer sprach mit Autor Michael Lentz, seit 2006 Professor für literarisches Schreiben und derzeitiger Direktor des Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL), über Diversität im Literaturbetrieb.
kreuzer: Es gibt nur vier Schreibschulen im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig wird marginalisierten Gruppen die Möglichkeit einer Universitätslaufbahn immer noch erschwert. Wie geht das Deutsche Literaturinstitut mit dieser Problematik um?
MICHAEL LENTZ: Zu der Problematik im Allgemeinen kann ich nichts sagen. Das DLL jedenfalls steht ausnahmslos allen offen, die sich mit ihren literarischen Arbeiten für ein Studium bewerben möchten. Es zählt einzig und allein die literarische Begabung. Literatur ist selbst nur eine Randerscheinung der Gesellschaft.
kreuzer: Die Verlagsvorschauen für das Frühjahr 2019 sprechen leider eine deutliche Sprache: Deutschsprachige nicht-weiße Autoren und Autorinnen kommen kaum vor. Könnte der Abschluss an einer Schreibschule für deutsche Schriftsteller of colour für mehr Sichtbarkeit sorgen?
LENTZ: Das glaube ich schon. Allerdings ist das Studium am DLL keine Karriere-Garantie. Nicht erst der Abschluss kann aber für mehr Sichtbarkeit sorgen, schon während des Studiums gibt es, oftmals von den Studierenden selbst initiiert, verschiedene Möglichkeiten, die Sichtbarkeit zu erhöhen, wie zum Beispiel durch Veröffentlichung in institutseigenen und anderen Literaturzeitschriften wie der Tippgemeinschaft, der Bella Triste und der Edit.
kreuzer: Die Schriftstellerin Ronya Othmann schrieb über »metwo« auf Zeit Online: »In einem Seminar am Deutschen Literaturinstitut Leipzig gab es eine Leseliste für Hausarbeit und Referat, aus der man ein Thema auswählen konnte. Die Lese- und Filmliste bestand größtenteils aus Männern, und allesamt waren weiß. Weil das auch möglich war, beschloss ich, selbst etwas vorzuschlagen, Bahman Ghobadi und Yaşar Kemal. Der Gastdozent sagte ›nein‹, mit der Begründung, Ghobadi und Kemal wären für unseren Kulturkreis nicht relevant.« Ist prinzipiell nicht jeder literarische Text, der ins Deutsche übersetzt vorliegt, für das Erlernen kreativen Schreibens bedeutsam, da jede Übersetzung aus anderen Sprachen immer auch die Texte deutsch schreibender Autoren beeinflusst?
LENTZ: Literatur entsteht auch aus Literatur. Die Frage nach der Relevanz ist eine individuelle, ebenso wie die Bereitschaft, sich beeinflussen zu lassen. Die Ablehnung der genannten Literaturen durch den Gastdozenten verleiht dem »Kulturkreis« einen invarianten ontischen Status, der ihm nicht zukommt. Wo fängt der sogenannte »Kulturkreis« an, wo hört er auf? Der Name Goethe steht für genau die gegenteilige Haltung. Der geistige Feind der Literatur ist Engstirnigkeit. Sich Einflüssen auszusetzen, um geistig der ewig selben Bewegung des Hamsters im Rade zu entkommen, das ist die Herausforderung. Und überdies: Was war denn der »Kulturkreis« der Renaissance? Hätte die Renaissance sich nur um sich selbst bekümmert, hätte es keine Renaissance gegeben. Man lese das großartige Buch »Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance« von Bernd Roeck.