Die Comic-Strip-Serien von Anna Haifisch konnte man auch schon im kreuzer bewundern. Seit dem ist viel Zeit vergangen: Ihre letzte Serie erschien im Museum of Modern Art. Leipzig bleibt trotzdem Haifischs Heimatbasis.
Verloren sitzt das vogelartige Wesen im Museumssaal. Im Hintergrund hängt ein Gemälde à la Jackson Pollock: Kleckse, Schlieren, Gewischtes. »Was will der Künstler uns damit sagen?«, scheint der Verlorene zu denken. Auf dem Schoß liegt sein eigenes Gemälde, das er unter die Leute bringen will – willkommen in der Kunstwelt. Willkommen in der Comic-Welt von »The Artist«.
Ihre Serie über den strauchelnden Künstler zwischen Galeristen-Anbetteln und Seelenstriptease beim Sektempfang hat Anna Haifisch längst international bekannt gemacht. Zuletzt zeichnete die Leipzigerin eine Mini-Serie fürs New Yorker Museum of Modern Art. Nun wurde Haifisch mit dem Max und Moritz-Preis 2020, der wichtigsten deutschen Comic-Ehrung ausgezeichnet. Etwas ungläubig, als sie der kreuzer kontaktiert. Sie ist gerade in Südfrankreich, wo sie von der Preisvergabe erfuhr. »Ich freue mich über das schöne Line-Up«, meint die Zeichnerin. »Mit Anke Feuchtenberger, David Basler und Mikael Ross zusammen geehrt zu werden, ist echt cool!« Die anderen Ausgezeichneten sind in der Tat Hausnummern. Aber verstecken muss sich Hauptpreisträgerin Haifisch keinesfalls. Sie versteht es, mit krakeligen Kerlchen, absurden Szenen und trockenem Humor sowohl die alternative Szene zu belustigen wie auch die Hochkultur zu erreichen. Und das gelingt ihr nicht durch Anpassung, sondern kompromisslosen Stil.
Geboren wurde Haifisch 1986 in Leipzig, wo sie aufwuchs und an der HGB Illustration studierte. Ihrer künstlerischen Neigung war sie sich bewusst, über den Fokus nicht, so Haifisch. »Als ich mit dem Studium begann, wollte ich Holzschnitte machen. Was ich im Kopf hatte, war ziemlich altbacken. Mit Indy-Comics kam ich richtig in Berührung, als ich nach Amerika ging. Das wilde Zeug, das es da gab, gefiel mir.« Zuvor hatte sie eher einen losen Bezug zu Comics. »Ich hab in der Bibliothek immer ›Asterix‹ und ›Lucky Luke‹ gelesen. Zur Not haben es noch die ›Schlümpfe‹ getan.“ In New York kam sie dann in Kontakt mit dem heißen Scheiß. »Ich hatte so Lust, in den USA zu wohnen, brauchte natürlich Geld. Siebdruck ist das einzige, was ich kann. Also habe ich eine Druckerei angeschrieben.« Dort habe man geantwortet: »Komm rüber, hier ist es sonnig.« Haifisch sagt: »Die waren selbst seltsam, es hat also perfekt gepasst.«
Eine eigenständige Comic-Strip-Serie bekommt sie 2014 im kreuzer, wo sie ihren Hang zu Vogelwesen mit Macke schon auslebt. Erpel Gilbert stolpert in den Bildstreifen durch seinen surrealen Alltag. Bis er auf den Mond auswandert. Auch ihr grafischer Stil aus hingezuckelten dünnen Linien, einfarbigen Flächen – gern in Gelb, Orange, Rosa – spricht schon aus den Arbeiten. Lakonischen Brutalismus könnte man das nennen.
Dann kam der große Wurf: Das Vice-Magazin wollte ihre Strips. »Als ich eine Serie über einen Künstler vorschlug, dachte der Redakteur wohl eher ›Kacke‹, hat es aber durchgelassen«, sagt Haifisch. 2015 ging der Comic ins Netz. Mittlerweile erscheint die Serie auch in Le Monde Diplomatique und als Buch. Bereits der dritte Band befindet sich in Vorbereitung.
Leipzig ist Haifischs Heimatbasis, aber sie ist viel unterwegs. »Egal, wo ich bin: Ich brauche nur einen Schreibtisch und irgendwo einen Scanner. Nach zwölf Monaten in Leipzig fällt mir die Decke auf den Kopf, man läuft ja ständig in die selben Nasen rein.« Diese Internationalität holt sie als Mitgründerin des Comic-Festivals »The Millionaires Club« jährlich parallel zur Buchmesse hierher. International ist auch Haifischs Leserschaft. »Manchmal wundere ich mich, woher die mich kennen. Beispielsweise sind da High-School-Jungs, die sich von ›The Artist‹ berührt fühlen. Einer aus Südamerika hat den Artist als Snoopy auf der Hütte liegend gezeichnet und sich das Bild auf ein T-Shirt gedruckt. Das war sweet.«