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Stadtleben

Männer und Menschheit

Kolumne: Eine Saison mit Rasenballsport Leipzig

  Männer und Menschheit | Kolumne: Eine Saison mit Rasenballsport Leipzig

Im zehnten Teil ihrer Kolumnen beleuchtet das Blogkollektiv Zwangsbeglückt die Gemeinsamkeiten von RB Leipzig und dem Sozialismus.

Wir dachten schon, unsere Kolumne vorzeitig abbrechen und stattdessen wieder als Ghostwriter bei »Post von Wagner« arbeiten zu müssen, doch siehe da: Der Bundesligaball rollt! Mannschaft, Trainerteam und Anhang inklusive Pressesprecher Guido Schäfer dürfen wieder – mit Abstand – ins Stadion und Punkte sammeln im Kampf um die Meisterschaft, für die schon jetzt eine zehnseitige Sonderausgabe der »ZEIT im Osten« vorbereitet wird.

Während andere Vereine den Ausschluss von weiteren Zuschauern als Verlust empfanden, schien am Cottaweg eher gute Stimmung aufzukommen. Die Saisonvorschau wurde folgerichtig mit einem schmissigen »Stay away so we can play!« untertitelt. Absolut zielsicher wurde das eigentliche Problem unserer Fußballmoderne identifiziert: das Publikum. Im Grunde nur lästige Menschenmassen, die rumkrakeelen, schmutzen, irgendeine eigene Meinung haben und teilweise sogar ohne Familie anrücken. Sowas braucht kein Unterhaltungsunternehmen, insofern: Bitte wegbleiben, wir müssen arbeiten.

Nicht nur in solchen Momenten werden Teile unserer Kolumnen-Redaktion an ihre Sozialisation im Sozialismus erinnert. Nun ist es zwar nicht so, dass man bei RB sozialistische Verhältnisse herbeisehnen würde; die Rote Republik mit der Hauptstadt Fuschl am See sähe doch eher neoliberal und sehr privateigentümlich aus. Es lässt sich da aber doch ein Zug beobachten, der einen an das 20. Jahrhundert erinnert und den Versuch, ganz pragmatisches Alltagshandeln (»Ich will einfach nur Fußball gucken«) mit dem ganz großen Besteck der gesellschaftlichen Geste zu verbinden.

»Stay away so we can play« erinnert etwa an das gute alte »Hände weg von Nicaragua!«, das in den 1980er Jahren überall plakatiert wurde und vor dem Zugriff der imperialistischen USA warnte. Nur dass diesmal der Profifußball die Sandinistenrepublik ist, die vor dem Zugriff der infektiösen Zuschauer gerettet werden muss, bevor sie noch schlimmeren Mächten (Merkel, Drosten, Vernunft) anheimfällt.

Noch besser gefiel uns in diesem Zusammenhang aber ein Interview von Generalsekretär Rangnick. Inmitten der Diskussionen um einen von Vielen als verfrüht angesehenen Wiederbeginn der Bundesliga meinte Rangnick, ein solcher Start hätte eine »große Signalwirkung für die Gesellschaft«. Das schien ihm dann aber doch noch zu wenig, und so legte er nach und behauptete eine positive Ausstrahlung »für die gesamte Menschheit«. Das kann man sich ruhig mehrmals durchlesen und auf der revolutionären Zunge zergehen lassen: die gesamte Menschheit.

Wer hier auf einen Ausrutscher oder ein »Das hat er doch nicht so gemeint« hofft, kann sich ja mal selbst befragen, wann man zuletzt, quasi aus Versehen, von der gesamten Menschheit sprach. Wobei das vermutlich noch eine sachlichere Grundlage hätte, wenn beispielsweise die Corona-geschlossenen Bordelle behaupten würden, von ihrer Wiederöffnung profitiere die gesamte Zivilisation, von den wieder eröffneten Bars dann die gesamte Weltgeschichte.

Die DFL sollte sich vielleicht weniger darüber wundern, wieviel Gegenwind sie für ihr Drängen auf Wiederbeginn bekam, sondern eher, wie wenig Unterstützung sie von Seiten der Fans erfuhr. In unserer Welt würde einem das zu denken geben; in der Welt von Seifert, Mintzlaff und Co. ist das höchstens drittrangig. Die großartige Simone Buchholz brachte das zuletzt sehr präzise auf den Punkt, als sie die derzeitige Prioritätenliste beschrieb: »Männer in ihren Autos und mit ihren Fußbällen zuerst in die Rettungsboote. Frauen und Kinder bitte auf dem sinkenden Schiff bleiben.«Wir bleiben jedenfalls weiterhin auf Abstand.


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