anzeige
anzeige
kreuzer plus

Jenseits der Mauer

In der Polizeischule Leipzig gab es 2018 Ärger mit rechten Anwärtern

  Jenseits der Mauer | In der Polizeischule Leipzig gab es 2018 Ärger mit rechten Anwärtern

2018 stand die Polizeischule Leipzig bundesweit im Fokus der Öffentlichkeit: Der ehemalige Leipziger Polizeischüler Simon Neumeyer erklärte, er habe aufgrund eines rassistischen Grundklimas seine Ausbildung bei der Polizei abgebrochen. Ein Besuch vor Ort zeigt, wie damit umgegangen wird.

»In Ordnung, junger Mann«, rauscht es durch die Sprechanlage, die metallene Sicherheitsschleuse hakt kurz und ich husche durch das Drehkreuz. Der Sicherheitsmann hinter der Scheibe verzieht keine Miene. Es ist kurz vor sieben Uhr an einem trüben Oktobermorgen im Leipziger Norden. Mein Blick fällt auf schmucklose Zweckbauten, die sich über das weitläufige Gelände verteilen. Wenige Minuten später werden 124 Schülerinnen und Schüler der Polizeifachschule Leipzig in Reih und Glied auf diesem Innenhof antreten. Morgenappell.

2018 stand die Polizeischule Leipzig bundesweit im Fokus der Öffentlichkeit: Der ehemalige Leipziger Polizeischüler Simon Neumeyer erklärte, er habe aufgrund eines rassistischen Grundklimas seine Ausbildung bei der Polizei abgebrochen. Er veröffentlichte Nachrichten aus einem internen Klassenchat. »Wir sind aus Cottbus, Und nicht aus Ghana, Wir hassen alle Afrikaner«, war dort zu lesen. Ein Mitschüler soll in der Umkleide Lieder einer Rechtsrockband gesungen haben. Auch Lehrern warf Neumeyer rassistische Äußerungen vor. Polizeischüler müssten besser schießen lernen, weil zurzeit so viele »Gäste« nach Deutschland kämen, soll ein Ausbilder gesagt haben.

»Offenkundige« Probleme im Umgang mit Medienvertretern

An diesem Tag bin ich der Gast auf dem Polizeiareal am Autobahnzubringer in Leipzig-Eutritzsch. Polizeioberrat und Schulleiter Swen Philipp führt mich durch lange Flure. An den Wänden hängen Kinderzeichnungen, unter unseren Füßen quietscht der Plastikfußboden im Takt der Schritte. Was mache ich hier eigentlich? Der Einblick in die sächsische Polizeiausbildung ist für Journalisten nicht selbstverständlich. Vor einigen Monaten wollte ein Filmteam der ARD auf dem Gelände drehen. Filmemacher Manuel Möglich sollte einen Vertrag unterzeichnen, der mit der Pressefreiheit in keiner Weise vereinbar gewesen wäre. In einem Youtube-Video zitiert er Passagen, in denen sich die sächsische Polizei die Entscheidungsgewalt über Inhalt und sogar den Titel der Reportage einräumen lassen wollte. Eine Sprecherin des Präsidiums der Bereitschaftspolizei Sachsen bekennt mir gegenüber schriftlich »offenkundige« Probleme im Umgang mit Medienvertretern. Und nun streife ausgerechnet ich durch die Räume einer Polizeischule, die um ihren Ruf kämpft – in meiner journalistischen Arbeit kommt die Polizei nicht immer gut weg.

Aber ich bin nicht zum ersten Mal hier. Im August 2019 startete die sächsische Bereitschaftspolizei ein Projekt, um die Zusammenarbeit mit den Medien zu verbessern: Gastvorträge von Journalisten und Medienrechtlern, Fortbildungen für das Lehrpersonal und speziell geschulte Einsatzmoderatoren in den Hundertschaften.

Ein freundliches »Vorsicht, bitte!"

Auch eine große Praxisübung war Teil der Fortbildung. Damals konnte ich erstmals einen Fuß auf das Außengelände des Polizeistandorts setzen. Ich simulierte meine Arbeit als Berichterstatter, während Bereitschaftspolizisten den Einsatz rund um ein Klimaprotest-Camp nachstellten. Polizisten in Zivil spielten die Demonstrierenden, oder was sie sich unter einem Klimacamp samt entsprechender Demo vorstellten. Ich stand zwischen behelmten Beamten, die von ihren mit weißen Einwegoveralls verkleideten Kollegen per Megafon angebrüllt wurden, weil »die Scheißbullen schon wieder ohne jeden Grund eskalieren«. Als Wasserbomben flogen und das Spiel hektischer wurde, passierte mich ein Einsatztrupp mit gezücktem Schlagstock und einem freundlichen »Vorsicht bitte!«. »Wenn die Kommunikation im realen Einsatz auch so entspannt laufen würde, wäre das ein Traum«, lautete die einhellige Meinung von Journalisten und Polizeiführern.

Am Ende der Übung fuhr ein Wasserwerfer vor. Den würde man in der Realität bei einer solchen Situation nicht einsetzen, erklärte ein begleitender Beamter – keine Notwendigkeit, außerdem fehle die Rechtsgrundlage. Sekunden später prasselte der Wasserstrahl auf junge Männer und Frauen, die bei Sitzblockaden sonst auf der anderen Seite stehen. Übung ist eben Übung. An diesem Oktobermorgen geht es in den Tatorträumen der Polizeischule Leipzig hingegen gewaltfrei zu. »Wohnungseinbruch« steht auf dem Lehrplan, ein Praxistest im Fach Kriminaltechnik. 15 Polizeischüler sollen in Dreierteams Spuren sichern und Zeugen vernehmen.

»Aloha Beach Cup – BFE Leipzig«

Zwischen quietschendem PVC-Boden und weißen Neonröhren hängt der Geruch eines jeden alten Schulkellers. Konzentriert vermessen die Schüler Einbruchsspuren am Türrahmen, befragen eine Mitschülerin, die das Einbruchsopfer spielt, und sichern Fingerabdrücke auf einer rustikalen Schrankwand. 2005 wurden die Tatorträume der Schule mit aussortierten Privatmöbeln der Ausbilder ausgestattet – für neue habe das Geld gefehlt, kommentiert der Schulleiter. Auch ein Stockwerk höher versprühen die Unterrichtsräume den verblassten Glanz früherer Jahrzehnte. Die schwarze Kaffeemaschine, die hinter der Tür des Klassenzimmers leise blubbert, und die Uniformen der Schüler verraten, dass man sich nicht in einer beliebigen öffentlichen Schule befindet. Urkunden an der Wand zeugen von sportlichen Erfolgen, auf einem Schrank verstaubt ein Holzpokal in Form einer Ananas mit dem Schriftzug »Aloha Beach Cup – BFE Leipzig«.

Was ich an diesem Tag nicht sehe, sind angehende Polizisten mit sichtbarem Migrationshintergrund. Ob mein Eindruck täuscht, kann mir die Schulleitung nicht beantworten. Während zahlreiche Bundesländer derzeit bei ihrem Polizeinachwuchs Wert auf Vielfalt unter den Beamten legen, sind in Sachsen zum Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in den Behörden nicht einmal Zahlen erfasst. Zahlen, die hingegen bekannt sind: 2018 wurden sieben Disziplinarverfahren gegen sächsische Polizeischüler eingeleitet, weil diese gegen ihre beamtenrechtlichen Pflichten verstießen oder ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wurde. Nach den Rassismusvorwürfen des ehemaligen Leipziger Polizeischülers Simon Neumeyer wurden Ermittlungen gegen drei Personen eingeleitet. Zwei davon sind nicht mehr im Polizeidienst, in einem Fall habe sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt, sagt eine Sprecherin.

»Leider Gottes Einzelfälle«

Ist es wirklich so einfach? Rechte Skandale statt kultureller Vielfalt? Ich möchte wissen, was angehende Polizisten und Ausbilder über die Negativschlagzeilen denken. »Klar bekommt man das mit«, sagt Polizeiausbilder Maik E. über den Skandal an der Leipziger Polizeischule. Beschädigt sei ihr Ruf deswegen aber nicht, meint der Polizeioberkommissar. »Es sind leider Gottes Einzelfälle, die aber auf uns insgesamt zurückfallen.« Auch Polizeischüler Stephan P. sieht das Renommee der sächsischen Polizei durch rechte Skandale nicht beeinträchtigt. Der 32-Jährige hat 2017 die Ausbildung zu seinem »zweiten Traumberuf« begonnen. Früher war er als Zeitsoldat in Afghanistan, mit der Polizei reiste er im Rahmen eines Projekts deutsch-israelischer Freundschaft nach Israel und Palästina. Er erzählt von Besuchen in Polizeiakademien und Flüchtlingsunterkünften in Tel Aviv und Hebron. »Man sieht, wie gut es uns hier geht«, sagt P.

Auch er spricht von Einzelfällen und schwarzen Schafen, wenn ich ihn auf Kritik an der Polizei anspreche. Ausführlich referiert er über Mitschüler, die unter dem Polohemd der Uniform T-Shirt tragen. Nachlässigkeit im Dresscode als zentraler Kritikpunkt? Ich hake nach, frage nach den großen Schlagzeilen der letzten Monate. Klar, die Rassismusvorwürfe seines ehemaligen Mitschülers Simon Neumeyer seien im letzten Jahr unter den Polizeianwärtern ein großes Thema gewesen, erzählt er. »Wir reden darüber und sagen uns: ›So gehts natürlich überhaupt nicht!‹«, sagt P. Er gibt zu bedenken, dass nicht alles, was ausgesprochen wird, auch so gemeint sei. Er wisse nicht genau, welche Worte damals gefallen sind. Ruft man ihm die konkreten Vorwürfe in Erinnerung, sagt er: »Lieder einer Naziband singen geht natürlich überhaupt nicht. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig.«

»Blue wall of silence«

Für einen Moment frage ich mich, ob er uns beide meint. Zweifel daran, dass er mit voller Überzeugung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt, lässt Polizeischüler P. keine Sekunde aufkommen. Gleiches gilt für Ausbilder Maik E. Eine deutliche Aussage zu rechtsextremen Vorfällen in der sächsischen Polizei fällt beiden jedoch sichtlich schwer. Die Polizeiforschung benutzt dafür den Begriff der »blue wall of silence«, die Uniformierte von Zivilisten trenne. »Alles, was ich als Polizist an Fehlern meiner Kolleginnen und Kollegen sehe, halte ich innerhalb der Mauer«, so beschreibt Soziologe und Kriminologe Joachim Kersten das Phänomen. Auch in der politischen Führung und unter Verantwortlichen in der Polizei gebe es eine Scham, Missstände einzugestehen, erklärt er in einem Aufsatz.

Es ist später Nachmittag, als ich mich bei einer abschließenden Kaffeerunde im Präsidiumsbüro verabschiede. Kurz vor Ende meines Besuchs scheint sich die Stimmung für wenige Sekunden einzutrüben. Ich spreche den Fall des Leipziger Bereitschaftspolizisten Fernando V. an. 2015 wurde bekannt, dass der Polizist mit dem bundesweit vernetzten Neonazi Alexander Kurth freundschaftliche Nachrichten schrieb. Mittlerweile arbeitet Fernando V. als Ausbilder an der Polizeischule Leipzig. Auf eigenen Wunsch, erklärt man mir jetzt. Das damalige Disziplinarverfahren wurde eingestellt. Wir nippen an unseren Kaffeetassen, nicken stumm. Wenige Minuten später stehe ich bei leichtem Nieselregen wieder jenseits des Tors der Leipziger Polizeifachschule, die schmucklosen Zweckbauten und eine blaue Mauer im Rücken.


Kommentieren


0 Kommentar(e)