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Kultur

»Antifaschismus taugt nicht als Denkmal«

Bis zum 30. April ist die Ausstellung »Erinnerung als höchste Form des Vergessens« im Kunstraum Ideal zu sehen

  »Antifaschismus taugt nicht als Denkmal« | Bis zum 30. April ist die Ausstellung »Erinnerung als höchste Form des Vergessens« im Kunstraum Ideal zu sehen  Foto: Ute Richter

Eine große graue Wand hängt neben dem Schaufenster des Kunstraums Ideal am Neustädter Markt. Sie zeigt schwarz-weiß Aufnahmen aus der Serie »geb. 7. Oktober, Alexandria, gest. 1. Juli 2009, Dresden (ein Kommentar)« von Susanne Keichel. Zu sehen sind Momente und Personen bei Gedenkfeiern an die Ägypterin Marwa Ali El-Sherbini, die als Zeugin in einem Prozess zu Islam- und Ausländerfeindlichkeit erstochen wurde.

Wie kann an so ein Ereignis erinnert werden? Wie gehen die Menschen mit der Tat um? Die Fotografien zeugen von einer Unsicherheit, denn Erinnerungskultur ist nicht etwas, was überall nach einem festgestanzten Muster funktioniert.

Ganz im Gegenteil: Erinnerungen formen sich aus dem individuellen und gesellschaftlichen Gedächtnis. Oftmals verschütten sie den eigentlichen Grund des Gedenkens, das zu einem formalen Akt verkommt – weit weg von Empathie und kritischer Reflexion, die Bezüge zur Gegenwart schaffen. Stattdessen führen Gedenkmythen, -rituale und -gesten zu Formen des stereotypen Gedenkens. Auf ein Nachdenken gegenüber antifaschistischer Gedenkformen und Erinnerungskultur in der DDR sowie Kontinuitäten, die vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart reichen, zielt das dreiteilige Ausstellungsprojekt der Leipziger Künstlerin Ute Richter mit dem Titel »Erinnerung als höchste Form des Vergessens«, die in ihrem dritten Teil - Akt III genannt - aktuell im Kunstraum Ideal zu sehen ist.

Akt I fand im vergangenen November in der Stadtbibliothek statt. Bei ihm hielt Felicitas Kübler einen Vortrag zum Thema »Vom Abwerfen und Erfahren der Vergangenheit: Ein widersprüchliches Modell des Gedenkens« und Angelika Waniek zeigte eine Performance zu »Abwurfstelle: Many happy returns«. Das Aufhängen eines 30 Meter langen Banners über den Karl-Heine-Kanal stand im Mittelpunkt von Akt II Anfang Januar. Nun im Akt III hängt das Banner mit der Aufschrift »Antifaschismus taugt nicht als Denkmal« im vorderen Raum des Kunstraums Ideal. Die Performance mit dem Aufhängen des Banners über den Kanal konzipiert von Ute Richter und Angelika Waniek mit dem Slacknetz Leipzig zeigt ein Video von Julia Jaschnow mit einer Tonspur von Ipke Starke. Hierbei verbinden sich Windgeräusche, Störtönen und Zitate aus Kurt Barthels Thälmannlied aus dem Jahr 1951 mit dem Balancieren durch die Geschichte zwischen dem, was bleibt und den Fehlstellen, was immer wieder verschwindet.

Die Aufschrift »Antifaschismus taugt nicht als Denkmal« stammt von Ute Richter, der ihre Gedanken bei einer Radiosendung über den jüdischen Dichter Paul Celan (1920-1970) zusammenfasst. Das überdimensionale Banner lehnt sich an die DDR-Rituale von Gedenkmärschen an, die von großen Losungen begleitet, die eigene Existenz als das Gute wiederholten.

Als Schriftart verwendet Richter die 1928 von Arno Drescher (1882-1971) entwickelte Super Grotesk, eine später in der DDR weit verbreitete Schrift – so verwendete das SED-Parteiorgan Neues Deutschland mit ihr die täglichen Kampflosungen. Darüber hinaus leitete Drescher von 1940-45 die Leipziger Kunstakademie. Aber das ist wieder ein anderes Kapitel.

Wenige Meter vom Kunstraum über die Straße entfernt leuchtet rote Farbe vom dort befindlichen Billboard – die Außenstelle des Kunstraums. Darauf erzählt Max Baitinger in »Book to Head« über einige Sekunden aus dem Leben von Victor Klemperer (1881-1960) in der Nacht vom 10. Juni 1942 in unterschiedlichen Sequenzen. Klemperer, der 1947 mit seinem Buch »LIT – Notizen eines Philologen« nach dem Ende des Nationalsozialismus die Wirkmacht der Sprache beschreibt, musste damals mit seiner Frau Eva in einem sogenannten Judenhaus wohnen. Baitinger beschreibt, wie SS-Mitglied Johannes Clemens mit dem Buch »Der Mythos des 20. Jahrhunderts« von Alfred Rosenberg auf Klemperers Kopf haut und den Wirkungen der Razzia bei Klemperer.

Neben den künstlerischen Positionen wartet die Ausstellung mit einem Rahmenprogramm auf. Am 26. April spricht Mandy Geht unter der Überschrift »Mapping a Memory« spricht über ihre Recherchen zu deutsch-jüdischen Überlebenden des KZ-Außenlager von Buchenwald in Markkleeberg.


> Erinnerung als höchste Form des Vergessens, bis 30.4.2025, Kunstraum Ideal, Schulze-Delitzsch-Str. 27, Mi 16-19, So 15-19 Uhr

Rahmenprogramm

24. April 17 Uhr Performance Angelika Waniek und Inga Martel in Kooperation mit der Ausstellung Partizanke Art in der Hochschule für Grafik und Buchkunst

26. April 18 Uhr Künstlerinnengespräch mit Mandy Gehrt im Pögehaus, Hedwigstr. 20, 04315 Leipzig

30. April Finissage, Gespräch mit den Kurator*innen und den Beteiligten Künstler*innen im Kunstraum Ideal

Mehr Infos unter https://idealartspace.de/


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