Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal erfährt Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz was die Welt im Innersten zusammenhält.
Der Tag ist lang und sonnig und plötzlich fällt die Erkenntnis wie das Licht in den Raum: Es ist staubig. Der Winter steckt noch in Wänden, die Kinder und Katzen dürfen nicht hinaus und produzieren so viel Dreck, als würden sie sich permanent selbst erneuern. Der Gedanke ans Putzen stellt sich ein. Doch innegehalten! Vor übereilter Handlung empfiehlt sich die Lektüre von Joachim Kalkas Montage-Essay »Staub«, »ein Text ohne legitimen Anlaß, aber mit zwingendem Interesse«. Kalkas Streifzug durch die Welt, in der Staub und Literatur zusammentreffen, ist gleichermaßen unterhaltsam wie erkenntnisreich. Mit ihm betreten wir Oblomows Zimmer, Fausts Studierstube, die Räume von Miss Havershams in Dickens »Große Erwartungen« und die Müllhalde des »golden dustman«. Und wir lesen von Heym, Lukrez, Storms Regentrude und Omar Khayyám. Anhand zahlreicher Klassiker der Kriminalliteratur beweist Kalka mit der »Magie der Staub-Analyse«, dass sich die Wahrheit oft im kleinsten Korn findet. Und wer hätte gedacht, dass es so wunderbare Worte wie Staubgerichtsbarkeit, Staubsieben und Sonnenstäubchen gibt?
Wer sich für Staub trotz allem nicht erwärmen kann, dem sei eine andere unterschätzte Materie empfohlen: Schleim. Während Staub im Allgemeinen nur Niesen und ein Kribbeln in der Nase hervorruft, ist Schleim nicht selten Auslöser allumfassenden Ekels. Susanne Wedlich macht in »Das Buch vom Schleim« aus der Naturkunden-Reihe des Verlags Matthes & Seitz den widerwärtigen ersten Eindruck von »Hydrogelsystemen« durch spannende Fakten und verblüffende Phänomene wett. Außerdem beantwortet sie die wirklich wichtigen Fragen des Lebens: Ist eine Katze flüssig oder fest? Wo liegt »Meeresschnee«? Warum werden Frauen immer noch »als das vermeintlich schleimigere Geschlecht« diskriminiert? Und weshalb schmuggelte Patricia Highsmith Schnecken in ihrem BH über die französische Grenze?
Während die Sonne untergeht und der Staub unsichtbar wird, wischen wir den Kindern den Rotz von der Nase und denken: Vielleicht ist Schleim das Ding, aus dem alles Leben kommt und Staub jenes, zu dem alles Leben einmal wird. Aber lassen wir Staub Staub und Schleim Schleim sein und halten es mit Paul Verlaine, der so schön festgestellt hat:
»Sieh, immer stäubt durch irgendein Loch die Sonne – schlaf doch ein, den Ellbogen auf den Tisch gestützt.«