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Kultur

»Selbstverständlich, hier zu sein«

Lofft-Leiterin Anne-Cathrin Lessel über den neuen Standort und noch frischere Pläne

  »Selbstverständlich, hier zu sein« | Lofft-Leiterin Anne-Cathrin Lessel über den neuen Standort und noch frischere Pläne

Genau 224 Tage ist Anne-Cathrin Lessel im Amt, als sie den kreuzer zum Gespräch im Lofft trifft. Darin geht es um das Ankommen auf dem Spinnereigelände, Verstetigung der künstlerischen Arbeit, Mixed-abled und Weihnachtsmärchen.

kreuzer: Ist das Lofft in der Spinnerei angekommen?

ANNE-CATHRIN LESSEL: Es fühlt sich angekommen an. Ob das stimmt, muss man das Publikum oder Judy Lybke fragen. Im Ernst, wenn ich am alten Haus vorbeifahre, ist das ganz weit weg. Es fühlt sich selbstverständlich an, hier zu sein. Der Tanzpreis, das Industriekulturfestival, die ersten Koproduktionen: Da waren einige Highlights dabei und die ersten Monate intensiv.

kreuzer: Läuft der Kontakt zu anderen Spinnerei-Akteuren?

LESSEL: Wir waren schon vorher auf den Rundgängen präsent und bauen jetzt über persönliche Beziehungen intensiveren Kontakt auf, um Längerfristiges zu schaffen. Für den künstlerischen Beirat haben wir Arne Linde von der ASPN-Galerie eingeladen. Wir haben toll gestritten und das war bereichernd. Was uns alle eint, ist das Zeitgenössische.

kreuzer: Das Publikum findet Sie am neuen Ort?

LESSEL: Die versprochene Busanbindung ist noch nicht da. Das ist für unseren Nachbarn, das Leipziger Tanztheater, und uns ein Problem. Besonders was die Barrierefreiheit angeht. Es ist eine Herausforderung, mit dem Rollstuhl von den Tramhaltestellen über nicht abgesenkte Bordsteine und unebene Wege hierher zu kommen. An dem Punkt arbeiten wir noch. Wobei den Zahlen nach das Publikum wuchs.

kreuzer: Woran liegt das?

LESSEL: Vielleicht auch am Laufpublikum, das wir vorher nicht hatten. Die Menschen schauen sich tagsüber das Gelände an, entdecken uns und kommen abends wieder. Das sind auch Menschen von außerhalb und wir erreichen mehr Ältere. Damit hatten wir nicht gerechnet.

kreuzer: Sie wollten auch die Grünauer speziell ansprechen …

LESSEL: Das machen wir schon. Über die Villa haben wir mit dem Komm-Haus eine enge Verbindung, sind im Gespräch mit dem Quartiersmanagement und dem Theatrium. Über besondere Formate, wie eine Zukunftswerkstatt für Senioren, erreichen wir andere Interessierte. Das läuft Schritt für Schritt.

kreuzer: Soziokulturell wollen Sie nicht agieren?

LESSEL: Nein, wir werden immer ästhetische Setzungen vornehmen, auch wenn wir vielleicht beim Kultursommer dabei sind. Und wir werden keinen Theaterjugendclub aufmachen, das können andere schon gut. Unsere Hauptkompetenz bleibt die Kunst. Es geht um Netzwerkstrategie, um zu schauen, was sich entwickeln kann.

kreuzer: Aber mehr für Jugendliche zu öffnen, ist ein Ziel?

LESSEL: Genau, Tanz für junges Publikum geht am letzten Märzwochenende mit einem Mini-Festival an den Start. Das bedient Positionen, die es bisher in Sachsen nicht zu sehen gab. Wir wollen, dass Kinder zeitgenössischen, internationalen Tanz sehen können. Das Festival ist ein Auftakt dazu. Ich selbst komme ursprünglich ja auch aus dem Kinder- und Jugendtheater.

kreuzer: Wo waren Sie aktiv?

LESSEL: Am Berliner Theater an der Parkaue habe ich verschiedene Formate als künst-lerische Assistenz und in der Dramaturgie mitgestaltet. Dort haben wir vor zehn Jahren schon mit freien Gruppen zusammengearbeitet.

kreuzer: Welche Möglichkeiten ergeben sich aus der neuen Infrastruktur im Haus?

LESSEL: Künstler können jetzt länger bleiben, was das Zusammenarbeiten enger gestaltet. Wir können während der Probenprozesse die Tür fürs Publikum aufmachen und der künstlerische Austausch ist durch die räumliche Nähe besser. Büro und Proberäume waren am alten Lofft-Standort ja nicht im selben Haus. Durch diese längere Künstlerbindung kann das Publikum eine Beziehung zu ihnen aufbauen, ähnlich wie beim Stadttheaterensemble. Kooperationen mit regionalen Partnern sind so leichter möglich. Wenn Künstler ohnehin hier sind, ist es einfacher, siezum Beispiel für ein Gastspiel nach Halle einzuladen. Wichtig dabei ist, dass zum Beispiel die Sebastian Weber Dance Company die erste Konzeptionsförderung der Stadt Leipzig erhalten hat und so nun auch langfristig sicher am Lofft arbeiten kann.

kreuzer: Mit dem Thema Mixed-abled, also der Arbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung, geht es auch weiter?

LESSEL: Da sind wir in der Pilotphase. Es soll eine eigene professionelle Company am Haus geben, was eine qualitativ neue Stufe ermöglicht. Aktuell müssen die behinderten Tänzer und Tänzerinnen entweder in den Werkstätten gegen ein Ausfallhonorar freigestellt werden oder Urlaub nehmen. Wir wollen sie dort ausgliedern und entweder anstellen oder auf andere Art finanzieren. Da suchen wir gerade nach dem besten Modell.

kreuzer: Und sie damit als gleichrangige Künstler ernst nehmen?

LESSEL: Genau. Sie sollen keine Behinderten sein, die mal Schauspieler oder Tänzer spielen. Die Testphase in der Finanzierung durch das Land Sachsen läuft bis 2021. Für die künstlerische Leitung konnten wir glücklicherweise Gustavo Fijalkow gewinnen. Er ist international im Mixed-abled-Tanz unterwegs und in dem Bereich eine Hausnummer. Fijalkow ist nach Leipzig gezogen und für die Stadt ein absoluter Gewinn.

kreuzer: Anders als andere haben Sie das Mixed-abled nie aus Mode bedient – ist die Company eine Verstetigungdieser Arbeit?

LESSEL: Das Thema beschäftigt uns schon lange. Wir haben immer wieder Klinken geputzt, und es braucht, bis es reift. Barrierefreiheit ist uns als ganzheitlicher Anspruch wichtig. Wir haben entsprechende Mitarbeiterschulungen fürden angemessenen Umgang, damit Menschen mit Beeinträchtigungen hier einen sicheren Raum vorfinden. Damüssen wir uns ja auch selbst immer in Frage stellen, sind wir schon da? Das Haus hat ja auch noch Kinderkrankheiten.

kreuzer: Ein Beispiel?

LESSEL: Die Türklinken hatte ich schon beim Bau bemängelt. Es hieß, nach einer DIN-Norm können diese von Behinderten bedient werden. Stimmt aber nicht. Jetzt bauen wir mithilfe zusätzlicher Landesfördermittel aus dem Bereich Inklusion elektronische Taster. Oder eine Audiodeskriptions-Anlage. Die zu mieten, war immer sehr teuer. Daher haben wir uns durch Inklusionsmittel des Landes selbst eine leisten können. Und diese wollen wir nun auch anderen zur Verfügung stellen, wenn Bedarf besteht. Das entspricht auch unserem Netzwerkdenken.

kreuzer: Der Running Gag muss sein: Kommt das Lofft-Weihnachtsmärchen?

LESSEL: Natürlich nicht. Aber wir werden weiter im Bereich Cirque Nouveau arbeiten, also Akrobatik mit narrativen Elementen. Mir schwebt ein Festival für Neuen Zirkus im Winter vor. Wir sind da auch im Gespräch mit dem Krystallpalast, um nicht in fremden Feldern zu wildern. Die Bindung zum Tanz ist spannend und erfüllt genau jene Schnittstellenarbeit, die wir als Aufgabe des Lofft sehen.

kreuzer: Wie steht es um die lokale Förderung?

LESSEL: Die verfolgen wir genauso weit, die Werkstatt bleibt bestehen, es gibt das Artist-Development-Programm. So kommen etwa durch die Werkstatt immer auch junge Impulse zu uns. Wir begleiten weiterhin Künstler und entlassen sie dann, damit sie weitere Schritte gehen, die wir nicht ermöglichen können. Niemand soll sich auf Lebenszeit an uns verpflichten. Es ist ein Geschenk, jemanden eine Weile begleiten zu können.


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