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Stadtleben

Aus Fremden werden Freunde

Das Südcafé bringt Einheimische und Geflüchtete miteinander ins Gespräch

  Aus Fremden werden Freunde | Das Südcafé bringt Einheimische und Geflüchtete miteinander ins Gespräch

Seit vier Jahren ist das Leipziger Südcafé ein erster Anlaufpunkt für Geflüchtete, die Orientierung und Anschluss in ihrer neuen Heimat suchen. Bei Kaffee und Keksen werden Behördenformulare ausgefüllt, Spiele gespielt und vor allem Deutschkenntnisse verbessert. Seit einiger Zeit plagen die Organisatoren allerdings finanzielle Sorgen und mangelnder Zulauf.

Kaltes Neonlicht beleuchtet die langen Tischreihen der Mensa des Evangelischen Schulzentrums in der Leipziger Südvorstadt. So wie jeden Dienstag und Donnerstag öffnet in wenigen Minuten, um 16 Uhr, das Südcafé. Geflüchteten soll hier ein erster Anlaufpunkt in ihrer neuen Heimat Leipzig geboten werden.

Um das kahle Schulkantinen-Flair etwas aufzulockern, stellen Tobias Gaunitz und Annegret Jopp alle paar Meter bunte Kunstblumen auf das abgenutzte Holz. »Ein eigenes Café, ein gemütlicherer Raum, das wäre ein Traum, auch wenn wir sehr dankbar dafür sind, die Mensa hier nutzen zu können«, sagt Jopp, die in leitender Funktion fast seit Beginn des Südcafés im Herbst 2015 dabei ist.

Damals zeigten sich Menschen in ganz Deutschland mit Geflüchteten solidarisch, auch in Leipzig wollten viele helfen – so auch in der St. Petri- und Bethlehemgemeinde. Schnell entstand die Idee eines Cafés als Vernetzungsplattform, die dank der Hilfe vieler Ehrenamtlicher auch umgesetzt werden konnte.

»Wie ein Stück Dreck«

Neben Kaffee und Kuchen sind regelmäßige Beratungsangebote Teil des Südcafés, unter anderem von der Kirchlichen Erwerbslosenhilfe. Manchmal werden Geflüchtete auch persönlich mit zu Amtsterminen begleitet. Tobias Gaunitz, der gerade seinen Bundesfreiwilligendienst in der Bethlehemgemeinde absolviert, kann davon viel erzählen. »Das war das Ernüchterndste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Die Sachbearbeiterin hat ihn behandelt wie ein Stück Dreck«, erzählt er über einen dieser Termine.

Inzwischen kommen jedes Mal rund vierzig Menschen ins Südcafé, darunter etwa zehn ehrenamtliche Helfer. Früher waren es fast doppelt so viele Gäste. Zwar sind die Geflüchteten abseits der Massenunterkünfte nun schlichtweg schwerer zu erreichen, aber auch insgesamt hat das Interesse in der gesamten Stadtgesellschaft abgenommen. »Der Fokus der Öffentlichkeit liegt eben im Moment nicht in der Flüchtlingshilfe, sondern ganz woanders«, sagt Annegret Jopp, und Tobias Gaunitz ergänzt: »gerade in Sachsen«.

[caption id="attachment_81934" align="alignright" width="240"] Foto: Hannah Beck[/caption]

Halli-Galli in der Mensa

Das macht sich auch finanziell bemerkbar, denn die Unterstützung der Landeskirche und der Stadt reicht inzwischen kaum mehr aus, um das Angebot des offenen Cafés aufrechtzuerhalten. »4.000 Euro wollten wir in diesem Jahr an Spenden sammeln, davon sind wir weit entfernt«, sagt Jopp und nippt an ihrem Kaffee.

Währenddessen hallt fröhliches Kindergeschrei aus den verwaisten Fluren des Schulgebäudes in die Mensa. Kurz darauf betreten eine junge Frau mit Kopftuch sowie ein Mädchen und ein Junge im Vorschulalter den Saal. Sie waren schon mehrere Male hier und schnappen sich direkt den Spieleklassiker Halli-Galli. Ein unablässiges Geklingel erfüllt die Mensa in den folgenden Minuten, während immer mehr Gäste eintrudeln.

Führerscheinvergleich aus der DDR und Syrien

Es sind vor allem junge Männer, die sich an die langen Tische setzen und sofort untereinander und mit den meist älteren Ehrenamtlichen zu plaudern beginnen. Einer von ihnen ist Ahmad, ein Mittzwanziger mit breitem Lächeln und schwarzem Dutt. Vor drei Jahren nahm ihn sein Bruder zum ersten Mal mit ins Südcafé, wo er sich sofort gut aufgehoben fühlte.

»Ostdeutschland ist so eine abgeschlossene Gesellschaft, da ist das Südcafé eine tolle Möglichkeit für Leute, die Hilfe brauchen«, sagt Ahmad, der eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner absolviert. Er spricht inzwischen einwandfreies Deutsch, und zwar so gut, dass er Neuankömmlinge im Café beim Lernen der Sprache unterstützen kann. »Ich bringe denen auch Sächsisch bei«, sagt er und grinst stolz.

Sein Bruder, der neben ihm gerade einen Schwung Behördenformulare ausfüllt, wünscht sich, dass noch mehr junge Menschen vorbeikommen. Schließlich sei hier eigentlich auch ein toller Ort für zugezogene Studierende, um neue Menschen kennenzulernen. Ein ehrenamtlich helfender Rentner und der Vater der beiden Brüder vergleichen ein paar Stühle weiter ihre Führerscheine aus der DDR und Syrien.

Benefizabend für Offenheit und Toleranz

Ulrike und Dorothea, zwei seit Jahren engagierte Ehrenamtliche im Südcafé, erzählen derweil davon, wie sehr auch sie selbst von der »aktiven Integration für beide Seiten« profitiert haben, obwohl sie anfangs »bloß« helfen wollten. Aus den Fremden sind für sie Freunde geworden.

Als das Café um 18 Uhr wieder schließen muss, haben im Laufe des Nachmittages fast vierzig Menschen an den Tischen einen Platz und gute Gesprächspartner gefunden. Während Annegret Jopp und Tobias Gaunitzer die langen Tafeln abwischen, verabschieden sich die Stammgäste herzlich voneinander. Die Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die diese Nachmittage ihnen allen bieten, ist zu spüren.

In zwei Wochen, am 20. November, will das Südcafé durch einen »Benefizabend für Offenheit und Toleranz« unter dem Motto »1001 Nacht« mit Live-Musik und arabischem Buffet für sich werben. Im Dezember wird ein interreligiöses Weihnachtsfest gefeiert. Währenddessen findet das regelmäßige Café natürlich weiterhin statt – damit noch aus vielen weiteren Fremden mit der Zeit Freunde werden.


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