Es ist passiert. Ich hatte Kontakt mit einer infizierten Person. Eine Reise durch die Bürokratie und ein überfordertes Gesundheitsamt.
Die Kulisse meiner Quarantäne ist ein 22 Quadratmeter großes Zimmer. Bis ich mich erwachsen genug für echte Möbel fühle, dienen mir umgedrehte Umzugskartons als Bücherregal und Kleiderschrank. Bislang konnte ich zufrieden in diesem Zimmer vor mich hin schweigen. Jetzt nervt die Stille. Ich will sie in den Schrank einsperren oder in der Toilette versenken. Der Klingelton meines Telefons ist mein neues Lieblingsgeräusch. Jedes Mal hoffe ich, dass mich das Gesundheitsamt anruft und mir nun erklärt, wann ich mich auf COVID-19 testen lassen kann. Aber – das stellt sich am 13. Tag nach meinem Kontakt mit einer infizierten Person heraus – ich warte auf Godot.
Was passiert, wenns passiert ist
An einem Freitagnachmittag, kurz bevor Berlin zum Risikogebiet erklärt wird, kommt der Anruf: ein Freund aus Berlin, der mich eine Woche zuvor in Leipzig besucht hatte, ist positiv auf COVID-19 getestet worden. Ein Szenario wie viele Menschen es vermutlich bereits erlebt haben. Erst sorgt man sich, dann schämt man sich – war es zu der damaligen Situation wirklich vertretbar, Freundinnen nach Leipzig einzuladen? Dann telefoniert man seinen gesamten Bekanntenkreis ab und ruft schließlich beim Gesundheitsamt an. Doch das Gesundheitsamt Leipzig nimmt nicht ab. Ich versuche mein Glück bei der Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung. Dort erfahre ich, dass die Testkosten von schlappen 150 Euro nur übernommen werden, wenn ich Symptome habe. Die einzig andere Option: Ich kontaktiere erneut das Gesundheitsamt, das bei Kontaktpersonen kostenfreie Tests anordnen kann. Allerdings geht das erst wieder ab Montagmorgen. Bei dem Geschäft mit den Coronatests variieren die Kosten, wie die ZEIT herausstellte. Im Ausnahmefall dürfen auch Tierärztinnen testen, dort bekommt man den Test für einen Schnäppchenpreis von 55 Euro.
Hat das Gesundheitsamt aus der ersten Welle gelernt?
Drei Tage später. Nach einigen Versuchen erreiche ich eine Mitarbeiterin der Hotline beim Gesundheitsamt Leipzig. Sie sagt: Ich solle doch bei der Kassenärztlichen Terminservicestelle anrufen. Ich erkläre ihr, dass diese Stelle mich an sie verwiesen hat. Wir lachen beide unbeholfen. Das Telefonat endet mit der Ankündigung, das Gesundheitsamt werde sich demnächst bei mir melden, in der Zwischenzeit bekäme ich ein Schreiben für meinen Arbeitgeber. »Sie wissen, was Quarantäne ist?« fragt sie und schickt mich hinein. Mein Freund kommt bei der Hotline nicht durch. Kein Wunder – auf Nachfragen vom kreuzer erklärt die Stadt Leipzig: »Unsere Mitarbeitenden erfassen weiterhin und nun zusätzlich zu ihren üblichen Aufgaben Infektionen. Sie betreiben die Corona-Hotline, kontrollieren die Quarantäne, nehmen Abstriche im häuslichen Umfeld, ermitteln Kontaktpersonen, überwachen und kontrollieren Infizierte, Erkrankte und leiten erforderliche Maßnahmen ein.« Mein Freund nimmt den einfacheren Weg, geht zu einer Ärztin, erklärt seine Kopfschmerzen zu wirklich sehr starken Kopfschmerzen und darf sich kostenlos testen lassen. Ich trinke den Tee, der schon seit gestern auf meinem Schreibtisch steht und genauso wie irgendetwas schmeckt, das nicht in die Gegenwart gehört. Ich werde ungeduldig.
Warum ich keine Liebesbriefe an die Bürokratie schreibe
Inzwischen empfinde ich die Länge meiner Wartezeit als klassistisch: Wäre ich gezwungen für meine Lebenshaltungskosten einer Lohnarbeit nachzugehen, würde ich womöglich mit Einkommensverlusten kämpfen. Mein Mitbewohner sagt seine Arbeit ab und hat damit einen Lohnausfall. Die online-Redaktion des kreuzer ist meinetwegen im Homeoffice. Es ist bereits der 13. Tag nach meinem Kontakt mit einer infizierten Person. »Ich bekomme langsam den Eindruck, die Testkapazitäten sind zu gering, und man will mich warten lassen, bis ich die 14 Tage Quarantäne hinter mir gelassen habe«, erkläre ich der Frau an der Hotline. Die Mitarbeiterin des Gesundheitsamts entgegnet, dass ich kein Einzelfall sei. Es ginge einigen ähnlich wie mir. Das Gesundheitsamt sei nun mal sehr ausgelastet. Die Stadt Leipzig erklärt, dass momentan etwa 110 Mitarbeitende in den Corona-Teams beschäftigt sind. Zwölf neue Stellen wurden zudem geschaffen, bei denen einige noch beworben werden.
Die zweite Welle kommt und alle gucken zu
Die zweite Welle kommt. Für die Hotline stellt das Gesundheitsamt Studierende ein, für die Nachverfolgung werden jedoch auch Hygieneinspektorinnen gebraucht und da sieht es personell eng aus. Dazu werden nämlich Fachärztinnen benötigt. »Es melden sich viele Interessierte, die aber meist nicht die erforderlichen Qualifikationen zur Lösung der anstehenden Aufgaben mitbringen«, erklärt die Stadt Leipzig. Mindestens einmal wöchentlich organisiert das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz eine Videokonferenz, in der alle sächsischen Gesundheitsämter anwesend sind. Je nach Anlass, gibt es darüber hinaus bilaterale Kooperationen.
Auftritt: Chaos
Meine Bearbeiterin ruft an. Sie habe sich mit dem Gesundheitsamt in Berlin in Verbindung gesetzt und es hat sich nicht bestätigt. »Was hat sich nicht bestätigt?«, frage ich. »Ihr Kontakt mit einer positiv infizierten Person« . »Hä?«, frage ich. Sie erklärt, ich hätte gar nicht in Quarantäne gemusst. Meinen positiv getesteten Freund aus Berlin habe sie nicht über das Gesundheitsamt gefunden. Die Mitarbeiterin der Hotline hätte mich nicht in Quarantäne schicken dürfen, erklärt die Bearbeiterin hörbar entnervt. Bei der Hotline arbeiten nur Studierende, die keine Kompetenz hätten, eine Quarantäne zu veranlassen. Ich rufe meinen positiv getesteten Freund aus Berlin an. Er fängt an, laut zu lachen. Dann erzählt er, dass er zuerst eine Mail an das Gesundheitsamt Berlin mit den Kontaktpersonen geschickt hat und zwischenzeitlich etwa 190 mal angerufen habe bis er durchkam. »Mails liest bei uns niemand mehr«, sagte ihm ein Mitarbeiter vom Gesundheitsamt Berlin. Da seien zu viele Mails auf dem Server. Er solle die Kontakte per Telefon durchgeben.
Kommunikation auf Irrwegen
Für das Scheitern der Kommunikation zwischen dem Berliner und Leipziger Gesundheitsamt fällt mir kein anderer Grund als die totaler Überforderung ein. Ich beschließe, den Job des Gesundheitsministeriums selbst zu machen. Ich bitte meinen Freund aus Berlin, vom Gesundheitsamt Berlin eine Quarantänebescheinigung zu verlangen, die ich dann meiner Leipziger Bearbeiterin zusenden kann. Es kommt nicht dazu. Inzwischen ist Tag 14 nach meinem Kontakt vorbei und ich darf aus der Quarantäne. Ich habe mittlerweile die Nummer meiner Bearbeiterin auf dem Handy eingespeichert – wer weiß, ob ich nochmal in Quarantäne muss. Vielleicht sind wir irgendwann beim du.