Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal beruhigt sich Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz mit der Neuübersetzung des DAO DE JING.
Nach dem Verschlingen zahlreicher Romane, die schon lange ungelesen herumlagen, muss man sich doch eingestehen: Es braucht nachhaltigeres! So schön es ist, sich abzulenken – sobald das Buch zugeschlagen wird, merkt man ja doch wieder, dass die Welt sich im Ausnahmezustand befindet.
Die Aphorismensammlung des geheimnisvollen Weisen Lăo Zĭ ist in mehrfacher Hinsicht geeignet, um das eine Buch zu werden, welches sich bis zum Ende der Krise immer wieder konsultieren lässt.
Ein Grund wäre da die Kürze der einzelnen Abschnitte. Nur wenige Seiten umfassen der chinesische Originaltext, die Übersetzungen und die dazu gehörenden Erläuterungen. So kann man die Dosis an Lebensweisheiten niedrig ansetzen und bei Bedarf steigern. 81 dieser kleinen Kapitel gibt es, und sollte man jeden Tag eines davon studieren (bleibt zu hoffen, dass diese Frequenz einen bis zum Ende der Quarantäne durchhalten lässt).
Ausserdem haben es die kurzen Texte wirklich in sich – vergleichbar etwa mit einem Müsliriegel, der, dass muss zugegeben werden, länger satt hält als eine Packung Schokobons. Das gehaltvolle Nachsinnen des Lăo Zĭ bildet noch heute die Grundlage des Daoismus und ist nicht nur für Anhänger der gleichnamigen chinesischen Religion ein Standardtext. Abseits davon liest sich die zugrundeliegende daoistische Philosophie nämlich als exzellente Handlungsanweisung für Denken und Handeln in Zeiten von Ausgangssperre und Isolation.
Besonders wichtig: »Werden rare Güter nicht überbewertet, führt es das Volk nicht in die Versuchung zu stehlen.« Hamsterkäufe und das Horten von Toilettenpapier sind keine angemessene Reaktion auf die Tatsache, dass es keine Versorgungsengpässe gibt!
»Daher verbleibt der im Einklang Stehende bei der Verrichtung der Ungeschäftigkeit.« Egal ob es etwas zu tun gibt oder nicht – einfach machen. Die Zeit vergeht.
Und um den Seelenfrieden dabei nicht zu verlieren: »Besser als sich vielen, sich rasch erschöpfenden Diskussionen hinzugeben, ist es, die eigene Zentrierung in der Leere zu bewahren.«
Wem das zu einfach ist, der möge über folgendes Nachdenken: »Der Raum zwischen Himmel und Erde, gleicht er nicht einem Blasebalg?!«
Antworten bitte an: Linn Penelope Micklitz