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Stadtleben

»Es geht einfach nicht schnell genug«

Wie ein Leipziger Instagram-Account Bewusstsein für kritische Nachhaltigkeit schaffen möchte

  »Es geht einfach nicht schnell genug« | Wie ein Leipziger Instagram-Account Bewusstsein für kritische Nachhaltigkeit schaffen möchte

Die Öko-Filterblase auf Instagram ist eine Welt für sich. Höher, schneller, nachhaltiger – wer lebt am nachhaltigsten, wer benutzt am wenigsten Plastik und wer isst am regionalsten? Unter all den Produktplatzierungen und Werbe-Posts ist es schwer, den Durchblick zu behalten, was wirklich stimmt und was wirklich hilft. Der Instagram-Account »nachhaltig.kritisch« will das ändern.

Hinter »nachhaltig.kritisch« stecken drei Menschen: Annsi (27), Annika (25) und Robin (27). Annsi und Robin haben das Projekt im Zuge ihres Masterstudiengangs »Multimedia und Autorschaft« in Halle im Januar 2019 gegründet und auch Annika ist schon von Anfang an dabei. Sie ist für das gesamte Design zuständig, Annsi und Robin kümmern sich um den Content. Mit »nachhaltig.kritisch« versuchen die Drei Nachhaltigkeit auf Instagram sichtbar zu machen: Hintergrundrecherche statt Clickbaiting, kritisches Hinterfragen statt Mainstream-Gerede. Dabei sind die Themen weitgefächert und das »Tönnies-Schweinesystem«, die Zuckerlobby sowie die Kipppunkte der Erde nur Beispiele der Posts zu Ernährung, Mobilität, Energie, Konsum und Politik.

kreuzer: Auf Instagram beschreibt ihr euch als »Ausweg aus der Öko-Filterblase«. Was meint ihr damit?ROBIN: Wir haben das Projekt vor allem gegründet, weil uns etwas gefehlt hat. Wir haben zum Beispiel unter #nachhaltigkeit geschaut und das Einzige, was da kam, waren irgendwelche schönen Bilder von Produkten. Alles war einfach schön und toll, so wie Instagram halt auch zum größten Teil ist. Wir haben uns dann überlegt, was uns fehlt, einfach selbst zu machen. Wir versuchen, die Klischees der grünen Filterblase aufzubrechen und zu zeigen: Nachhaltigkeit ist eben nicht nur die Bambus-Zahnbürste. Es ist viel mehr und da muss man manchmal auch die eigene Komfortzone verlassen.

ANNSI: Wir wollten uns auch allein vom Format unterscheiden. Das heißt, das Ganze journalistischer angehen, ohne Werbung und mit langen Hintergrundrecherchen, die dann komprimiert auf zehn Slides zwar reduziert, aber für Instagram immer noch sehr lang sind.

kreuzer: »nachhaltig.kritisch« hat als Uni-Projekt eures Masterstudiengangs angefangen. Mittlerweile ist die Uni vorbei und ihr macht den Account immer noch. Was bewegt euch, weiter nachhaltig-kritischen Journalismus zu betreiben?ANNSI: Uns macht es einfach mega Spaß! Robin und ich haben beide unsere Thesis drüber geschrieben, um einfach noch mehr Zeit investieren zu können und konnten seitdem einfach nicht loslassen. Wir sind selber auch ziemlich überrascht darüber, wie viele Leute wir erreichen können. Cool wäre es natürlich, sich irgendwann auch ein bisschen davon finanzieren zu können.

kreuzer: Im Februar habt ihr den Post »Ist Nachhaltigkeit weiblich? Ein Erklärungsversuch« verfasst. Es gab einige Kommentare und auch Kritik. Wie würdet ihr die Frage mittlerweile beantworten?

 

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ROBIN: Ich kann die Frage immer noch nicht genau beantworten. Wir finden beispielsweise nicht, dass wir nur Content haben, der Frauen anspricht, aber trotzdem sagt uns Instagram: 81 % Frauenanteil. Das ist schon extrem eindeutig, obwohl wir glauben, dass es nicht an unserer Aufmachung liegt sondern am Thema. Es wird wahrscheinlich an klischeehaften Rollenverteilungen liegen, auch daran, dass Männer sich irgendwie nicht angesprochen fühlen – was natürlich ein Riesenproblem ist.

ANNSI: Ich finde es beispielsweise spannend, dass die großen Figuren, gerade auch in der Fridays for Future-Szene, alle weiblich sind. Da war dann eine Idee, dass sich dadurch nicht so viele junge Männer damit identifizieren können. Das ist aber auch nur Spekulation.

kreuzer: Welche Themen der Nachhaltigkeit beschäftigen euch aktuell oder haben euch im Laufe der mittlerweile mehr als 1,5 Jahre »nachhaltig.kritisch« stark beschäftigt?ANNSI: Ein Thema, womit ich mich auch schon in Form eines Kommentars auseinandergesetzt habe, ist die Frage, ob es heutzutage noch okay ist, Kinder zu kriegen. Also auch mit dem Shaming in der Öko-Filterblase a là »Ey, es ist total egoistisch Kinder zu bekommen, weil die sind halt riesige Klimakiller«. Da gibt es ganz kontroverse Literatur dazu, die meint, wir müssten jetzt aufhören uns fortzupflanzen, weil sonst bringen alle anderen Maßnahmen auch nichts mehr.

ANNIKA: Ich finde die Kipppunkte der Erde sehr interessant, aber auch mega erschreckend. Zum Beispiel die Meldung zum Kipppunkt der Antarktis. Also dass man jetzt nicht mehr stoppen kann, dass das Eis dort schmilzt. Man sitzt dann zuhause und fühlt sich so machtlos.

ROBIN: Teilweise ist es wirklich krass, sich immer mit solchen Themen zu beschäftigen. Wenn man sich zum Beispiel Expertinnen-Interviews anguckt, die dann ganz unverblümt vom Ende der Zivilisation reden. Dazu hatten wir letztens einen Beitrag zum Thema Klimaangst. Also warum es okay ist, Angst zu haben und woher diese Angst kommt.

kreuzer: Wie geht ihr mit der Informationsflut der Recherchen sowie Gefühlen wie Machtlosigkeit oder Angst um?ANNSI: Ich beschäftige mich lieber damit als nicht damit. Ähnlich dem Phänomen, dass Leute, die aktivistisch unterwegs sind, zwar mehr in der Materie drin stecken, aber auch weniger darunter leiden, weil man eben was macht. Damit kann ich mich ziemlich identifizieren, weil ich mir dann denke: Immerhin erreichen wir noch ein paar Leute und vielleicht verändert es ja etwas.

ANNIKA: Trotzdem ist es oft schwierig, vor allem als sensible Person, sich von solchen Sachen zu distanzieren. Aber man kann zum Beispiel, wenn man merkt, man ist da gerade zu tief drin, probieren kurz Abstand zu nehmen. Also Handy ausschalten und sich kurz nicht damit beschäftigen.

kreuzer: Was sind eure go-to-Tipp für nachhaltiges Leben, beziehungsweise kann das Handeln Einzelner überhaupt etwas bewirken, wenn die Politik nicht mitmacht?ROBIN: Ich finde es krass, dass immer so viel Druck auf den Verbraucherinnen liegt. Immer wird so viel Verantwortung auf uns abgewälzt, obwohl die Verantwortung eigentlich ganz woanders liegt. Deswegen kann ich eigentlich gar keine Tipps geben. Ich denke, es ist das Wichtigste, dass man irgendwie ein wirtschaftliches und politisches Umdenken schafft. Im Moment sehe ich das allerdings nicht wirklich.

ANNSI: Ich finde, beides greift ineinander. Auf der einen Seite finde ich schon, dass Verbraucherinnen eine große Verantwortung haben. Sie sind ja gleichzeitig auch Wählerinnen und der Markt orientiert sich schon an der Nachfrage und Politikerinnen sich an ihren Wählerinnen. Ich glaube aber auch, dass Robin recht hat: Es geht einfach nicht schnell genug. Wir können nicht darauf warten, dass man jede Einzelne irgendwie überzeugt hat, lieber vegetarisch zu leben oder nur noch Bio-Fleisch zu essen. Da brauchen wir politische Regeln, die klar sagen: Wir müssen jetzt Dinge durchsetzen, sonst ist die Welt in 20 Jahren einfach nicht mehr die gleiche.

kreuzer: Am Freitag ist Globaler Klimastreik 2020. Was erhofft ihr euch vom Klimastreik?ANNSI: Ich glaube, das Potential liegt vor allem im Kollektiv. Deswegen ist sowas wie der Klimastreik oder Fridays for Future so wichtig, weil man kollektiv Druck ausübt auf die Politik und das kann meiner Ansicht nach sehr viel verändern. Und vielleicht ist es auch eine Chance zu zeigen: Wir können fürs Klima auf die Straße gehen und geben trotzdem aufeinander Acht – halten Abstand, tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung.


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