An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Juni-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet von den mühsamen Recherchen der beiden kreuzer-Redakteure Britt Schlehahn und Tobias Prüwer im Umfeld des Stasi-Museums in der Runden Ecke. Das Ergebnis ihrer Arbeit: Regelverstöße werden von der Stadt toleriert, im Stasi-Museum wird Geschichte einseitig vermittelt, Tobias Hollitzer sei als Chef untragbar.
Es ist gar nicht so einfach, so eine Geschichte aufzuschreiben wie die in diesem Heft über den Chef des Stasi-Museums Tobias Hollitzer. Denn wenngleich der Schaden groß ist, den eine machtvolle Person an der falschen Stelle anrichten kann, so erschöpft sich vieles, was es dazu zu sagen gibt, in Singularitäten, mittelschweren Vergehen, bizarren Episoden, kindischen Unglaublichkeiten. Noch schwerer wird es, wenn solch eine Person sich jedem Dialog verschließt, keine Einblicke gewährt, keine Stellung bezieht – und sich in einer nicht öffentlichen, wenngleich von der Öffentlichkeit finanzierten, Struktur versteckt, für die es keine externe demokratische Kontrolle gibt. Dies alles ist bei Tobias Hollitzer und dem Trägerverein des Stasi-Museums in der Runden Ecke, dem Bürgerkomitee Leipzig, der Fall.
Und doch ist die Bedeutung ebenjener Institution für die Stadt Leipzig so groß, dass selbst eindeutige Regelverstöße von der Verwaltung toleriert werden – und niemand öffentlich Kritik äußern möchte.
Der Beginn solch einer Karriere wie die des Tobias Hollitzer lag in einer revolutionären Zeit, einer absoluten Ausnahmesituation, in der die alten Eliten komplett weggefegt wurden. Plötzlich war in einem ganzen Land sehr viel Platz, Raum für neue Karrieren. Der größte Teil wurde mit Personal aus Westdeutschland aufgefüllt, viele davon kamen leicht in Positionen, die sie unter normalen Umständen nur schwer hätten erreichen können. Zu welchen Problemen das führte, zeigten beispielsweise die Ausläufer des Sachsensumpf-Skandals im sächsischen Justizsystem.
Ein anderer, viel kleinerer Teil dieses Freiraums wurde mit Personen aus dem Osten besetzt. Auch hier gab es steile Karrieren und ebenso steile Abstürze aufgrund persönlicher Verfehlungen. Ibrahim Böhme, Günther Krause oder Wolfgang Schnur – einer der 30 ersten Besetzer der Leipziger Stasi-Zentrale und der Mann, der Angela Merkel in die Politik holte – sind Beispiele dafür.
Auch Tobias Hollitzer gehört zu diesen Emporgekommenen, das Museum in der Runden Ecke ist ein Relikt aus dieser Zeit. Seine Position verdankt Hollitzer unter anderem einigen Zufällen, dem Wirken seiner Eltern, einer ebenso kampflustigen wie erfolgreichen Verteidigung des Status quo – und einer zerknirscht-machtlosen Duldung durch Stadt, Ämter und Behörden, die sein Museum mit immerhin knapp 500.000 Euro im Jahr finanzieren. Doch 30 Jahre nach dieser Ausnahmesituation ist es Zeit, die Erinnerungsarbeit zu Stasi und Diktatur in Leipzig auf zeitgemäße und solide Füße zu stellen.
Aber damit bedeutende Dinge besser gemacht werden können, müssen Missstände erst mal angesprochen werden – und das tun Britt Schlehahn und Tobias Prüwer in ihrem Dossier zum Thema ab Seite 14.
Weiter geht es im Anschluss mit einem Interview des einzigen Transmanns im Deutschrap, des Leipziger Künstlers Sir Mantis. Im großen Interview von Juliane Streich und Kay Schier auf Seite 28 erfährt man viel über Battlerap, Transgender, Bürgertum, Cis-Personen und wie das alles zusammenhängt. Ja, und wer schon immer mal wissen wollte, wie das so ist als Cannabis-Produzent, der sollte mal auf den Spielseiten vorbeischauen (S. 44). Oder gleich zum Literaturressort blättern, wo ein kleiner Verlag vorgestellt wird, der jedem Manuskript eine Chance gibt und so vielleicht dem ein oder anderen eine Alternative bietet zur Karriere als Drogendealer (S. 66). Doch damit nicht genug, denn auf den Seiten drum herum findet sich die ganze Bandbreite des kulturellen Lebens in Leipzig und darüber hinaus – bis hin zu einem Besuch in den Toten Tälern bei Freyburg, die alles andere als tot sind (S. 82).
Mit diesem Heft verlässt uns Politikredakteurin Jennifer Stange. Nach einem Jahr kreuzer zieht sie nun wieder ihrer Wege durch die spannende Welt des Journalismus. Wir danken Jennifer für eine ebenso spannende Zeit hier in der alten Kogge und wünschen für die Zukunft nur das Allerbeste.
Eine gute Lektüre wünscht
Andreas Raabe
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de