Am Donnerstag, den 15. Oktober wird in Leipzig gestreikt. Ab 3:30 nachts bis 19 Uhr wollen die Beschäftigten des Öffentlichen Nahverkehrs ihre Arbeit niederlegen. Denn die Tarifverhandlungen um die Arbeitsbedingungen im sächsischen Nahverkehr wecken Unmut bei den Beschäftigten. Zuletzt legte die Arbeitgeberseite am 12. Oktober ein Angebot vor, das ab Februar 2021 eine Lohnerhöhung um jährlich ein Prozent vorsieht. Ein Gespräch mit dem verdi-Gewerkschaftssekretär Paul Schmidt
kreuzer: Herr Schmidt, der verdi-Verhandlungsführer Gerd Doepelheuer sagte, dass die Arbeitgeberseite ein Angebot vorgelegt hat, das seinen Namen nicht verdient. Warum nicht?PAUL SCHMIDT: Das Entlohnungsniveau in Sachsen liegt hinter vergleichbaren Tarifverträgen. Wenn wir nach Sachsen-Anhalt oder Thüringen gucken, verdienen die Kollegen und Kolleginnen dort zum Teil mehrere hundert Euro mehr, und zwar für die gleiche Tätigkeit. Da gibt es einen erheblichen Nachholbedarf, bei dem wir noch gar nicht darüber reden, in hohen Größenordnungen aufzustocken, sondern erst mal etwas auszugleichen. Zudem finden in den anderen Bundesländern gerade auch Verhandlungen über Lohnerhöhungen statt. Das heißt, die Lücke wird größer.
kreuzer: Was sind die Forderungen der Streikenden?SCHMIDT: Wir fordern eine Erhöhung von 400 Euro und die Verkürzung der Arbeitszeit von 39 auf 38 Stunden. Das sind Dinge, die wir bereits woanders haben – die Kollegen und Kolleginnen anderer Bundesländer verdienen bei einer Stunde weniger Arbeit zum Teil 200 oder 300 Euro mehr.
kreuzer: Ist es vertretbar, zu Coronazeiten zu streiken?SCHMIDT: Es ist die einzige Alternative, die wir haben. Wir sind uns der Situation bewusst, dass in Coronazeiten der Infektionsschutz eine besondere Herausforderung ist, deswegen verzichten wir auch auf große Demonstrationen und schicken die Kollegen und Kolleginnen zügig nach Hause. Zudem kündigen wir die Streiks aktuell bewusst mit zeitlichem Vorlauf an. Es ist uns wichtig, dass die Fahrgäste sich auf Einschränkungen einstellen können, da nicht sie es sind, gegen die dieser Streik gerichtet ist.
[caption id="attachment_117958" align="alignleft" width="320"] Gewerkschaftssekretär Paul Schmidt Foto: Max Niemann[/caption]
kreuzer: Es mangelt an Fachkräften. Wie attraktiv ist der Job der Straßenbahnfahrerin?SCHMIDT: Wir haben große Probleme bei der Attraktivität. Es gibt viele Kollegen und Kolleginnen, die den Job mit Leidenschaft ausführen, allerdings unter harten Bedingungen. Wir haben eine schlechte Bezahlung, sehr viele Überstunden oder geteilte Dienste. Geteilter Dienst bedeutet: Eine Fahrerin hat Dienst von fünf bis neun Uhr und dann wieder von 13 bis17 Uhr, dazwischen vier Stunden Pause, die nicht bezahlt werden. Außerdem stehen den Beschäftigten teilweise nur 15 freie Sonntage im Jahr zu. Wie man da ein Familienleben organisiert kriegt, ist für mich ein großes Rätsel.
kreuzer: Zur Eindämmung der Klimakrise ist der Öffentliche Nahverkehr ein wichtiges Schlagwort.SCHMIDT: Wir reden ja immer davon, den ÖPNV zu stärken und auszubauen. Mit Sicherheit kann der ÖPNV einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten. Aber Ausbauen heißt natürlich neben mehr Strecken und mehr Fahrzeugen auch mehr Personal. Die Situation ist jetzt schon so, dass freiwerdende Stellen nicht eins zu eins besetzt werden können, weil die Leute fehlen. Wir gehen davon aus, dass bis 2030 mehr als Hälfte der Beschäftigten ausscheidet — einfach altersbedingt. Wenn wir sagen, wir brauchen noch viel mehr Personal , dann frage ich mich, wie das bei den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen gelingen soll.
kreuzer: Haben Sie eine Vision, wie der Öffentliche Nahverkehr in fünf oder zehn Jahren aussehen soll?SCHMIDT: Der ÖPNV muss dann solide ausfinanziert sein, damit wir nicht jedes Jahr schauen müssen, wie die Unternehmen über die Runden kommen. Wir müssen den Nahverkehr erkennen, als das, was er ist: Enorm wichtig für Mobilität in wachsenden Städten, für Mobilität auf dem Land und für Mobilität im Sinne der Bewältigung des Klimawandels. Dafür muss es ganz selbstverständlich Gelder von der Bundes- und Landesebene geben, das können die Kommunen nicht stemmen.