Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal liest Micklitz’ derzeitiger Vertreter Benjamin Heine »Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen« des Universalgelehrten Traugott Xaverius Unruh aus dem 18. Jahrhundert – und hat danach Appetit auf sorbisches Sushi.
Hätten Sie gedacht, dass die Sorben einst aus Japan in die Lausitz kamen? Oder dass sie das Schachspiel nach Europa brachten? Und dass sie wahre Pioniere der Luftfahrt sind? Nein, nicht? Dann kennen Sie Traugott Xaverius Unruhs lesenswerte Abhandlung »Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen« noch nicht, die all das »beweist«. Der leider nur als Fragment erhaltene Text von 1784 erschien 2015 im Leipziger Verlag Reinecke & Voß, herausgegeben und mit aufschlussreichen Anmerkungen versehen von Eduard Werner, seines Zeichens Professor für Sorabistik an der Universität Leipzig.
Über den Universalgelehrten Traugott Xaverius Unruh wissen wir nicht viel. »Er ist mit Knauth und Horzschansky persönlich bekannt gewesen, er kennt Michael Frentzels Werk«, schreibt Werner über ihn, dessen Sprache er als einen »etwas schwerfälligen, teilweise makkaronischen Stil [bezeichnet], der für das ausgehende 18. Jd. leicht archaisch wirkt«. Womit Werner ganz richtig liegt. Unruhs Text ist von lateinischen Wendungen und veralteten Schreib- und Ausdrucksweisen durchzogen – so spricht er eben von den »Sorberwenden«, also den sorbischen Slawen statt von den Sorben, wie auch von den »Japanesen«, wenn er Japaner meint. Genau dies trägt beträchtlich zum Charme der Lektüre bei – zumal Werners Anmerkungen allen helfen, die im Lateinischen oder Altgriechischen nicht (mehr) ganz so sattelfest sind.
Vom Ursprung der Sorberwenden Sprache geht es unter anderem zur Rechenkunst und Luftfahrt der Sorberwenden sowie zu Besonderheiten sorbischer Tiere. Unruh gelingt es dabei immer wieder, erstaunliche Parallelen aufzuzeigen, die ihm nie als Zufälle, sondern stets als Beweise seiner Thesen gelten. Am trefflichsten gelingt dies im Kapitel zur sorbischen Luftfahrt. Wir erinnern uns: nur ein Jahr älter als der Text ist der erste (eher kurze) Ballonflug der Gebrüder Montgolfier, die seitdem als Erfinder des Heißluftballons gelten. Was für ein Irrtum! Schon Jahrhunderte vorher waren es natürlich die Sorberwenden, die per Heißluftballon die »japanesischen Inseln« verließen. Unruhs Beweisführung kann hier freilich nicht in ihrer Komplexität dargelegt werden, nur so viel: Es ist sicher kein Zufall, dass die Montgolfière aussieht wie ein traditionelles sorbisches Osterei. Apropos: Die sorbischen Osterreiter haben ihren Ursprung natürlich in den Samurai der Japanesen, ist doch klar.
Dass Traugott Xaverius Unruh nie gelebt hat und damit »sein« Text über die Sorberwenden eine Erfindung ist, ändert übrigens so rein gar nichts am großen Lesevergnügen, das Eduard Werners parodistisches kleines Buch bereitet. Ganz im Gegenteil, gerade die erfundenen, völlig absurden Zusammenhänge, die hier zwischen völlig unabhängigen Einzelfakten hergestellt werden, machen den Spaß aus.