Im Rahmen des Literarischen Herbst wurde wieder gelesen: dieses Mal aus den aktuellen Romandebüts. Sechs junge Autoren standen auf dem Plan, fünf waren da. Ihre Geschichten können unterschiedlicher nicht sein.
Der Literaturmarkt sei stabil, leitet der Moderator Jörn Dege die Auftaktveranstaltung des Literarischen Herbst ein. Es können weiterhin Bücher gehortet werden und vielleicht liefere die Lesung »Beste erste Bücher« sogar »literarische Inspiration für den Lockdown«. Die fünf jungen Autorinnen und Autoren sitzen bereits mit ihren Debütromanen und Abstand auf der Bühne des Ost-Passage Theaters und warten darauf, an den kleinen Tisch in der Mitte gebeten zu werden. Cihan Acar, der als sechster mit seinem Roman »Hawaii« angekündigt war, musste wegen Erkältungssymptomen zuhause bleiben. Dennoch bleibt es ein dichter Abend, an dem für ein paar Seiten in sprachlich und inhaltlich sehr unterschiedliche Erstlingswerke hineingehorcht werden kann.
Marina Frenk, die auch als Sängerin und Schauspielerin künstlerisch arbeitet, eröffnet die Veranstaltung mit drei Passagen aus ihrem fragmentarischen Roman »ewig her und gar nicht wahr«. Die Stellen sind gut ausgewählt, denn charakteristisch für den Text springt sie von den 40er-Jahren ins Jahr 2011, von der Ukraine in den Ruhrpott. So entsteht ein erster Einblick in die Rekonstruktion der jüdischen Familien- und Fluchtgeschichte von Protagonistin Kira. Ein weiterer Roman mit autobiografischen Parallelen ist Deniz Ohdes »Streulicht«. Das Buch, das eine vermeintliche Aufstiegsgeschichte vom Arbeiterkind zur Akademikerin erzählt, ist spätestens, seit es auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, kein Geheimtipp mehr. Auch an diesem Abend bestechen die gelesenen Episoden mit Schlichtheit und einem genauen Gespür für die Details, welche die Ich-Erzählerin von ihrer bürgerlichen Freundin trennen. Ein sprachliches Gegengewicht bildet »Park«. Marius Goldhorn liest aus seinem schmalen Roman, der in kurzen, getakteten Sätzen vom »Digital Native« Arnold erzählt. Die rhythmische Sprache und das fast alptraumhafte Ineinanderfließen von geträumter, virtueller und realer Welt bildet beim Zuhören eine Sogwirkung, die an das zwanghafte Weiterscrollen im eigenen Social-Media-Feed erinnert.
Dem größten Massenselbstmord der deutschen Geschichte, der sich 1945 in Demmin ereignete, nähert sich Verena Keßler an. Zwischen der Perspektive der Teenagerin Larry und einer 90-jährigen Frau umkreist sie in »Die Gespenster von Demmin« das unfassbare Ereignis, das über der Stadt hängt. Zuletzt tritt Christian Schulteisz an den Lesetisch und initiiert, um für bestmögliche Bedingungen zu sorgen, erst einmal eine Toilettenpause. Als er dann endlich beginnt aus »Wense« zu lesen, wird klar, dass der Roman nicht nur vom übervollen Leben eines historischen Universalgelehrten erzählt, sondern auch sprachlich überladen ist. Insgesamt ein Abend mit vielseitigen Einblicken in die aktuellen deutschen Debüt-Romane und Raum für bislang weniger besprochene Bücher. Wer an diesem Abend noch keine spannende Herbst-Lektüre gefunden hat, wird sicher bei den kommenden Veranstaltungen des Literarischen Herbstes fündig.