Es ist reichlich darüber gestritten worden, was nun genau einen Comic ausmacht. Mit Begriffen wie »Graphic Novel« sollten die Bildgeschichten noch einmal eingekreist werden. Aber taugt das?
Mal schauen, was ein Sachcomic der Superlative bereithält. Scott McCloud charakterisiert den seiner gezeichneten Reflexion »Comics richtig lesen« als sequentielle Erzählung in Bild und Schrift. Dies reicht anderen als Definition zu weit, denn demgemäß wären bereits altägyptische Grabmalereien ebenso Comics wie der mittelalterliche Teppich von Bayeux, der von der Eroberung Englands berichtet. Deshalb werden Comics im engeren Sinne mit der Verbreitung in Massenprintmedien verbunden. Im Jahr 1896 entwickelte der US-Amerikaner Richard F. Outcault den ersten Comicstrip. Sein »Yellow Kid« fand bald Nachahmer und diese »funnies« und »comics« füllten die Zeitungsbeilagen. In der anglophonen und frankophonen Welt erschienen eigene Hefte mit Superheldengeschichten à la »Superman« oder getintete Abenteuer von »Tim und Struppi«. Der Meisterdetektiv »Nick Knatterton« ermittelte ab 1950 im ersten deutschen Comic-Strip, die ersten deutschen Heftserien folgten mit »Sigurd« und »Fix und Foxi«. Als Pendant in der DDR wurden 1955 die »Bilderzeitschriften« – Comics wollte man nicht benutzen – »Atze« und »Mosaik« gegründet.
Die Verschmelzung von Text und Bild macht die Besonderheit des Comics gegenüber anderen Erzählformen aus. Sie besitzen eine eigene Dramaturgie, bei der jedes Einzelbild jeweils eine Art eingefrorenes Tableau bildet. In diesem sind Raum und Zeit in einer Fläche zerlegt. Den Handlungszusammenhang konstruiert der Leser dabei in seiner Fantasie, denn er verknüpft die Einzelbilder zu einer Geschichte. Die eigentliche Übersetzungsleistung findet zwischen den Bildern statt. Das kann kunstvoll ausfallen oder hingeworfen sein – die weiter unten vorgestellten Comics dokumentieren die Vielfalt.
Und woher kommt nun die »Graphic Novel«? Der geschätzte Will Eisner führte den Terminus ein, um seine Werke zu kennzeichnen. Da im Begriff »Comic« die Reminiszenz an den komischen Ursprung in den lustigen Strips enthalten ist, soll die Bezeichnung »illustrierter Roman« einen seriöseren Inhalt anzeigen. Erstmals bezeichnete er 1978 seinen Comic »Vertrag mit Gott« über einen jüdischen Migranten in New York als Graphic Novel, was manche als Begründung eines neuen literarischen Genres ansehen. Die Qualität der Geschichte und Erzählweise ist dabei unbenommen, Eisner war ein Meister des Fachs.
Aber wenn Graphic Novels demnach analog zur Literatur grafische Erzählungen sind, was sind dann die anderen Comics? Grafisches Stammeln? Wie jede Kategorisierung kann auch diese sich nicht klar abgrenzen. Warum zum Beispiel ist »Asterix« (R.I.P., Uderzo!) keine anspruchsvolle grafische Erzählung? Immerhin kommt auch mal Latein drin vor. So taugt der Begriff eher als Marketinginstrument und war als solches sehr erfolgreich. Auch wenn man älter als zwölf ist, muss man sich nicht mehr dafür entschuldigen, Lektüren in Text und Bild in der Öffentlichkeit zu lesen. Hätte man vorher auch nicht gemusst, aber immerhin soziale Normen verletzt. Mit unten vorgestellten Comics werden Sie sogar Gefahr laufen, beim Schmökern angesprochen und gefragt zu werden, was Sie denn da hübsches Lesen.
Oh Schreck, TaubendreckDie ist die Geschichte vom König, dem keine Taube auf den Kopf kacken durfte. Nein, nicht verlesen, genau darum dreht sich die Story in »Die Schöne und die Biester«. Frauke Berger – wir haben an dieser Steller ihre Erstlingsserie »Grün« für sehr gut befunden – hat Boris Kochs märchenhaftes Nicht-Märchen in hauchzarte Bilder getuscht und gepustet.Eine betrunkene Elfe prophezeit dem König ein Regime Change, sollten Tauben seinem Sohn auf den Kopf defäzieren. Also hat der Sohn meist Dienst im Schloss-Home-Office und muss ansonsten einen Hut tragen. Derweil sind alle Tauben als Freiwild dem Abschuss freigegeben, leidet das Volk unter den vielen Sicherheitsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass den Sprössling Taubenscheiße trifft. Zum Glück tritt die kluge Bäckerstochter namens Hänfling auf den Plan.Mit viel Witz ist die Fantasy-Fabel gespickt, die schönen Zeichnungen mit feiner Linienführung fallen nicht zu niedlich aus und gefallen insgesamt in ihrer Eleganz. Das liegt auch am luziden Farbeinsatz: die Seiten sind bunt, aber zurückhaltend, haben etwas Aquarellhaftes. Ein nette Idee ist die Geschichte in der Geschichte, oder besser: nach der Geschichte. Das stellt der Hofchronist klar, wie es wirklich war und wo Koch und Berger geklaut hätten. Ein Lesegenuss und Augenschmaus.
Schicksal mit BlauwalIst das ein Comic? Ja klar, auch wenn die Protagonisten nicht mehr sind als Icons und Pünktchen, die meiste Zeit in Tabellen, technischen Zeichnungen und Infografiken erzählt wird. Protagonist Simon – erkennbar als kleiner Kreis –, wird von blöden Bullys herumgeschubst, weil er dick ist und keine Kippen hat. Weil eine Wahrsagerin ihm einen Tipp gibt, gewinnt er Millionen beim Pferderennen, die ihm sein falscher Vater aber abluchst, während ein Unbekannter Simons Mutter ins Koma prügelt. Simon kommt ins Heim und nur ein Blauwahl kann das Schicksal des Jungen noch wenden.Diesen Comic ungewöhnlich zu nennen, ist eine Untertreibung. Solch eine Erzählung hat man noch nicht gesehen; naja: fast. Zeichner Martin Panchaud hat in ähnlichem Stil schon eine »Star Wars«-Adaption vorgelegt, die einen Eindruck gibt. Sein neuer Comic »Die Farbe der Dinge« erzählt eine traurige Geschichte in nüchternen Bildern. Nur aus den Dialogen der Überblicksgrafiken erfährt man etwas über die Gefühlslagen der Charaktere. Ihr Äußeres müssen sich die Lesenden selbst vorstellen. Es ist diese seltsame Distanziertheit, bei der man doch dicht am Herz der Story ist, die eine ganz eigene Kraft entwickelt.
Der kleine ExorzistAlan C. Wilder, dessen Vater gerade verstorben ist, muss allein die Familienfirma Wilder Ltd. führen. Kein Problem, denn dafür wurde er gemacht und ausgebildet – und der Vater ist ja auch nicht aus der Welt. Weil Alan Geister und anderes Gespuks sehen kann, ist der Vater nicht weit und zur Recherche wie Plauderei bereit. Alans erster Fall dreht sich um eine alte weiße Dame, die Hunde über die Klippe, ähm: Brücke springen lässt. Was geht da vor?Mit feinem Humor erzählen Patrick Wirbeleit und Ulf K. diese Turbulenzen für große und kleine Geisterjäger. Nicht nur Kindern wird dieser Band, der eine Serie um Ghostbuster Junior eröffnet, ans Herz gehen. Die auf das Wesentliche reduzierten Zeichnungen sind ausdrucksstark und lassen einen Gruselfaktor zu. Wer noch kein Comic-Fan ist: Alan C. Wilder wird das mit Hirn, Charme und Maskottchen ändern.
Lila, Pink, NeongrünLukas Kummer ist eine Nummer. Ganz ehrlich. Einen nach dem anderen Supercomic haut der raus. Schon sein Erstling »Die Verwerfung« über die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges wusste als Warnung vor der Barbarei zu beeindrucken. Nun legt er mit »Prinz Gigahertz« eine Dystopie aus der fernen Vergangenheit in einer fernen Welt vor. Seine Fantasy-Science-Fiction um die furchtbare Kollision zweier Dimensionen ist wild erzählt und besticht besonders durch expressive Farb- und Formgebung. Wurstige Knollennasenmenschen treffen da auf schnurgerade technische Linien und Schraffuren. Die Mondlandschaften – mit und ohne Ritterburg – fallen in ihrer Ödnis besonders beeindruckend aus. Zusammen mit den leuchtenden Farben, gern auch in Lila, Pink und Neongrün, schwören sie eine Arcade-Videospiel-Ästhetik der 80er heraus. Das passt zur im Grunde schlichten Geschichte, Bilder und Story fügen sich zur Einheit aus einem Guss.
Ralph Azham!Zu guter Letzt: Ralph Azham kehrt einmal noch zurück, um sich zu verabschieden. Meister Lewis Trondheim schließt die zwölfbändige Reihe, in der er die Fantasy-Welt im Stil des Animal-Funnys hofiert und parodiert. »Loslassen« heißt der finale Band, dessen Fahrt durch die Panels gewohnt rasant wie chaotisch ist. Und ja: Ralph mag nicht mehr. Nur noch einen König köpfen, dann endlich seine Ruhe haben. Zum niederknien.