Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal reist Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz stellt gleich zwei Bücher vor, die sich nur auf den ersten Blick ähneln.
So ähnlich die Thematik zweier Bücher, in denen es um Vögel geht, auf den ersten Blick scheint, so unterschiedlich sind jedoch die Geschichten des Vogelkenners und Verlegers Arnulf Conradi und des Schriftsteller Terence Hanbury White.Der Klassiker »Der Habicht« ist seit seinem Erscheinen 1951 eine der Säulen des Nature Writing. Arnulf Conradi hingegen veröffentlichte seine Vogelbetrachtungen in diesem Jahr, hat aber schon andere Bücher zum Thema herausgegeben. Das die beiden bibliophilen Bände überhaupt für einen Vergleich herhalten müssen, ist ihrem nah beieinander liegenden Erscheinen geschuldet, denn »Der Habicht« erfuhr erst jetzt eine Übersetzung ins Deutsche.
White ist besessen von dem Wunsch, einen Habicht zu zähmen. Wer nicht vertraut ist mit der Falknerei: ein Habicht stellt gewissermaßen die Königsdisziplin im Abrichten von Greifvögeln dar, und White ist nicht mal Falkner. Er hat keine Vorerfahrung, lernt aus Büchern, lässt sich von seiner Unkenntnis aber nicht abbringen. White trifft Vorbereitungen bis sein Vogel, »Gos« nennt er ihn, geliefert wird. Was dann folgt, gleicht weniger der romantischen Verschmelzung zweier Individuen, als einem harten Kampf um jedes Zugeständnis. Neben der Schilderung seiner teils haarsträubenden Bemühungen, den Vogel gefügig zu machen, finden sich auch viele Überlegungen zum Wesen des Greifvogels und der Bindung, die durch das Abrichten zwischen ihm und dem Herrn entstehen soll. Er vergleicht die Zähmung mit dem Band zwischen dem Kind und der Mutter, sieht den Falkner und den Vogel »durch eine geistige Nabelschnur miteinander verbunden«. Dieses verzweifelte Ringen um das wilde Tier sagt doch mehr aus über den Menschen, der versucht, sich ein Wesen Untertan zu machen, als über den Gefangenen selbst. Erschreckend und rührend ist die Geschichte Gos´, der da als Spiegel herhalten muss für einen nahezu besessenen Mann. Neben allerlei lautmalerischen Vogelrufen sind die schriftstellerischen Fähigkeiten Whites übrigens unverkennbar. Er geht in den Wald und bemerkt sofort, »dass hier etwas Greifvogeliges vor sich« geht. Und immerhin stellt er selbst fest: »Es war lediglich das Buch eines Lernenden, im schlimmsten Fall das Buch eines Schriftstellers, der sich vielleicht vergeblich bemühte, ein Falkner zu sein.«
Ganz anderer Natur ist Conradis sanfte Betrachtung seiner stillen, unaufgeregten Leidenschaft: Die Beobachtung von Vögeln. Aus ihm spricht die reine Liebe und Bewunderung, wenn er um die Welt reist, um seltene Arten zu finden und sich von ihnen verzaubern zu lassen. So achtsam sind die Schilderungen und Schritte dieses Mannes, dass allein die Lektüre einer Meditation gleich kommt. Was nicht verwundert, stellt Conradi selbst die Theorie auf, das Vogelbeobachtung und Zen gar nicht so weit auseinander liegen. »Nur ein leerer Spiegel kann die Schönheit der Natur wiedergeben«, zieht er die Parallele zu den Naturgedichten der Zen-Buddhisten. Doch was sucht Conradi in den Tieren? Es ist die »Senkrechte in der Zeit«, die unendliche Sekunde, ein Stillstand, wenn man dem Flug des Vogels folgt und alles andere vergisst. Das Buch Conradis ist aber nicht nur eine Liebeserklärung, es ist auch ein Reisetagebuch, durchzogen von beeindruckenden Landschaftsschilderungen. »Die Kontraste stießen im Sonnenlicht hart aufeinander: das blendende Weiß des Eises unter dem Blau des Himmels, die Falten und Kanten der Gletscher mit ihren scharfen dunklen Schatten, das schwach violette Licht in den Spalten und Kavernen, das Grün und Blau des Wassers, das sich an den kantigen Abrissen des Landes mit schwarzen, feucht glänzenden Felsen brach, die aufstrahlenden Schaumkronen und die schneebedeckten Kuppen und Hänge der Berge dahinter.« Dieses Buch ist in Demut geschrieben – Conradi verneigt sich vor dieser Welt.
Lesenswert sind beide Bücher, das eine auf eine laute, das andere auf eine stille Weise.