Das Schauspiel Leipzig hat seinen Spielbetrieb wieder eingeschränkt aufgenommen. Am Wochenende feierte es die Premiere »Medea« - es war die erste Vorstellung nach der Schließung aufgrund der Corona-Pandemie. Der kreuzer war dabei und hat sich angeschaut, wie Theater unter Hygienevorschriften funktioniert.
Die Bestuhlung trägt Trauerflor. Schwarze Tücher decken sie ab, lassen in nur jeder zweiten Reihe jeden dritten Platz frei. Das Schwarz zieht sich bis in den Bühnenraum hinein, wo wieder etwas Leben einzieht. Der Boden ist eine einzige schwarze Wasserfläche, die das Licht des Herrscherpalast-Kubus mal schluckt, mal diffus reflektiert. Die Drehbühne kreist und optisch gewaltig entfesselt sich der Zauberin Rachedurst als dunkler Sog. Markus Bothe hat seine fast fertige »Medea«, deren Premiere im März in Quarantäne musste, nun den Hygienestandards angepasst.
Dass das nicht steril ausfällt, ist schon keine kleine Überraschung. Denn ein gefühlt leerer Saal – nur ein Sechstel der üblichen Zuschauermenge ist zugelassen und ein paar Plätze bleiben davon noch unbesetzt – ist für Publikum wie Darstellende eine Herausforderung. Sicher, es ist besser als Stream. Aber alles ist besser als gestreamtes Theater.
Der Kritiker fühlt sich leicht verloren, was Medeas soziale Stellung und Position auf der Bühne spiegelt. Denn sie wird in Korinth nicht heimisch. Jason hat sich von ihr und den Kindern losgesagt, um die Königstochter des Stadtstaates zu heiraten und sich beruflich einzurichten. Jener Argonauten-Chef Jason, dem die magiekundige Medea einst half, das legendäre Goldene Vließ zu stehlen. Eine wie Medea aber, stark, zauberkundig und unbeugsam, kann diesen Verrat nicht hinnehmen und sinnt auf blutig-tödliche Rache. Soweit der bekannte Mythos.
Markus Bothes Inszenierung ist weit entfernt vom gewagten Psychogramm, das im März Anna-Sophie Mahler mit dem »Medea«-Stoff im Frühjahr am selben Haus entwarf. Ihm das vorzuwerfen, wäre jedoch unfair, denn man muss beide Inszenierungen zusammen denken. Ihre Premieren waren zeitgleich geplant. Statt also den Mythos zu modernisieren, bringt Bothe ihn zum Sprechen. Als eine Art Prolog lässt er zwei Jungen, die mit Stöckern ein Papierschiffchen durch die Wasserfläche des Bühnenraums lenken, die Argonautensage kurz abreißen.
Während später Jason, König Kreon und die Seinen im Palast, der einem Wintergarten ähnelt, hinter Glas im Licht stehen, bleibt Medea draußen. Im nassen Dunkel stakst sie herum: Einfacher kann man Exklusion nicht darstellen. Denn der Palast erscheint wie ein Panikraum, in den sich alle vor der Rachsüchtigen verschanzen. Das Gebot sozialer und physischer Distanznahme ist auch in Korinth eingezogen.
Gut gebaut ist diese Grundkonstellation aus Bühnenbild (Kathrin Frosch) und markanten Lichtsetzungen (Jörn Langkabel), dass viel Spiel (und damit Luftturbulenzen etc.) nicht nötig ist. Natürlich wirkt der Abend etwas zu distanziert aufgesagt, was hauptsächlich der Corona-Situation geschuldet ist. Aber immerhin ist diese »Medea« kein steriles Theatererlebnis, was vor allem Schauspielerin Anne Cathrin Buhtz zu verdanken ist. Zwischen zerbrechlich und stark gelingt ihr eine Zauberin, die ganz Frau, nie Furie ist. Sie ist verletzt, will verletzen, zur blindwütigen Barbarin, bösen Fremden, wie sie bisweilen bis heute auf den Theatern zeigt, wird sich nicht degradiert. Sie ist einsam auf leerer Bühne, taumelt und füllt das Vakuum in den stärksten Moment dennoch völlig aus.